Häusliche Gewalt

Täterarbeit ist Opferschutz

Illustration: Eine Frau sitzt auf dem Boden, der lange Schatten eines Mannes bedroht sie.
Gewalt in der Partnerschaft: Die Opfer sind in der Regel Frauen. Um Gewaltkreisläufe zu durchbrechen, muss der Täter Verantwortung für sein Handeln übernehmen. © imago images / fStop Images
Mehr als 250.000 Menschen werden pro Jahr in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt. Täter, die sich der Verantwortung für ihr Handeln stellen, haben gute Chancen, sich zu ändern. Doch die Täterarbeit führt in Deutschland noch ein Nischendasein.
Kaum ein anderer Kriminalitätsbereich hat wohl ein so hohes Dunkelfeld wie die häusliche Gewalt: Demütigungen, Prügel und Vergewaltigungen durch Partner, Väter oder Großeltern werden nur äußerst selten zur Anzeige gebracht.
Die Täter kommen also mehrheitlich davon - und können weitermachen. Doch es gibt auch einige, die sich ihrer Verantwortung stellen. Im besten Fall reflektieren sie dabei ihr Verhalten und hören auf, gewalttätig zu sein.
Bei diesem Prozess brauchen sie in der Regel Unterstützung. Die sogenannte Täterarbeit ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die häusliche Gewalt. Dennoch gibt es nicht genug Angebote bundesweit – nicht jeder Täter, der an sich arbeiten und sich ändern will, bekommt die nötige Hilfe.

Häusliche Gewalt: Wie groß ist das Problem?

Die Zahl der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt ist im vergangenen Jahr erneut deutlich gestiegen. Laut einem Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) wurden 2023 rund 256.000 Opfer erfasst. Das sind 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Betroffen von häuslicher Gewalt waren überwiegend Frauen: 70,5 Prozent der Opfer sind laut BKA weiblich. Die Täter waren mit 75,6 Prozent zumeist Männer.
Auch die Zahl der Getöteten stieg laut BKA an. 331 Menschen kamen vergangenes Jahr durch häusliche Gewalt ums Leben. Die Opfer waren zu über 80 Prozent weiblich.
Dies sind nur die registrierten Straftaten: Das Dunkelfeld ist aus verschiedenen Gründen bei einigen Delikten riesig. Das BKA schätzt beispielsweise, dass nur jede hundertste Sexualstraftat überhaupt zur Anzeige gebracht wird. Die Täter bleiben also in der Regel straffrei.

Was ist Täterarbeit?

Es gibt einige Möglichkeiten, den Opfern von häuslicher Gewalt zu helfen – doch wie in anderen sozialen Bereichen auch wird hier der Mangel in Deutschland verwaltet. Das gilt nicht nur für Anzahl und Finanzierung von Frauenhäusern, sondern auch für Angebote, die sich an die Täter richten.
Täterarbeit ist Opferschutz: Gewalttätige Menschen sollen lernen, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen, die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu akzeptieren, sich in andere hineinzuversetzen und Konflikte gewaltfrei zu lösen. So definiert es die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit.
Anlaufstelle für die Täter sind Beratungsstellen, bei denen sie in Einzel- und Gruppengesprächen im besten Fall die Gründe für ihre Gewalttätigkeit aufarbeiten und erkennen, dass nur sie allein für Verhalten verantwortlich sind - und nicht zum Beispiel die Partnerin, die sie vermeintlich provoziert hat.

Wie groß ist das Angebot von Beratungsstellen, die sich an die Täter richten?

Das Angebot ist nicht groß. Zur Beratungsstelle Handschlag der Caritas in Zwickau beispielsweise kommen Täter aus dem gesamten Süden Sachsens. Handschlag ist eine von nur vier offiziellen Einrichtungen im Bundesland, die gezielt Täterarbeit anbieten. Die Beratungsstelle arbeitet nach festgelegten Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. Sie ist der Dachverband der Einrichtungen in Deutschland.
Seit knapp 20 Jahren vernetzen sich diese Einrichtungen bundesweit, 91 gehören aktuell dazu. Mit Blick auf 256.000 Opfer häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr ist das wenig.
Täterarbeit hat ein grundlegendes Problem: Der Sozialarbeiter Willi Löffler von der Dresdner Beratungsstelle „Escape“ schätzt, dass nicht einmal zehn Prozent der Täter überhaupt an entsprechenden Programmen teilnehmen. „Eigentlich müsste es zu jeder Betroffenen, zu jedem Betroffenen einen Täter geben“, sagt Löffler: „Die kommen (aber) nicht bei uns an.“
2022 registrierte seine Beratungsstelle rund 300 Anfragen. Wenn man das hochrechne auf alle Beratungsstellen bundesweit, liege die Zahl der Menschen, die eine Täterberatung aufgesucht haben, höchstens im niedrigen fünfstelligen Bereich, sagt der Sozialarbeiter.

Warum kommen die Täter zu den Beratungsstellen und wie erfolgreich sind die Gespräche?

Für einige Gewalttäter ist die Teilnahme an Täterarbeit eine Bewährungsauflage. Es kann aber auch die letzte Möglichkeit sein, einer Haftstrafe zu entgehen. Andere wenden sich freiwillig an die Einrichtungen.
Nach den Erfahrungen der Beratungsstellen sind manche Täter unmittelbar nach der Tat empfänglicher für einen gemeinsamen Arbeits- und Änderungsprozess. Daher gilt es als wichtig, dass es schnell zu einem Erstgespräch mit einem Sozialarbeiter kommt.
Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen: Das ist der Grundgedanke der Täterarbeit. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter und dem sogenannten Klienten ist dabei zentral für den Erfolg.
Es geht um den Willen und die Bereitschaft der Täter zur Veränderung. Wer dranbleibt, kann einen Prozess in Gang setzen, der sich langfristig positiv auf viele Lebensbereiche auswirkt: Das kann zum Beispiel auch nach Trennung oder Kontaktverbot die Rückkehr in die eigene Familie bedeuten.
Doch damit zu beginnen und den Prozess durchzuhalten, ist schwer. Nicht selten wird die Selbstwahrnehmung der Täter radikal infrage gestellt: Sie werden mit Wahrheiten über sich selbst konfrontiert, die ausgehalten werden müssen.
In Gruppen müssen die Täter vor anderen öffentlich über ihre Taten sprechen. Hier kämen sie nicht mehr mit Phrasen durch, sagt der Sozialpädagoge Matthias Hendel, sondern müssten „die Hosen runterlassen“. Das kann eine hohe Hürde sein: Nicht wenige Klienten brechen die Kurse auch ab.

Kann die Täterarbeit gestärkt werden?

Der Täter kann bei häuslicher Gewalt fast immer eindeutig ermittelt werden, wenn es denn zur Anzeige kommt. Doch die Teilnahme an Gewaltpräventionsprogrammen ist in Deutschland nicht grundsätzlich verpflichtend.
Bundesinnenministerin Faeser (SPD) und Familienministerin Paus (Grüne) hatten für diese Wahlperiode Gesetze zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalttätern geplant. Nach dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition ist nun offen, ob sie noch kommen. Eine geplante Maßnahme sind auch verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Gewalttäter.
Faeser hat Österreich als Vorbild benannt. Hier gibt es bereits eine verpflichtende Beratung für Täter bei häuslicher Gewalt. Doch belastbare Zahlen, wie gut das Konzept wirkt, stehen bisher noch aus. Auch in Deutschland gibt es kaum Forschung zur Effektivität der Täterarbeit.
Dennoch ist klar, dass Täterarbeit Gutes bewirken kann – wenn der Täter mitarbeitet und es will. Das Schwerste für ihn sei bisher gewesen, seine Tochter wieder in den Arm nehmen zu können, ohne ein schlechtes Gefühl dabei zu haben, sagt ein Klient, der regelmäßig zu Sitzungen im Verein Handschlag e.V. kommt.
Er hatte sein Kind geschlagen, der Tochter Gewalt angetan: „Ich kann es nicht ungeschehen machen. Aber ich kann das Beste aus dem machen, was (mir) als Möglichkeit geboten wird. Ich kann dafür sorgen, dass es nicht nochmal passiert.“

ahe
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