Der sichere Fels bei Affoltern
Dieses Projekt ist einmalig: einen sicheren Hafen, einen "safe haven", für weltweit gefährdete Kulturgüter zu schaffen. Schauplatz ist ein Stollen im schweizerischen Affoltern. Auch bei Naturkatastrophen könnte er zum Einsatz kommen. Dagegen werden die Regierungen in Syrien und dem Irak das Angebot wohl eher nicht nutzen, sagen Experten.
Sicherheitsschleusen - nur zu passieren mit dem richtigen Zahlencode. Kamera-Überwachung, schwere Stahltüren... Das sogenannte Sammlungszentrum des Schweizerischen Nationalmuseums ist so gut geschützt wie der Tresorraum einer Großbank.
Im Kanton Zürich, am Ortsrand der kleinen Gemeinde Affoltern am Albis liegt der von außen eher unscheinbare, rostfarbene Zweckbau. Die Schweizer Armee nutzte das Gebäude bis vor acht Jahren noch als Zeughaus, lagerte hier Uniformen und militärische Ausrüstung. Jetzt lagert an dieser Stelle einer der größten Schätze der Schweiz: Die ganze Bandbreite des eidgenössischen Kulturerbes.
„Wir fangen bei der Münze an. Das geht bis zur Statue. Hier werden sämtlich Objekte eingelagert, die das Schweizerische Nationalmuseum mit seinen Zweighäusern besitzt und nicht in Ausstellungen sind. Wir haben sehr viele Wechselausstellung, wir haben auch ne Dauerausstellung. Aber das ist ja nur ein Bruchteil der Objekte, die das Museum überhaupt besitzt. Das Depotgebäude hat 10.000 Quadratmeter auf drei Stockwerken verteilt. Es sind zwischen 850.000 und einer Million Objekten.“
„Wir fangen bei der Münze an. Das geht bis zur Statue. Hier werden sämtlich Objekte eingelagert, die das Schweizerische Nationalmuseum mit seinen Zweighäusern besitzt und nicht in Ausstellungen sind. Wir haben sehr viele Wechselausstellung, wir haben auch ne Dauerausstellung. Aber das ist ja nur ein Bruchteil der Objekte, die das Museum überhaupt besitzt. Das Depotgebäude hat 10.000 Quadratmeter auf drei Stockwerken verteilt. Es sind zwischen 850.000 und einer Million Objekten.“
Die Deutsche Elke Mürau gehört zum Experten-Team des Sammlungszentrums. Zusammen mit 25 Kollegen sorgt die Konservatorin und Restauratorin für die fachgerechte Aufbewahrung der Schweizer Kulturgüter.
„Das hier ist jetzt die Rollregalanlage, in der alle unsere Gemälde aufbewahrt werden. Die hängen hier in Gittern, senkrecht.“
Elke Mürau lässt ein berühmtes Gemälde herausrollen: Ein Fragment von Hans Ernies legendärem Monumentalwerk zur Schweiz, ein insgesamt hundert Meter langes Wandbild des bekannten Malers aus dem Jahr 1939.
Elke Mürau lässt ein berühmtes Gemälde herausrollen: Ein Fragment von Hans Ernies legendärem Monumentalwerk zur Schweiz, ein insgesamt hundert Meter langes Wandbild des bekannten Malers aus dem Jahr 1939.
„Es ist ein sehr, sehr heikles Objekt, weil da ist eine sehr matte Malschicht oben drauf, die sehr stark pudert. Also man muss sie sehr vorsichtig handhaben.“
In Affoltern ist man auf jede Kunstgattung eingerichtet
Aber auch auf heikle Fälle ist man hier eingerichtet, auf jede Kunstgattung, auf jede Epoche der Zeitgeschichte.
„Hier haben wir jetzt viele archäologische Objekte unserer Sammlung eingelagert. Die einzelnen Fragmente liegen da in einem Schaum schön eingebettet.“
„Hier haben wir jetzt viele archäologische Objekte unserer Sammlung eingelagert. Die einzelnen Fragmente liegen da in einem Schaum schön eingebettet.“
Sicher gebettet, streng bewacht, von Fachleuten betreut - das Kulturerbe der Eidgenossen wird bestens gehütet. Diesen hohen Standard will die Schweiz jetzt im Krisenfall mit der Weltgemeinschaft teilen. Ganz in der Nähe vom Sammlungszentrum in Affoltern soll ein Bergungsort für gefährdete ausländische Kulturgüter eingerichtet werden, ein „Safe Haven“, ein „sicherer Hafen“, wie es im internationalen Sprachgebrauch heißt - ein weltweit bislang einmaliges Projekt.
Ein alter Bergstollen soll umfunktioniert werden. Die Lage am Waldrand ist idyllisch. Doch auch hier wird Sicherheit groß geschrieben.
„Jetzt ist die Alarmanlage ausgeschaltet, und wir können die erste Tür öffnen.“
Ein alter Bergstollen soll umfunktioniert werden. Die Lage am Waldrand ist idyllisch. Doch auch hier wird Sicherheit groß geschrieben.
„Jetzt ist die Alarmanlage ausgeschaltet, und wir können die erste Tür öffnen.“
Bernard Schüle ist Kurator des Schweizerischen Nationalmuseums und Logistik- und Sicherheitsexperte im Sammlungszentrum. Über eine Treppe geht er zu einer senkrecht aufragenden Felswand. Hier sind Stahltüren eingelassen. Bernard Schüle holt einen Schlüssel hervor, der fast so lang ist wie sein Unterarm. 30 Zentimeter dick ist die schwere Tür, die er damit öffnet.
„Also ich habe jetzt die erste Türe aufgemacht. Jetzt laufen wir in den langen Gang. Das war hier mal ein Munitionsdepot. Der war tief im Boden untergebracht. Das heißt: Wir laufen etwa hundert Meter in den Boden.“
Bis zu den sogenannten Kavernen, neun Meter hohe, in den Stein geschlagene Hohlräume. Nach den engen Gängen sind das nun regelrechte Felsenhallen und - der künftige Bergungsort, erklärt Rino Büchel. Er ist der oberste Kulturschützer der Schweiz und Initiator des Save-Haven-Projektes:
„Das ist jetzt die Kaverne, die wir für die Aufnahme von ausländischem Kulturgut vorgesehen haben. Sie ist etwa 60 Meter tief und etwa sieben Meter breit. Man sieht und hört es, dass dieser Raum leer ist. Wir haben das auch wie ein Zollfreilager organisiert. Das heißt: Wenn ausländisches Kulturgut hier reinkommt, wird die Zollbehörde das wie ein Zollfreilager behandeln.“
Konstante Temperaturen und gleichbleibende Luftfeuchtigkeit
Museumskurator Bernard Schüle kontrolliert die eigens im Raum aufgestellten Messgeräte.
„Die Temperatur ist dadurch, dass wir tief im Berg drin sind, absolut konstant. Wir haben jetzt neun Grad, wie immer, 9,1 Grad. Das ist relativ stabil. Und 51 Prozent Feuchtigkeit. Und auch wenn neun Grad relativ kalt ist, wichtig für Kulturgüter ist die Stabilität.“
Es herrschen also ideale Bedingungen. Als die Armee das Munitionsdepot im Bergstollen räumte, haben die Kulturschützer deshalb gleich ihr Interesse angemeldet, so Rino Büchel:
„Also die Idee ist natürlich einerseits entstanden, dass wir gesagt haben: Wir suchen Standorte für das Schweizer Kulturgut. Das war der erste Punkt. Und dann kam die Idee auf: Wir haben ja schon die Fälle gehabt in der Schweiz, Kulturgut aufzubewahren, vor dem zweiten Weltkrieg, im spanischen Bürgerkrieg, Objekte aus dem Prado, die in Genf gelagert waren. Oder Kulturgut aus Afghanistan in Bubendorf bei Basel. Da haben wir uns gesagt, dass wäre ja auch eine Chance, hier so etwas anzubieten, zumindest wurden diese Räumlichkeiten frei. Und wir haben dann miteinander diskutiert, Herr Schüle und ich: In welcher Form könnte man das realisieren.“
Im vergangenen Jahr überlegten dann auch die beiden Schweizer Parlamentskammern mit, der Nationalrat und der Ständerat, im Rahmen der Debatte über ein neues Kulturgüterschutz-Gesetz. Bisher gab es dazu nur Privat-Initiativen: Wie während des Bürgerkriegs in Spanien, als der Museumsdirektor des Prado in Madrid sich mit einem befreundeten Kollegen aus Genf zusammen tat, um die kostbare Gemäldesammlung heimlich außer Landes zu schaffen. Offizielle Verträge gab es damals nicht. Ähnlich war es beim Abtransport von kriegsgefährdetem Kulturgut aus Afghanistan, für das bei Basel vorübergehend ein eigenes Museum geschaffen wurde.
„In der Zwischenzeit hat sich natürlich das Bild geändert. Man möchte nicht irgendwelche Kulturgüter in der Schweiz haben, die nicht nachweislich auf richtigem, ordentlich Weg in die Schweiz gekommen sind. Das neue Kulturgüterschutzgesetz vom 1.1.2015 regelt sehr detailliert den Artikel 12, die Aufnahmebedingungen für ausländisches Kulturgut. Wir möchten, dass in sehr enger Zusammenarbeit mit der UNESCO machen. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit die entsprechenden Staatsverträge auch auszuarbeiten, das heißt: es braucht einen Gegenpart, es braucht einen anderen Staat, der bereit ist das Kulturgut zu übergeben, zumindest vorübergehend.“
Bernard Schüle: „Das Szenario ist natürlich, dass ein Land, wo die politische Situation unstabil ist, fürchtet für seine Kulturgüter. Wir haben in den letzten Zeiten zu Genüge gesehen und gelesen, dass Kulturgüter heute strategisch sind. Man will die Elemente, die einem Volk als Basis für eine Kultur dient, vernichten.“
Projektleiter will sich nicht auf bestimmte Krisenländer festlegen
Bernard Schüle spielt unter anderem auf die Zerstörung von Kulturerbe im syrischen Bürgerkrieg und im Irak an. Dort haben die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates Museen und antike Ausgrabungsstätten überfallen, schwer beschädigt, teilweise komplett zerstört. Sogar Weltkulturerbestätten wurden vom IS in die Luft gesprengt. In Syrien haben die Islamisten die Antikenstadt Palmyra unter ihrer Kontrolle.
Rino Büchel möchte sich als Verantwortlicher des Safe-Haven-Projektes vorab nicht auf bestimmte Krisenländer festlegen. Als Aufnahmegrund für ausländisches Kulturgut wäre auch eine Naturkatastrophe denkbar, betont er:
„Es müssen nicht nur bewaffnete Konflikte sein. Man könnte sich sehr wohl vorstellen: Ein großes Erdbeben. Die kulturellen Institutionen sind überfordert mit entsprechenden Lagerräumlichkeiten und wären froh, wenn sie kurzfristig etwas Verfügbares hätten, das einen gewissen Standard bietet.“
Einen sicheren Platz, zuverlässige Treuhänder und die gleichen Kunst-Experten, denen die Schweiz ihr eigenes Kulturerbe anvertraut – ganz gleich ob Gemälde oder antike Statue. Mohamed Fakhro wäre froh gewesen, wenn er dieses Angebot hätte in Anspruch nehmen können. Der Syrer war bis zum vergangenen Jahr Vize-Direktor des Nationalmuseums in Aleppo.
„Es wäre wirklich ausgezeichnet, wenn man bedrohte Kulturgüter vorübergehend außer Landes bringen könnte, an einen wirklich sicheren Ort wie die Schweiz“,
sagt der 37-Jährige. Doch bisher hat er es nur persönlich bis in die sichere Schweiz geschafft. Am Institut für Archäologische Wissenschaften an der Berner Universität schreibt Mohamed Fakhro gerade seine Doktorarbeit. Privat eine Zeit der Ruhe nach traumatischen Erlebnissen in der umkämpften Heimat:
„Die Unruhen begannen in Aleppo 2012. Als eine Autobombe gleich in der Nähe des Museums explodierte und noch ein zweiter Sprengsatz auf dem Platz nebenan, wurden viele Exponate zerstört. Die syrische Antikenverwaltung entschied mit uns gemeinsam, alle Vitrinen leer zu räumen. Jedes Stück Glas war zersplittert. Und kurz darauf fielen die Bomben ohnehin überall. Die kostbarsten Dinge, Schätze aus Gold, wurden nach Damaskus gebracht oder…, ich weiß nicht genau wohin. Die anderen Objekte trugen wir in unser Lager und mauerten den Eingang zu. Das Problem waren die tonnenschweren Großstatuen. Wir konnten sie nicht bewegen. Wir haben sie dann mit Sandsäcken zugestapelt. Es war wahnsinnig schwer, diese Säcke ins Museum zu schleppen.“
Denn draußen vor der Museumstür ging der Bürgerkrieg ja weiter. Und so wie damals Mohamed Fakhro bringen sich heute noch immer Tag für Tag Syrer in Gefahr, um bedrohtes Kulturerbe vor Zerstörung und Raub zu bewahren, sagt Mirko Novák voller Respekt. Der Deutsche ist Vorderasien-Archäologe und Professor an der Uni Bern. Auch er begrüßt das Schweizer Angebot, einen Safe Haven zu schaffen:
„Das ist ein sehr wichtiges Signal, das sehr viel weiter geht als all das, was wir sonst in der Kulturpolitik der internationalen Community so haben. Inwieweit das realistisch umgesetzt werden kann, das hängt von verschiedenen Rahmenbedingungen ab. Und dann eben aber auch, wie verfährt man jetzt eben mit den jeweiligen Regierungen? Also ich mache einen Kontrakt jetzt mit einem Regime, das mir diese Sachen anvertraut. Was ist, wenn es dieses Regime in einem Jahr nicht mehr gibt, und ein ganzes anderes da ist? Dass eben auf die Einhaltung dieser Verträge pocht. Ich aber weiß, dass das eben ein Regime ist, dass unter Umständen eben nicht ein uneigennütziges Interesse an diesen Kulturgütern hat.“
Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der syrischen Regierung
Im Falle Syriens, wo Mirko Novák vor dem Bürgerkrieg viele Jahre Ausgrabungen geleitet hat, hat er jedoch Zweifel, dass das Assad-Regime überhaupt bereit ist, gefährdete Kulturgüter tatsächlich außer Landes zu bringen.
„Also ich seh das schon ein gewisses Problem, dass natürlich eben die propagandistische Message bei der Ausfuhr dieser Objekte eine verheerende wäre für diese Regierung. Man würde sich ‘ne Blöße geben.“
Und genau die kann sich ein wackelndes Regime nicht leisten. Auch der Schweizer Kulturrechtsexperte, Andrea Raschèr sieht noch reichlich Klärungsbedarf, bevor der Felsstollen in Affoltern tatsächlich zum Bergungsort wird.
„Das sind knifflige Fragen, die noch nicht geklärt sind. Dafür ist ja die UNESCO dann da, dass die UNESCO als überparteiliche Organisation alle an einen Tisch bringt und dann eine Lösung ermöglicht. Aber ich denke im Fall von Syrien sind die Probleme im Moment so groß, dass ich nicht denke, dass syrische Kulturgüter nicht in absehbarer Zeit an diesen Bergungsort kommen.“
Andrea Raschèr war früher selbst im Schweizer Bundesamt für Kultur tätig und wirkte dort an der Formulierung von Gesetzestexten mit, bevor er zum unabhängigen Berater wurde. Von seinen Reisen kennt der international tätige Jurist auch die Vorbehalte, die dem Projekt der Schweiz aus manchen Ländern entgegen schlagen:
„Ich war vor ein paar Monaten in einer Konferenz im Mittleren Osten und da hat ein Delegierter gesagt: Also ihr Schweizer seit ja schon ein lustiges Volk. Zuerst klaut ihr alle unsere Dinge und jetzt stellt ihr einen Ort her und bittet uns, dass wir sie selber hinbringen. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Bergungsort zuerst im Fall einer Naturkatastrophe genutzt werden wird. Das wird auch die Chance sein zu zeigen, wie das funktioniert, dass die UNESCO und die Schweiz rasch und gut zusammen arbeiten können. Ich meine, es geht ja darum, auch Vertrauen aufzubauen. Damit die Leute überhaupt sehen: Es gibt diese Möglichkeit.“
Raschèr: Das Mindeste, was eine Kulturnation leisten sollte
Lange Jahre, bis zur Verschärfung der Kulturgesetze, war die Schweiz nämlich noch der „Safe Haven“ des illegalen Kunsthandels, galt als einer der weltweiten Hauptumschlagplätze für Raubkunst. Ein Punkt, den auch der syrische Archäologe Mohamed Fakhro nicht höflich verschweigen möchte. Denn immer da, wo Museen und Ausgrabungsstätten in die Schusslinie geraten, sei es neben den Kollateralschäden der gezielte Raub von wertvollen Objekten, der das Kulturerbe Syriens vernichte. Das Angebot des „Safe Haven“ dürfe in der Schweiz nicht davon ablenken, dass der Sumpf des illegalen Handels mit Kulturgütern noch lange nicht trocken gelegt sei.
„Man sollte mit Polizei und Interpol dringend dafür sorgen, dass die gestohlenen Kulturgüter nicht mehr in die Schweiz und nach Europa geschmuggelt werden“,
mahnt der ehemalige Vize-Direktor des Nationalmuseums Aleppo. Dass die Ermittlungsbehörden den Bergstollen auch als Depot für beschlagnahmtes Kulturgut benutzen könnten, schließen die Schweizer Kulturschützer allerdings kategorisch aus. Der sichere Fels bei Affoltern soll ausschließlich gefährdeten Objekten aus Krisenzonen dienen. Für den Kulturrechtsexperten Andrea Raschèr auch international ein wichtiger Schritt:
„Es ist ein ganz wichtiger Meilenstein im Kulturgüterschutz, dass ein Land sagt: Wir sind bereit, Kulturgüter temporär professionell aufzubewahren. Ich meine, der Stollen ist von höchster Qualität, was Klima, was Sicherheit anbelangt. Es geht nicht von heute auf morgen, aber ich denke, das ist richtig und wichtig, dass ein solches Angebot besteht. Und es ist das Mindeste, das eine Kulturnation dies macht.“