Traurig wie noch nie
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Nicht einmal ein Jahr nach dem "Weißen Album" veröffentlicht der Offenbacher Rapper Haftbefehl jetzt "Das Schwarze Album". Darauf wird weniger geprotzt als auf dem Vorgänger, die Texte beschäftigen sich mit Depressionen und dem Leben im Drogensumpf.
Drogen, Arbeitslosigkeit, Suizidgedanken – die Lebensrealität, von der Haftbefehl auf "Das Schwarze Album" berichtet, ist düster. Die "weißen Linien" und das Gefühl völliger Hoffnungslosigkeit, von dem hier die Rede ist, sind tatsächlich prägende Bestandteile seiner Biografie.
Der Rapper, der bürgerlich Aykut Anhan heißt, ist in einem Plattenbau-Viertel in Offenbach am Main groß geworden, und war gerade einmal 14 Jahre alt, als sein Vater sich das Leben genommen hat. Danach hat er die Schule abgebrochen, fing an, mit Drogen zu dealen, saß im Jugendarrest und ist 2006, um einem offenen Haftbefehl zu entgehen, in die Türkei abgetaucht.
Haftbefehl hat eine Rockstar-Aura und polarisiert. Gleichzeitig ist er ein unheimlich begabter Geschichtenerzähler, der nur wenige Worte braucht, um große, bedeutungsschwere Bilder zu schaffen. Das gelingt ihm, obwohl er ziemlich assoziativ und ohne große Rücksicht auf Grammatik, Reimschemata oder korrekte Betonungen textet.
Yin und Yang
Hinzu kommt, dass Haftbefehl aus verschiedensten Sprachen und Straßenslangs eine eigene, multilinguale Sprache entwickelt hat, die unheimlich herausfordernd, spannungsgeladen und identitätsstiftend für die migrantische Community in Deutschland ist. Dazu kommt seine besondere Stimme, die in einem eigenen Stakkato-Rapstil den Liedern eine für deutschen Rap untypische Dramatik verleiht.
Sowohl Cover als auch Titel legen nahe, dass "Das Schwarze Album" das Yang zum Yin von dem vor einem Jahr erschienenen "Das Weiße Album" ist. Musikalisch wirken die beiden Projekte wie aus einem Guss – was in erster Linie daran liegt, dass der Produzent Bazzazian in beiden Fällen für die Beats zuständig war.
Eine Hommage an den frühen Haftbefehl
Bei genauerem Hinhören fällt dann aber doch auf, dass es sich nicht um Zwillinge handelt. "Das weiße Album" war Haftbefehls Comeback nach einer langen Phase ohne Soloalbum. Es wirkte aus künstlerischer Sicht experimentierfreudiger, ausgefeilter und auf vielen Ebenen triumphaler und selbstbewusster. Haftbefehl erzählte da vom "Für-immer-reich-sein" und vertonte die trügerischen Höhenflüge, die einem der Kokain-Konsum bescheren kann.
"Das schwarze Album" wirkt hingegen deutlich intuitiver. Stellenweise klingt es wie eine Art Hommage an Haftbefehls frühe Veröffentlichungen und geht inhaltlich in deutlich dystopischere Sphären. Haftbefehls Musik war immer düster – aber so düster, bedrückend und traurig wie dieses Mal war sie noch nie.
Er erzählt von mit Kokain präparierten Zigaretten, Crackküchen und Leichenwagen, die im Plattenbaukarree ihre Runden drehen. Von Verhältnissen zwischen Armut und Perspektivlosigkeit, die es quasi unmöglich machen, nicht in die Kriminalität abzurutschen.
Haftbefehl beschreibt über 13 Songs hinweg ein Klima der ausweglosen, kollektiven Depression und lässt das Album in den letzten beiden Songs in einer Art Endzeit-Szenario gipfeln, in dem er "Engel mit schwarzen Flügeln" besingt.
Wenn nur der Sexismus nicht wäre
Damit vertont er Missstände, mit denen sich viele Menschen in Deutschland tagtäglich konfrontiert sehen: armutsbedingte Negativspiralen, die in die Kriminalität führen, das Gefühl, den Alltag nur betäubt ertragen zu können und das Nicht-raus-kommen aus marginalisierten Milieus.
Das lyrische Niveau vom "Schwarzen Album" ist größtenteils sehr beeindruckend. Zeilen und Bilder wie "Ich wasch’ mir die Schmauchspuren aus der Seele" haben eine enorme Power. Trotzdem fällt an manchen Stellen auf, dass mehr Füllmaterial wie offensichtliche Zweckreime enthalten sind, als auf dem letzten, deutlich feingeschliffeneren "Weißen Album". Dazu primitive und sexistische Passagen ohne jegliche erkennbare doppelte Ebene. "Das Schwarze Album" verdient deshalb keine Superlative, aber auf jeden Fall eine Empfehlung.