Weltkulturerbe als Erdogans politischer Spielball
22:32 Minuten
Beinahe 1000 Jahre galt die Hagia Sophia in Istanbul als prächtigste Kirche des christlichen Ostens. Lange als Museum genutzt, wurde sie im vergangenen Sommer wieder in eine Moschee umgewandelt. Eine politische oder eine Glaubensentscheidung?
Gleich fängt das Gebet in der Hagia Sophia an. Die Istanbuler Fremdenführerin Umut Bahceci braucht etwas, um zu verstehen, was über den Lautsprecher genau angesagt wird.
Auch für sie ist die ganze Situation noch neu: Frauen sollen in die extra Frauensektion auf der rechten Seite, heißt es. Die Männer dürfen zum Beten im mittleren Bereich bleiben.
Umut Bahceci läuft in Strümpfen rüber, wo schon ein paar Frauen bereit zum Beten knien. Die Schuhe bleiben im Vorraum in dunklen Holzregalen. Das Personal weist einige Touristinnen darauf hin, ihr Haar mit einem Schal zu bedecken. Es hat sich einiges verändert, erklärt die 43-jährige:
"Sie haben Teppich ausgelegt. Das ging alles recht schnell. Dann kamen diese ganz neuen Abtrennungen für den Frauenbereich dazu. Und sie haben Vorhänge angebracht. Das werden wir sehen, wenn wir zurück in den mittleren Bereich dürfen. Sie bedecken die Gottesmutter und Jesus Christus und auch ein weiteres Mosaik von Engel Gabriel."
Touristen packen die Handys weg
Tatsächlich ist im Innenraum das Omphalion, ein Bodenmosaik am Platz des Kaisers, nicht unter dem türkisfarbenen Teppich verschwunden. Inzwischen knien zahlreiche Männer im Innenraum und Frauen im kleinen Bereich auf der Seite.
Dazwischen die wenigen internationalen Besucher, die es in Corona-Zeiten noch in die Hagia Sophia zieht. Die meisten packen ihre Handys weg, versuchen sich dezent in den Hintergrund zu halten, um nicht zu stören.
Von 532 bis 537 wird die Hagia Sophia im byzantinischen Reich erbaut, also in nur fünf Jahren. Mehr als 900 Jahre lang ist sie dann Kirche - bis 1453. Dann erobert Sultan Mehmed II. Konstantinopel, das heutige Istanbul. Der Bau wird zur Moschee. Kirchenglocken, der Altar, Ikonen, christliche Insignien und Mosaike zerstört, übermalt oder verschleppt und Minarette angebaut.
"Wichtig ist, das kulturelle Erbe zu schützen"
Aber auch diese Phase hat ein Ende. 1934 entscheidet Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk: Die Hagia Sophia soll für alle als Museum zugänglich sein. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Konservative den Bau wieder als Moschee nützen wollen.
Aber erst diesen Sommer macht das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei den Weg dafür frei. Bei vielen aus der säkularen türkischen Gesellschaft schlägt das keine großen Wellen, weder in die eine noch in die andere Richtung. Kemal, ein Istanbuler Arzt beispielweise, war zwar erst dagegen, inzwischen sieht er es entspannt:
"Es gab immer Übergänge von Kirchen zu Moscheen und von Moscheen zu Kirchen. Und es war nie ein Problem, wenn man es einfach als einen Ort des Gebets sieht. Wichtig ist, das kulturelle Erbe zu schützen."
Für viele Muslime geht ein Traum in Erfüllung
Für viele gläubige Muslime geht im Sommer beim ersten Freitagsgebet seit mehr als 80 Jahren ein Traum in Erfüllung. Auch für diesen Mann aus dem Osten der Türkei:
"Wir sind aus Adiyaman zur Eröffnung der Hagia Sophia gekommen. Das war immer unser Wunsch gewesen, dass sie wieder als Moschee geöffnet wird. Gott sei Dank ist sie jetzt eröffnet."
Am 24. Juli feiert er mit 350.000 Besuchern und Präsident Erdogan. Fast wie ein Eroberer besteigt der Chef der Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbas, mit einem Schwert die Gebetskanzel und zitiert Worte, die dem Propheten Mohammed zugeschrieben werden:
"Eines Tages wird Konstantinopel erobert werden. Gesegnet ist der Herrscher, dem dies gelingt."
Die Christen haben hier viel mitgemacht
Die Hagia Sophia ist vor der Zeit vor Mehmet II. nicht irgendeine Kirche. Sie ist Krönungskirche der byzantinischen Kaiser, Kathedrale des Ökumenischen Patriarchats Konstantinopels, ein universelles christlich-spirituelles Zentrum. Für viele orthodoxe Christen gilt sie auch heute noch als großes Heiligtum. Giannis Galitsis gehört der griechisch-orthodoxen Gemeinde in Istanbul an. Rund 2000 Mitglieder hat die Gemeinde wohl heute noch.
Anfang der 30er-Jahre sind es noch rund 100.000. Sie haben schon immer viel mitgemacht, sagt Giannis Galitsis. In den 40er-Jahren beispielsweise wird eine spezielle Vermögenssteuer eingeführt, die vor allem Minderheiten trifft. Wer nicht zahlen kann, wird in ein Arbeitslager deportiert.
"Dann der Pogrom am 6. und 7. September 1955", erklärt er. "Danach die Unruhen auf Zypern, die sich bis hier ausgewirkt haben. Tausenden Griechen wurde in Istanbul 1963 die Aufenthaltserlaubnis entzogen. Da ist uns wirklich Schlimmes widerfahren. Die Hagia Sophia jetzt schlägt da keine so große Wunde. Aber wehmütig stimmt es uns schon."
"Man ist uns gegenüber plötzlich voreingenommen"
Giannis Galitsis ist etwas über 60. Er hat nie woanders als in Istanbul gelebt und erzählt von vielen guten Jahren hier – auch unter Erdogan und seiner Partei:
"Vor allem in den ersten Regierungsjahren der AKP hat es gegenüber den Minderheiten eine Politik gegeben, die Applaus verdient hat und unsere Stimmen als Wähler noch dazu. Was auch immer in den letzten paar Jahren passiert ist, das können wir nicht nachvollziehen. Irgendwas hat sich verändert. Man ist uns gegenüber plötzlich voreingenommen."
Die Hagia Sophia in Istanbul ist nicht die einzige Kirche in der Türkei mit diesem Schicksal. Die Sophienkirchen von Iznik südöstlich von Istanbul und Trabzon am Schwarzen Meer werden schon 2011 beziehungsweise 2013 wieder zu Moscheen. Und auch die berühmte Chora-Kirche, ebenfalls ein Museum am Goldenen Horn in Istanbul, will Erdogan umwandeln. In ihr gibt es die wohl spektakulärsten byzantinischen Mosaike von Istanbul.
"Wir nehmen uns dem Erbe aller Zivilisationen an"
Wieder hagelt es Kritik. Im Sommer eröffnet der türkische Präsident das Felsenkloster Sumela im Nordosten des Landes wieder. Das Museum war restauriert und gegen Steinschlag und Erdrutsch abgesichert worden. Schon seit 1972 ist es Nationaldenkmal.
"Ich möchte mit dieser Restaurierung die Aufmerksamkeit von denen gewinnen, die uns immer wieder kritisieren", so Erdogan. "Die Arbeiten sind ein weiteres konkretes Beispiel dafür, wie wir uns dem Erbe aller Zivilisationen in unserem Land annehmen, es erhalten und verschönern.
Wenn es tatsächlich so wäre, dass - wie behauptet oder angedeutet - wir eine Nation wären, die Bauwerke und Symbole anderer Religionen zerstört, dann stünde dieses Kloster, das sich seit über fünf Jahrhunderten in unserem Besitz befindet, heute nicht mehr."
"Die Entscheidung über die Chora-Kirche hat uns getroffen"
Giannis Galitsis kennt diese Worte Erdogans. Er schüttelt verständnislos den Kopf:
"So eine Aussage mag ihn selbst vielleicht entzücken. Uns aber nicht. Denn insbesondere die Entscheidung über die Chora-Kirche hat uns immens getroffen. Da reichen auch mehrere Sumelas nicht aus, um diesen Schmerz zu lindern."
Neulich, erzählt Galitsis schmunzelnd, habe er Erdogan einen virtuellen Strauß Rosen geschickt – als Dankeschön. Denn der Termin für das erste Freitagsgebet in der Chora-Kirche, oder Chora-Moschee, der eigentlich Ende Oktober war, wurde erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben.
Wie kann man auf 80.000 Euro Eintritt täglich verzichten?
Galitsis ist Fremdenführer in der Türkei – seit über 30 Jahren. Hauptattraktion ist natürlich das Goldene Horn.
"Jeder Grieche, der nach Istanbul kommt, besucht die Hagia Sophia", erzählt er. "Es gibt wohl keinen Griechen, der die Türkei besucht, ohne die Hagia Sophia zu besichtigen. Und es leuchtet uns nicht ein, ja wir können es kaum fassen, wie man eine Sehenswürdigkeit verschließt, die pro Tag rund 80.000 Euro einbringt. Wie reich muss mein Land also sein, dass es sich den Verzicht auf täglich 80.000 Euro leistet."
Denn als Moschee kostet die Hagia Sophia keinen Eintritt mehr.
Trauergeläut in allen Kirchen Griechenlands am 24. Juli im vergangenen Sommer – die griechisch-orthodoxen Christen trauern, weil die Hagia Sophia an jenem Tag erstmals wieder als Moschee genutzt wird.
"Eine fürchterliche Attacke"
Das Oberhaupt der griechischen Kirche, Erzbischof Hieronymus der Zweite, verurteilt diesen Schritt auch heute noch mit deutlichen Worten.
"Ein katastrophaler Akt" sei das gewesen, "eine fürchterliche Attacke auf die Kultur der gesamten Welt und auf die Menschlichkeit", meint Erzbischof Hieronymus.
Schließlich sei die Hagia Sophia nicht irgendein Bauwerk, sondern sie werde in aller Welt als Symbol verehrt, seit weit mehr als eintausend Jahren. Priester Theologos Alexandrakis ist in der Erzdiözese Athen für die Ausbildung von Geistlichen zuständig. Er sagt: In der Hagia Sophia spiegele sich die Geschichte des Christentums wider.
"Dieses Gotteshaus hat historisch eine wichtige Rolle gespielt - für die Strukturierung des christlichen Glaubens. Und für die Dogmen des Glaubens in all den Jahrhunderten."
Theologos Alexandrakis hebt seinen Zeigefinger:
"Dort ist entstanden, was wir Christen glauben und verehren", sagt er über die Hagia Sophia in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Bis zur Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 war die Hagia Sophia 900 Jahre lang die größte Kirche des Christentums gewesen – und die wichtigste, betont Theologos Alexandrakis.
Die Hagia Sophia als Symbol der christlichen Welt
Konstantinopel war die Hauptstadt des byzantinischen Reiches, die Hagia Sofia das geistige Zentrum. Im 6. Jahrhundert, als die Hagia Sophia mit ihrer 56 Meter hohen Kuppel gebaut wurde, hatte es noch keine Kirchenspaltung in Orthodoxe und andere Glaubensrichtungen gegeben - in der Hagia Sophia könnten demnach alle Christen ihre Wurzeln finden:
"Dieses Gotteshaus Hagia Sophia ist ein Symbol des Christentums für alle - ob jemand orthodox ist, katholisch, protestantisch oder eine andere Konfession hat. Dieses Gotteshaus ist der zentrale Punkt und das Symbol der byzantinischen Kultur, also der christlichen Welt."
Nicht nur Theologen in Griechenland empfinden diesen besonderen Bezug zur Hagia Sophia, sondern praktisch alle Griechen. Das zeigt allein schon eine Statistik des Google-Konzerns. Demnach war der Begriff "Hagia Sophia" im Jahr 2020 das am dritthäufigsten eingegebene Suchwort in Griechenland – nach "Coronavirus" und "US-Wahl".
"Das ist eine Entscheidung, die uns verletzt"
Die Hagia Sophia bewegt die Griechen. Und die Umwandlung zur Moschee tut weh, sagt Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis:
"Das ist eine Entscheidung, die uns verletzt. Sie verletzt uns als Griechen und als orthodoxe Christen. Sie verletzt uns aber auch als Bürger der Welt. Denn hier geht es nicht um ein Anliegen zwischen Griechenland und der Türkei, auch nicht um ein Anliegen zwischen Europa und der Türkei, sondern es ist ein Thema für die ganze Welt."
Schließlich gehöre die 1500 Jahre alte Hagia Sophia zum Weltkulturerbe. Die Athener Zeitung "Kathimerini" titelte: Nun sei auch die Hagia Sophia zum Opfer von Erdogans Größenwahn geworden, der den osmanischen Eroberern nacheifere und nach immer mehr Macht strebe.
Ähnlich sieht das Priester Theologos Alexandrakis von der Erzdiözese Athen:
"Die Umwandlung des Gotteshauses von einem Museum zur Moschee ist ein klares Zeichen von Herrn Erdogan: Er will Druck auf die EU ausüben. Er will damit sagen: Gebt mir mehr Geld!"
Das dürfe sich die EU nicht bieten lassen, meint Kirchenvertreter Alexandrakis und fordert: Die EU müsse so lange Druck auf die Türkei ausüben, bis Präsident Erdogan die Entscheidung zurücknimmt und die Hagia Sophia nicht mehr als Moschee nutzen lässt.
Reaktion der EU gefordert
Wie dieser Druck aussehen könnte, ob mit Handelssanktionen oder einem Wirtschaftsboykott – diese Entscheidung will Theologos Alexandrakis den Politikern in Brüssel und in Berlin überlassen, wie er sagt. Hauptsache, sie üben Druck aus.
Aber Theologos Alexandrakis sieht weder in Brüssel noch in Berlin den Willen, überhaupt Druck auf die Türkei auszuüben, weil Wirtschaftsinteressen dagegenstünden, weil man lieber mit dem Handel mit der Türkei Geld verdienen.
Und das kritisiert der Priester der Erzdiözese Athen scharf: "Wenn wir als Bürger der Europäischen Union sehen, dass Europa nur ein Marktplatz für die Wirtschaft ist - und nicht viel mehr als das - dann ist das ein Fehlschlag."
"Sie muss wieder Kirche werden"
Europa müsse für seine kulturellen Werte einstehen, fordert Theologos Alexandrakis. Und zu diesen Werten gehöre letztlich, dafür zu sorgen, dass die Hagia Sophia wieder zur Kirche wird. Selbst ein Kompromiss käme für den Kirchenmann nicht in Frage: Etwa, dass die Hagia Sophia wieder Museum wird oder aber abwechselnd als Moschee und Kirche genutzt wird.
"Sie muss wieder Kirche werden, so wie sie es war. Sie kann nicht gleichzeitig Moschee sein."
Das wird wohl vorerst ein frommer Wunsch aus Athen bleiben, denn nun ist die Hagia Sophia zunächst einmal ausschließlich Moschee. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis versucht, darüber hinwegzutrösten, indem er sagt:
"Was sich da abspielt, ist kein Beweis von Stärke, sondern ein Beweis von Schwäche. Aber all das kann nicht bewirken, dass die Ausstrahlung und der Glanz dieses Denkmals, das Weltkulturerbe ist, in irgendeiner Weise verringert wird."
Der Religionswissenschaftler Ihsan Eliacik lebt und arbeitet im Istanbuler Stadtteil Balat. Der liegt ebenfalls am Goldenen Horn und ist ein besonderer Stadtteil. Hier wohnen bis Ende der 40er-Jahre viele Juden. Als Israel gegründet wird, wandern sie aus und Türken, Kurden und Roma vor allem aus Anatolien ziehen ein. Aber man sieht in den engen Gassen auch immer wieder den einen oder anderen orthodoxen Geistlichen im schwarzen langen Gewand. Denn nicht weit von Eliaciks Büro ist die Georgs-Kathedrale, der Sitz des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel mit seinem Oberhaupt Bartholomäus I.
Kritik an konservativen Ritualen
In dieser Atmosphäre beschäftigt sich der muslimische Religionswissenschaftler mit der Frage, was einen guten Moslem ausmacht. Seine Antwort unterscheidet sich deutlich von der des türkischen Staates, sagt er:
"In ihren Augen ist ein guter Muslim nur einer, der sich zum Gebet verneigt, der fastet, der eine Wallfahrt macht, der sich verschleiert, streng verhüllt und in die Moschee geht. Ich sage dagegen, das können keine Voraussetzungen für gute Muslime sein, da es sich dabei höchstens um Rituale handelt."
Eines dieser Rituale zelebriert der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet Ali Erbas am Eröffnungstag der Hagia Sophia. Er steigt mit einem Schwert in der Hand auf die Minbar, die Kanzel der Moschee.
"In früheren Jahrhunderten, wenn die Sultane Gebiete erobert hatten, dann veranlassten sie als Zeichen ihrer neuen Herrschaft Freitagsgebete, an denen sie sich mit einem Schwert in der Hand beteiligten. Das ist das Produkt einer dschihadistischen, kriegerischen, missionarischen Religionsauffassung. Mit den Werten des Islam hat das nichts gemein. Aber das Diyanet setzt diese Tradition fort, weil es stockkonservativ ist und diese alte Religionskultur, ohne zu hinterfragen, übernimmt."
Erdogans Traum von einem neuen Osmanischen Reich
Am Tag nach der großen Zeremonie breitet ein Bootsbesitzer am Goldenen Horn eine große Flagge auf seinem Bug aus. 1453 steht darauf – das ist nicht nur das Jahr, in dem Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia zur Moschee macht, sondern auch Konstantinopel zur Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Der Funke scheint übergesprungen.
Viele sagen, Erdogan gehe es gar nicht um den Islam, sondern mit seinem außenpolitischen und militärischen Engagement beispielweise in den Kriegen in Syrien, Libyen oder um Bergkarabach um Neo-Osmanismus, um den Traum vom neuen Osmanischen Reich. Dabei sei die Hagia Sophia ein wichtiges Symbol.
Ihsan Eliacik teilt das nur bedingt: "Ihm schwebt eine Türkei vor, die im Zentrum der islamischen Welt steht und die sie kontrolliert. Er ist davon überzeugt, dass der Islam ausgegrenzt, diskriminiert wurde, mittels des Laizismus."
Der Islam muss modernisiert werden
Eliacik ist nicht nur Religionswissenschaftler, sondern auch ein politischer Kopf, ein Oppositioneller. Er kritisiert aber auch die größte Oppositionspartei, die CHP, für ihren Umgang mit dem Islam und manche Militärs:
"In der Vergangenheit - stellen Sie sich vor - hat es Generalstabschefs in der Türkei gegeben, die gesagt haben, die Türkei sei kein muslimisches Land. Nur um Europa zu gefallen. Das hat breite Massen in der Türkei sehr aufgebracht. Unter einer möglichen CHP-Regierung muss es heißen: Wir sind Muslime, in diesem Land wird der Gebetsruf ertönen, wir akzeptieren Religion und Tradition, sehen unsere Zukunft aber in Erneuerung, zeitgenössisch, weltoffen! Die CHP muss sagen: Das alles zusammen ist die Türkei. Und so muss sie die Lehre ziehen aus der AKP-Zeit. Wenn sie aber den Fehler der Diskriminierung wiederholt, beispielsweise das Kopftuch wieder verbietet, dann wird das konservative Lager bei den nächsten Wahlen noch stärker."
Der Istanbuler Religionswissenschaftler fordert vehement, den Islam zu modernisieren. Die Hagia Sophia zu einer Moschee zu machen, sei rückwärtsgewandt. Man hätte sie in einer ersten Phase für Gebete öffnen sollen, allerdings sonntags für Christen und freitags für Muslime.
"In der zweiten Phase müsste man die Hagia Sophia den Christen ganz zurückgeben - als Kirche. Sonntags sollten die Glocken läuten und gegenüber in der Moschee der Gebetsruf ertönen. So hätte man in die ganze Welt ein hervorragendes Signal für die Weltlichkeit, die Tugendhaftigkeit und die Toleranz des Islams senden und Istanbuls Image als Stadt des Friedens und der Toleranz festigen können."
"Die Hagia Sophia ist wie das Herz der Welt"
Gegenüber ruft die Blaue Moschee zum Gebet, darum herum zahlreiche andere. Keine davon sei voll, kritisiert der 59-Jährige, wozu also noch eine Moschee? Für ihn habe aber auch die Hagia Sophia als Museum nichts mehr Innovatives gehabt.
"Sie wäre einfach weiter nur dagestanden", sagt er. "Dabei ist es so wichtig, dass sich die Menschen dieses Landes wieder an die anderen gewöhnen, wie es früher war, beispielsweise auch in Balat, dass die Menschen dieses Landes sich nicht an Glockengeläut stören, dass sie wieder ein Miteinander entdecken. Denn ein Nebeneinander bringt nur Unheil, birgt Gefahren."
Umut Bahceci, die Istanbuler Fremdenführerin, steht inzwischen vor der Hagia Sophia. Sie blinzelt in die Wintersonne. Seit fast 20 Jahren gehört dieser mächtige Bau zu ihrem Berufsalltag. Die Veränderungen jetzt können der speziellen Magie dieses Ortes nichts anhaben, findet sie:
"Die Hagia Sophia ist ein Ort, der alle Willkommen heißt, wo sich alle unter einer Kuppel versammeln, egal welcher Religion sie angehören, an was sie glauben, woher sie kommen. Das spielt keine Rolle. Die Hagia Sophia ist wie das Herz der Welt. Und dieses Herz schlägt immer noch."