Haikus getanzt
John Neumeier eröffnete die 36. Hamburger Ballett-Tage mit "Fließende Welten", zwei japanisch inspirierten Choreografien. Am Sonntagabend ging es in der Staatsoper los mit "Seven Haiku of the Moon" ("Sieben Haikus über den Mond"), eine Pièce, die Neumeier 1989 mit dem Tokyo Ballet in der japanischen Hauptstadt kreiert hatte. Haiku - das ist ein japanisches Gedicht mit einer strengen Form; von ihnen ließ sich Neumeier anregen.
Die Gedichte sind extrem kurz, verdichtet - Neumeier versuchte herauszufühlen, welche Saite die Haikus in ihm zum Schwingen brachten - und übersetzte die Poeme in Bewegung. Ein Haiku zum Beispiel spricht von einer Mondnacht, in der Vogelscheuchen wie Menschen wirken. Auf der Bühne der Staatsoper tanzen im Hintergrund einige groteske Gestalten expressiv, expressionistisch - Vogelscheuchen. Der Kontrast zum in sich ruhenden, hoheitsvollen Mond ist kaum stärker zu denken.
Neumeier ist ein konservativer Künstler. Eine immer wiederkehrende elitäre Denkfigur ist die vom großen Individuum und der niederen Masse. Hier stellen die Vogelscheuchen die Menge dar, unfähig, Bewegung in Harmonien umzusetzen, der Mond aber verkörpert die Vollendung. (Ob sich Neumeier da selbst porträtiert, hochmütig auf uns Alltagsmenschen herabblickt?)
Thiago Bordin tanzt wie ein junger Gott. Der Brasilianer sieht mit seinen braunen Locken und dem ebenso athletischen wie eleganten Körper aus wie Dionysos selbst. Den Mond tanzt Bordin hieratisch, erhaben, enigmatisch, vieldeutig. Auf jeden wirkt er anders, aber er wirkt. Zum Beispiel entbindet er erotische Fantasien - vor allem bei Frauen.
Weniger lyrisch, eher handfest wirkt der zweite Teil: "Seasons - The Colors of Time" ("Jahreszeiten - Die Farben der Zeit"). Neumeier erzählt von einem Lebenslauf: der Frühling ist die Jugend, Sommer der Höhepunkt des Lebens, Herbst Reife und am Schluss stehen Alter und Tod.
Lloyd Riggins tanzt den Protagonisten - als Junge und junger Mann ist er täppisch, linkisch, ein komischer Part. (Der übrigens nicht über die Rampe kommt. Das Hamburger Publikum, berüchtigt für seine schnelle Auffassungsgabe, lacht nicht). Der Junge ist eine Leseratte, das Leben gleitet an ihm vorbei, während er seine Nase in ein Buch steckt. Riggins lehnt sein Bewegungsvokabular an Charly Chaplin an - und er trägt auch dessen Melone. Ein Clown, der auch an Protagonisten in Becketts absurden Klassikern erinnert.
Den Schwerpunkt legt Neumeier auf das Ende - Lieder von Franz Schubert erinnern an Winter und Tod. (An diesem Abend kommt die Musik vom Tonträger). Die Liebe hat das Leben des Protagonisten nur kurze Zeit aufgehellt, dann melden sich Anzeichen der Vergänglichkeit und drängen ihn zur dunklen Pforte. Doch der "Mann" widerstrebt - Ort für lange Pas de deux für zwei Herren. Zu lange, hier hätte Neumeier kürzen sollen. Aber er ist nicht mehr der Jüngste - man merkt, wie ihn das Thema Zerfall gepackt hat. Den Tod deutet der Choreograf nicht als finale Katastrophe, sondern als "Heimkehr" – christlich angehaucht.
Neumeier hat nicht nur die Choreografien entworfen, sondern auch das Bühnenbild, die Kostüme und das Lichtdesign. Dadurch entsteht eine große Dichte - die Ballette erscheinen perfekt. Das ist die Stärke - und gleichzeitig die Schwäche der Produktionen. Sie enteilen in Räume jenseits unseres Alltags ins Makellose, Weltenferne - während Schauspiel, Literatur und Film sich um unsere höchst irdischen Krisen kümmern, entflieht Neumeier in eine bessre Welt.
Kein großer Abend, aber doch sehenswert. Die Tänzer scheinen heller als ihr Choreograf. Auf dem Programm der Hamburger Ballett-Tage, die noch bis zum 27. Juni dauern, stehen vor allem Neumeier-Choreografien. Den Höhepunkt indes dürfte ein Gastspiel des Tokyo-Ballets bilden. Die Tänzer aus dem Land der aufgehenden Sonne präsentieren ein japanisches Ballett, das einst ein europäischer Meister geschaffen hat: Maurice Béjart - höchst attraktiv.
Neumeier ist ein konservativer Künstler. Eine immer wiederkehrende elitäre Denkfigur ist die vom großen Individuum und der niederen Masse. Hier stellen die Vogelscheuchen die Menge dar, unfähig, Bewegung in Harmonien umzusetzen, der Mond aber verkörpert die Vollendung. (Ob sich Neumeier da selbst porträtiert, hochmütig auf uns Alltagsmenschen herabblickt?)
Thiago Bordin tanzt wie ein junger Gott. Der Brasilianer sieht mit seinen braunen Locken und dem ebenso athletischen wie eleganten Körper aus wie Dionysos selbst. Den Mond tanzt Bordin hieratisch, erhaben, enigmatisch, vieldeutig. Auf jeden wirkt er anders, aber er wirkt. Zum Beispiel entbindet er erotische Fantasien - vor allem bei Frauen.
Weniger lyrisch, eher handfest wirkt der zweite Teil: "Seasons - The Colors of Time" ("Jahreszeiten - Die Farben der Zeit"). Neumeier erzählt von einem Lebenslauf: der Frühling ist die Jugend, Sommer der Höhepunkt des Lebens, Herbst Reife und am Schluss stehen Alter und Tod.
Lloyd Riggins tanzt den Protagonisten - als Junge und junger Mann ist er täppisch, linkisch, ein komischer Part. (Der übrigens nicht über die Rampe kommt. Das Hamburger Publikum, berüchtigt für seine schnelle Auffassungsgabe, lacht nicht). Der Junge ist eine Leseratte, das Leben gleitet an ihm vorbei, während er seine Nase in ein Buch steckt. Riggins lehnt sein Bewegungsvokabular an Charly Chaplin an - und er trägt auch dessen Melone. Ein Clown, der auch an Protagonisten in Becketts absurden Klassikern erinnert.
Den Schwerpunkt legt Neumeier auf das Ende - Lieder von Franz Schubert erinnern an Winter und Tod. (An diesem Abend kommt die Musik vom Tonträger). Die Liebe hat das Leben des Protagonisten nur kurze Zeit aufgehellt, dann melden sich Anzeichen der Vergänglichkeit und drängen ihn zur dunklen Pforte. Doch der "Mann" widerstrebt - Ort für lange Pas de deux für zwei Herren. Zu lange, hier hätte Neumeier kürzen sollen. Aber er ist nicht mehr der Jüngste - man merkt, wie ihn das Thema Zerfall gepackt hat. Den Tod deutet der Choreograf nicht als finale Katastrophe, sondern als "Heimkehr" – christlich angehaucht.
Neumeier hat nicht nur die Choreografien entworfen, sondern auch das Bühnenbild, die Kostüme und das Lichtdesign. Dadurch entsteht eine große Dichte - die Ballette erscheinen perfekt. Das ist die Stärke - und gleichzeitig die Schwäche der Produktionen. Sie enteilen in Räume jenseits unseres Alltags ins Makellose, Weltenferne - während Schauspiel, Literatur und Film sich um unsere höchst irdischen Krisen kümmern, entflieht Neumeier in eine bessre Welt.
Kein großer Abend, aber doch sehenswert. Die Tänzer scheinen heller als ihr Choreograf. Auf dem Programm der Hamburger Ballett-Tage, die noch bis zum 27. Juni dauern, stehen vor allem Neumeier-Choreografien. Den Höhepunkt indes dürfte ein Gastspiel des Tokyo-Ballets bilden. Die Tänzer aus dem Land der aufgehenden Sonne präsentieren ein japanisches Ballett, das einst ein europäischer Meister geschaffen hat: Maurice Béjart - höchst attraktiv.