Haiti zwei Jahre nach dem Beben

Von Martin Polansky |
Zwei Jahre nach dem Erdbeben sitzen noch immer 500.000 Haitianer in Obdachlosencamps. Besonders hart getroffen hat das Beben die sogenannten Restaveks. Das sind zehntausende Kinder, die elternlos geworden sind.
Viulis wohnt in einem der ärmsten Viertel von Port-au-Prince. Sie ist gerade erst elf aber jeden Tag muss sie arbeiten:

"Ich fege und wasche ab. Außerdem mache ich die Betten, koche Essen und passe auf die Kinder auf. Außerdem hole ich Wasser. So fünf Mal am Tag. Und dann helfe ich auch im Laden."

Viulis wohnt bei einer fremden Frau, zu der sie Madame sagt. Vor drei Jahren ist sie hierher gekommen. Weggeben von der Tante, nachdem ihrer Mutter gestorben war. Seitdem ist Viulis eins von zehntausenden Restavek-Kinder, die für fremde Familien arbeiten und dafür etwas zu essen bekommen.

Seit dem Erdbeben gibt es noch mehr Restavek-Kinder als vorher schon. Denn viele haben ihre Eltern verloren. Die Madame hat selber drei Kinder und einen kleinen Laden. Dass sie Viulis für sich arbeiten lässt, findet sie ganz normal:

"Wir haben beide etwas davon. Sie kann hier schlafen und bekommt etwas zu essen. Und umgekehrt erleichtert sie mir die Arbeit. Ihre Eltern sind ja gestorben und jetzt habe ich die Verantwortung übernommen."

Immerhin: Viulis kann auch zur Schule gehen. In Haiti ist das keineswegs die Regel. Gerade mal jedes zweite Kind bekommt Unterricht. Viulis kann deshalb lesen und schreiben – anders als ihre Madame. Wenn also im Laden etwas aufgeschrieben werden muss, wird Viulis gerufen.

Das Mädchen muss parieren. Und oft wird sie geschlagen von der Madame. Viulis lacht selten, ihr Gesicht ist nicht das einer elfjährigen. Merkwürdig streng sind ihre Züge, obwohl sie noch ein Kind ist:

"Ich spiele gerne mit meiner Puppe und habe auch einen kleinen Teddy. Manchmal bin ich mit anderen Mädchen zusammen. Ich bin froh, wenn ich nicht so viel arbeiten muss und zur Schule gehen kann."

Manchmal denkt Viulis daran, einfach wegzugehen. Aber sie weiß nicht wohin. Einen Bruder hat sie zwar noch, irgendwo in Jacmel, gut zwei Autostunden entfernt. Aber genaues weiß sie nicht. Nur dass sie ihn vermisst. Aber Viulis gibt sich nicht auf. In der Schule will sie noch viel mehr lernen. Denn sie hat einen Traum:

"Ich möchte einmal Lehrerin werden. Dann kann ich anderen Kindern etwas beibringen."