"Das ist definitiv tolle Promo"
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Die Rapperin Haiyti hat sich sich für den Dreh zu ihrem Stück "Coco Chanel" die "Strache-Villa" auf Ibiza ausgesucht. Damit beweist sie popkukturelles Gespür - und ihre Musik passt sehr gut dazu, meint unser Musikredakteur Martin Böttcher.
Timo Grampes: Was gibt das Video ästhetisch her?
Martin Böttcher: Es fängt auf jeden Fall schon mal spannend an: Im Swimming-Pool, der im Strache-Video ja gar keine Rolle spielt. Eine Frau liegt dort im Becken, mit dem Gesicht nach unten, sie sieht tot aus, ist sie aber nicht, es ist Haiyti und sie steigt aus dem Wasser und beginnt zu rappen. Die restlichen drei Minuten ist sie immer mal wieder in dem bekannten Wohnzimmer zu sehen, auf der beigen Couch, Energy-Drinks und Wodka auf dem Tisch.
Es passiert nicht so viel, Haiyti rappt und tanzt vorsichtig, springt auf dem Dach der Finca herum. Gedreht haben dieses Video übrigens zwei Künstler, Paul Spengemann und Steffen Goldkamp, die sonst keine Musikvideos machen, die aber wie Haiyti an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste studiert haben.
Gangster-Rap trifft auf Dada-Pop
Grampes: Gibt es direkte Bezüge zu Strache?
Böttcher: Im Songtext selbst eigentlich nicht. Es ist bei Haiyti ja selten klar, über was sie rappt und singt: Gangster-Rap trifft bei ihr auf Dada-Pop. Und das ist hier auch wieder so, sie rappt von Stundenhotels und Drogen, von Schwarzgeld und von teuren Marken. Natürlich gibt es da die ein oder andere Zeile, die an das Strache-Video denken lässt: "wir lagern keine Scheine bei der Bank" – synonym für krumme Geschäfte.
"Und das Ice, es funkelt in meinem Kopf" – beim Strache-Video liegt ja auch ein Pulver auf dem Tisch, das Drogenassoziationen weckt. Ice ist ein Codename für Crystal Meth. Aber die Zeilen sind sicherlich ohne Bezug zu Strache entstanden.
Grampes: Funktioniert das Video auch ohne den Kontext?
Böttcher: Ohne den Kontext wäre das ein nicht besonders bemerkenswertes Video. Diese Villa ist ja gar nicht so schön. Aber: Haiytis Songs strahlen oft eine gewisse Hoffnungslosigkeit oder Trostlosigkeit aus, es geht darin oft um die Leere, die Konsum und Markenfetischismus und die Drogen und das moderne Leben in uns auslösen können.
Bei Coco Chanel ist das mit den Marken ja schon im Songtitel angelegt, mit diesen Marken, aber mir kommt das wie ein ziemlich trauriger Song vor. Deshalb: gut, dass das kein Bling-Bling-Video ist - die Haiyti ja ohnehin nicht so oft macht - , sondern ein der Musik angemessenes, ein trostloses.
"Die schnellste und wachste im Deutschrap"
Grampes: Promo oder künstlerischer Mehrwert?
Böttcher: Das ist definitiv beides: Tolle Promo, das Strache-Video hat ja auch bei uns für viel Aufmerksamkeit gesorgt, davon kann sie nur einen Monat später natürlich auch noch etwas mitnehmen. Der künstlerische Mehrwert ist aber auch da, eben weil das so gut zu ihren Themen passt, diese Vermischung von Größenwahn, der mögliche Drogenkontext – gleichzeitig aber auch diese Trostlosigkeit und dieses Schmalspur-Ganoven-Ding. Das passt – zeigt aber auch, dass sie gerade die schnellste und wachste im Deutschrap-Business ist: Sie hat sich diese Chance nicht entgehen lassen.
Grampes: Mutiert die Villa zum Dark-Tourism-Pilgerort?
Böttcher: Denke schon, dass das passiert. Es gibt ja eine neue Serie über das Reaktor-Unglück von Tschernobyl. Und im Zuge dieser Serie, die als die "beste Serie der Welt" gilt, sind eine Reihe von Influencern und Instagrammern nach Tschernobyl gefahren, haben sich da fotografiert – inmitten der verstrahlten Bauten.
Die Strache-Villa könnte für deutsche und österreichische Selbstdarsteller zu so einem Ort werden – noch dazu, weil strahlungstechnisch gesehen ungefährlich ist.