Hakan Nesser & Paula Polanski: "Strafe"

Ein veritables Verwirrspiel

Die Beine einer Frau und eines Mannes
Zusammen unterwegs, doch was gehört zu wem? © picture alliance / dpa
Von Irene Binal |
Ein neuer Nesser. Aber nicht nur. Hakan Nesser hat für seinen Roman "Strafe" eine Mitautorin gefunden, die zugleich eine der Protagonistinnen ist. Es soll nicht die einzige Verwirrung in diesem Buch bleiben.
Als der Schriftsteller Max Schmeling einen Brief von einem ehemaligen Schulkameraden erhält, ist er zunächst unangenehm berührt: Schon in der gemeinsamen Schulzeit konnte er diesen Tibor Schittkowski nicht recht leiden, und nun bittet dieser ausgerechnet ihn um Hilfe. Aber immerhin hat Tibor ihn zwei Mal aus einer heiklen Situation befreit, und so macht sich Max auf nach Gimsen, wo der mittlerweile todkranke Tibor lebt. Der freilich rückt nicht so einfach mit der Sprache heraus, sondern überreicht Max ein autobiographisches Manuskript: Max soll es lesen, dann wird er wissen, was er für Tibor tun soll. Der Text führt Max zurück in seine eigene Jugendzeit, denn Tibor berichtet von einer leidenschaftlichen Affäre in Barcelona mit Max' Jugendliebe Kristiana, von Kristianas unglücklicher Ehe und von einem mörderischen Plan.
Mit der klaren Struktur ist es bald vorbei
Bis hierhin scheint Nessers neuer Roman noch klar strukturiert: Ein alternder Autor, der nach drei gescheiterten Ehen zu Depressionen neigt, ein geheimnisvoller Text, ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Je weiter sich Max allerdings in Tibors Manuskript vertieft, umso deutlicher wird, dass dies kein Krimi wie alle anderen ist. Warum tauchen in Tibors Geschichte exakt jene Schauplätze auf, die auch in dem Roman, an dem Max arbeitet, eine Rolle spielen? Was ist aus Kristiana geworden? Und was genau will Tibor nun eigentlich von Max?
Die Antwort findet sich im zweiten Teil des Manuskripts, jenem Teil, in dem auch Paula Polanski auftaucht, die als Hakan Nessers Co-Autorin genannt wird. Und spätestens jetzt ist klar, dass es sich bei dem Buch um ein veritables literarisches Verwirrspiel handelt. Nicht nur sind die einzelnen Erzählungen - Tibors Bericht, Paulas Niederschrift, Max' Erinnerungen - geschickt ineinander verschachtelt, der Roman scheint sich auch irgendwie selbst zu beobachten, schwappt immer wieder in die Wirklichkeit des Lesers und behandelt gleichsam nebenbei eine Fülle von Themen: Es geht um die trügerische Gestalt von Erinnerungen, um vielleicht nicht ganz zufällige Zufälle, um die Frage des Seins und der Existenz an sich - und um eine Schuld, die beglichen werden muss.
All das servieren Nesser und Polanski in einer oft schrägen, oft poetischen Prosa, die mit Absicht manche Fäden unaufgerollt lässt und mit Pseudonymen und der Frage des gemeinsamen Schreibens ebenso genussvoll spielt wie mit der Verwirrung der Hauptfigur und des Lesers. Und selbst die überraschende Auflösung lässt noch so manche Frage offen - etwa jene nach Paula Polanski. Wer ist diese Paula Polanski eigentlich? Eine Romanfigur? Oder eine - wie es beim Verlag heißt - deutsche Publizistin, die anonym bleiben möchte? Vielleicht beides, vielleicht nicht - und vielleicht muss man das auch gar nicht so genau wissen. Viel genussvoller ist es, sich in Nessers Labyrinth zu verlaufen und sich dabei jene Frage zu stellen, die Max an einer Stelle formuliert hat: „Was ist das nur für eine Partitur, in der ich hier gelandet bin?"

Hakan Nesser, Paula Polanski: Strafe
Erschienen im Verlag btb, München 2015. 28 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema