Wer liegt in der Großen Koalition vorn?
Die SPD steht in Umfragen schlecht da, hat aber Mindestlohn und Mietpreisbremse durchgesetzt, während sie höhere Steuern für Reiche mit dem Partner CDU vergessen kann. Die Union wiederum hat in der Außenpolitik die Nase vorn, steht aber in der Flüchtlingskrise mächtig unter Druck.
44 Seiten hat die Hochglanzbroschüre, die die Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag diesen Sommer herausgegeben hat. "Halbzeit. Eine Zwischenbilanz der großen Koalition" ist der Titel. Kleine Texte und auf jeder zweiten Seite ein großes Bild sollen belegen, was Unions-Fraktionschef Volker Kauder gleich zu Beginn verkündet:
"Deutschland steht zur Halbzeit der Wahlperiode hervorragend da (…) Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion können wir mit diesem Ergebnis sehr zufrieden sein."
Zufrieden sein nach zwei Jahren in der Großen Koalition – darf die Union das? Schließlich ist der Eindruck, dass in den ersten zwei Jahren doch vor allem der kleine Koalitionspartner SPD seine Projekte durchgesetzt hat: Egal ob Mindestlohn, Mietpreisbremse oder abschlagsfreie Rente mit 63.
"Wenn wir uns angucken, welche Ministerien welche Projekte zu stemmen hatten, sicherlich richtig, darüber zu berichten, dass die SPD ihre Projekte durchbekommen hat",
sagt Gregor Mayntz, Korrespondent der "Rheinischen Post" in Berlin.
"Aber ich sehe das nicht, das ist ja auch in der Wahrnehmung, dann müsste die SPD auch vor der Union liegen in den Umfragen. Das Gegenteil ist der Fall: Die kommt aus ihrem 20er-Keller nicht raus und Merkel war bis vor kurzem sicherlich jenseits der 40-Prozent-Marke angesiedelt mit der Union."
Ähnlich sieht es auch Ulrich Schulte, Leiter des Parlamentsbüros der taz. Zwar hätte die SPD in den letzten zwei Jahren einige sozialdemokratische Kernanliegen durchgesetzt. Doch habe sich gleichzeitig eine klare Aufgabenteilung herausgebildet innerhalb der GroKo:
"Die lautet: Angela Merkel ist für die wichtigen Aufgaben zuständig und das ist Außenpolitik. Und die SPD dominiert innenpolitisch. Aber jetzt sozusagen den Eindruck zu erwecken, die CDU sei unsichtbar in dieser Koalition, das halte ich für großen Unfug. Die sind sehr wichtig."
Prestigeprojekte durchsetzen
Vielleicht sind Themen wie Mindestlohn und Mietpreisbremse präsenter in Medien und bei den Wählern. Aber auch die Union hat ohne Zweifel ihre Prestigeprojekte - und davon einige durchsetzen können:
Im Gegenzug zur abschlagfreien Rente setzte die Union die sogenannte Mütterrente durch – ursprünglich eine Initiative der CSU: Demnach erhalten Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben nun etwa 27 Euro mehr Rente pro Monat und Kind. Auch die geplante Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung kann sich vor allem die Union auf die Fahnen schreiben. Gleiches gilt für das CSU-Projekt Maut, das jedoch zu scheitern droht.
"taz"-Journalist Ulrich Schulte fühlt sich mit Blick auf die CDU an eine reiche alte Tante erinnert, die unsichtbar im Hintergrund agiert. Die SPD sei wiederum der Neffe, der sich auf die Schulter klopfe und sage, wir machen ganz viel, aber ohne die Zustimmung der reichen alten Tante geht das nun nicht. Die CDU habe dafür gesorgt, dass die deutsche Finanzpolitik als solche gar nicht mehr stattfinde, sagt Schulte:
"Das merkt man an ganz vielen Beispielen. Also sozusagen die schwarze Null und der Verzicht auf Steuererhöhungen und die Schuldenbremse, das ist eine Engführung, also damit sind die Leitplanken gesetzt. Und damit kann man ganz viele Sachen nicht machen. Und auch ganz viele SPD-Sachen nicht machen. Also, wenn die SPD könnte, wie sie wollte, dann hätten die vielleicht für reiche Menschen und für Eliten ein bisschen die Steuern angehoben und hätten 'ne viel engagiertere Schulpolitik oder 'ne viel engagierte Energiewende gemacht. Und das geht eben nicht, weil die CDU im Grunde den Status quo für reiche Schichten erhält."
Beim Umgang mit Griechenland und der Euro-Krise hätten sich Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble gegenüber der SPD klar durchgesetzt, meint Schulte.
Bewährungsprobe kommt noch
Gregor Mayntz von der "Rheinischen Post" ist jedoch überzeugt, dass sich der größte Erfolg der CDU noch erweisen müsse:
"Wenn die Flüchtlingsdramatik so anhält und wenn die Zustände so sind, dass jeder sagt, das ist außer Kontrolle geraten, dann verbietet es sich, das Wort Erfolg in diesem Zusammenhang mit dieser Regierungszeit von Angela Merkel überhaupt noch in den Mund zu nehmen. Wenn es ihr allerdings gelingt, bei diesem Druck, der jetzt entsteht, ganz Europa in eine ganz neue Richtung zu bringen, ja dann versteht sich von selbst, wer den größten Erfolg hatte…"
Wobei dies weniger der Erfolg der Unionsfraktion als der von Merkel wäre, sagt Mayntz.
Das gilt für CDU/CSU und SPD, hat "taz"-Korrepondent Schulte beobachtet: Erfolge werden der Kanzlerin zugeschrieben.
"Also, das läuft ja immer unter dem Stichwort, Sozialdemokratisierung. Also, wenn sie `n Mindestlohn einführen, wenn sie `ne Energiewende plötzlich machen, wenn sie die Atomkraftwerke abschalten, weil Fukushima passiert. Wenn Sie sich plötzlich um Kita-Ausbau und Frauenrechte kümmern – das sind alles im Grunde Versuche, dem politischen Gegner ein Thema wegzunehmen. Die CDU ist für mich eigentlich eine sehr diffuse Kraft einer gefühlten Mitte geworden, die darauf schaut, was im Volk vermeintlich gut ankommt. Aber die so einen richtigen Markenkern, bis auf dass sie die eigene Kanzlerin stellt, gar nicht mehr hat."
Inhaltliche Bedenken seien in Merkels CDU nachrangig – ganz vorne stehe das Interesse der Partei, die Macht im Kanzleramt zu sichern. Schulte geht davon aus, dass Angela Merkel 2017 noch einmal antritt. Genauso sicher ist er sich aber auch: Eine Rückkehr zu einem konservativen Kurs wird es unter ihr nicht geben.