Mensch oder Baum, Forst oder Dorf
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Ein vorgezogener Kohleausstieg könnte den Hambacher Forst retten. Doch das gilt nicht für die Dörfer in der Region. Ein Teil der Einwohner beschwert sich, dass ein Forst mehr zählt als ihre Heimat. Andere wollen umziehen und nur noch ihre Ruhe.
Mal wieder geht es im Kölner Verwaltungsgericht um den Hambacher Forst und um die seit Jahren diskutierte Frage, ob der Braunkohlebetreiber RWE die letzten noch verbleibenden rund 400 Hektar des umkämpften Waldstückes roden darf. Oder ob die drei Klagen des nordrhein-westfälischen Landesverbandes des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Bund) Erfolg haben und die Rodung gestoppt werden muss. Noch vor einigen Wochen wäre dieser Termin spannend, vielleicht sogar entscheidend im Kampf des Bundgegen den Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen gewesen. Doch die Klage-Abweisung des VG Köln fällt jetzt kaum ins Gewicht. Denn:
"Ich habe das Unternehmen RWE in den letzten Wochen gebeten, ein Moratorium für diese und die kommende Rodungsperiode zu erklären, auch unabhängig vom Ausgang der anstehenden Gerichtsentscheidung." Eine Regierungserklärung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, CDU, im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Mitte Februar, bei der er einen vorläufigen Rodungsstopp verkünden konnte: "Das heißt, dass in jedem Fall bis zum Herbst 2020 das Moratorium gilt und der Hambacher Forst nicht gerodet wird. Ab heute gilt ein Rodungsmoratorium für den Hambacher Forst."
Früher Kohleausstieg – nur wie?
Vor einigen Wochen hatte die sogenannte Kohlekommission ihre Vorschläge vorgelegt. Sie besagen, dass es ein Ausstiegsdatum im Jahr 2038 geben soll. Das sind sieben Jahre vor dem eigentlichen Ende des Braunkohle-Tagebaus im Rheinischen Revier. Außerdem wurde eine zeitnahe Reduzierung der Kraftwerksleistung zugesagt. Nun ist die Diskussion voll entbrannt – auch und gerade in NRW. Denn allerorts scheint Konsens zu sein: Der Ausstieg beginnt im Westen. Nur: Wie wird das Ganze gelingen?
"Und wenn wir jetzt Kohle-Mengen reduzieren, Kraftwerke schließen, dann wird sich die Frage stellen: Welcher Tagebau wird denn wie verkleinert? Und auf welchen kann man vollständig verzichten? Für viele scheint sich damit nur die Frage zu stellen: Garzweiler oder Hambach? Menschen oder Bäume?"
Also: Wird der Tagebau Hambach geschlossen und damit der Wald gerettet? Oder verkleinert Betreiber RWE den Tagebau Garzweiler und verschont so einige der Dörfer, die sich aktuell bereits in der Umsiedlung befinden?
"Oberwestrich? Bleibt! Manheim? Bleibt!" Die Demonstranten der Initiative "Alle Dörfer bleiben", haben bei ihrem Protest am Tag von Laschets Regierungserklärung vor dem Düsseldorfer Landtag eine klare Haltung dazu: "Alle Dörfer bleiben, alle Dörfer bleiben, alle Dörfer bleiben."
Mensch oder Baum, Forst oder Dorf? Es ist auch diese Frage, um die es im Rheinischen Revier geht.
Ratssitzung in Erkelenz, jener Stadt, zu der die Dörfer gehören, die dem Tagebau Garzweiler zum Opfer fallen sollen. Es ist Ende Januar, unmittelbar nach der Bekanntgabe der Kohlekommissionsvorschläge. Eine Informationsveranstaltung, zu der viele Anwohner gekommen sind, wie auch Michael Königs, Anwohner aus Kaulhausen. Sein Haus wird – nach den alten Plänen – demnächst 80 Meter vom Tagebau Garzweiler entfernt sein.
"Wir haben hier am Tagebau Garzweiler II keine Leute, die irgendwie auf Bäume klettern, etc. Und ich sehe die ganz große Gefahr da drin, dieser Populismus, der überall herrscht, Hambacher Forst ist in aller Munde und soll auch stehenbleiben … Ich habe die große Befürchtung, das geht zu Lasten unseres Tagebaus Garzweiler II, der wird hier länger stehenbleiben. Ich möchte jetzt aber nicht gegen den Hambacher Forst wettern, aber ich finde die Entscheidung eigentlich tragisch, wie das so abläuft, dass sich da Leute schon zu äußern, das der eventuell stehenbleiben könnte und hier nichts passiert. Im Gegenteil, das hier der Tagebau dann länger gehen würde. Und das ist in meinen Augen sehr tragisch."
Im Ratssaal sind viele Bürgerinnen und Bürger, die sich im Stich gelassen fühlen. Der Erhalt des Waldes, so heißt es sinngemäß in den Vorschlägen der Kommission, sei – Zitat – "wünschenswert". Zu den Dörfern steht dort nur, man solle noch einmal darüber reden. Doch: So eindeutig, wie die Öffentlichkeit die Ergebnisse der Kohle-Kommission wahrgenommen hat, sehen das die Verantwortlichen nicht: Hier gibt es, mit Blick auf das Rheinische Revier, Interpretationsspielraum im Detail: Jeder liest darin das, was er gerne lesen würde.
Im Forst hat die Kommission wenig Fans
Kieselsteine knirschen unter Freds Schuhen. Auf einem eigens zur Räumung aufgeschütteten Weg läuft der junge Mann durch den Hambacher Wald. Hier, zwischen Bäumen, Baumhäusern und "Hambi bleibt"-Plakaten, haben die Kommissions-Ergebnisse für Kopfschütteln gesorgt: "Das was da rauskam, das hätte man auch in einer Viertelstunde am Telefon klären können. So, ihr wollt viel Geld? Wie viel wollt ihr haben? Ah, ist nicht genug? Okay, dann kriegt ihr so viel. Und ja, wäre schön, wenn der Hambacher Forst erhalten bleiben würde."
Ein hartes Urteil für die monatelange Arbeit einer Kommission. Und: Obwohl sie den Hambacher Forst ja erhalten will, ist die Haltung hier ablehnend: "Also, dass dann drinsteht, es wäre wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt. Naja, cool, das ist das Schwammigste, was ich jemals gehört habe."
Der Tagebau Hambach, ebenfalls ein paar Tage nachdem die Kohlekommissions-Vorschläge publik wurden: Betriebsversammlung bei RWE, dem Betreiber-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen. Hier sind die Mitarbeiter besorgt, denn das Ausstiegsdatum 2038 bedroht ihre Arbeitsplätze.
"Die Kommission hat ihre Vorschläge gemacht, die müssen umgesetzt werden und wir warten jetzt darauf, dass wir zu weiteren Gesprächen auch gebeten werden", sagt Rolf-Martin Schmitz, der RWE-Vorstandsvorsitzende. Der Poker um Geldzahlungen, er hat längst begonnen: "Unsere Aufgabe, jetzt auch als Vorstand, ist, mit der Bundesregierung zu sprechen, wie man das jetzt in geeignete Verträge, auf die man sich dann auch verlassen kann, umsetzen kann."
Parallel dazu bemüht sich die NRW-Landesregierung um den nun auch im Rheinischen Revier anstehenden Strukturwandel, um Projekte, in die rund 15 Milliarden Euro Fördermittel fließen können. Doch, ungeachtet dieser Fragen, haben die Empfehlungen, hat vor allem die Frage des Hambacher Forst, eben einen alten Konflikt wieder aufbrechen lassen.
Deutschland will den Forst – was wollen die Dörfler?
Das evangelische Gemeindehaus in Kerpen-Buir, einem Ortsteil, der unmittelbar am Hambacher Forst liegt. Pressekonferenz der Umweltverbände. Hier steht fest: Der Hambacher Forst wird bleiben. Doch auch Vertreter der Dörfer an den anderen Braunkohle-Tagebauten in NRW kommen zu Wort. Marita Dresen fragt: "In den Dörfern hat man das Gefühl, wir zählen nicht. Eine verbindliche Zusage gibt es nicht. Sind denn Menschen nicht genauso wichtig wie Bäume?"
Denn: Ihre Heimat, ihr Hof, soll abgebaggert werden, ist vom Tagebau Garzweiler bedroht. Jener Tagebau, der – sollte Hambach geschlossen werden – wohl fortgeführt wird: "Wir brauchen jetzt die Hilfe der Menschen in der Politik und der Menschen in der ganzen Welt, dass unsere Dörfer gerettet werden. Spielt denn die Menschlichkeit keine Rolle mehr?"
Am 23. März, Samstag in einer Woche, haben Dresen und die Initiative "Alle Dörfer bleiben" daher zu einem Sternmarsch aufgerufen. Sie wollen – genauso wie Hambi-Aktivisten im Herbst letzten Jahres – ein öffentlichkeitswirksames Zeichen setzen. Doch dagegen regt sich Widerstand – und zwar genau in jenen Dörfern, die sie eigentlich retten wollen.
Bernd Piepers Haus liegt in einer Straße am Dorfrand von Keyenberg. Manche Häuser hier stehen schon leer, nach ein paar Schritten über die asphaltierte Einfahrt öffnet sich bereits die Haustür:
"Schön guten Tag."
"Haben Sie mich schon gesehen?"
"Ja, habe ich. Pieper, Hallo."
Pieper, 55 Jahre alt, in Keyenberg geboren, Installateur, Frau, zwei erwachsene Kinder, hat sein Haus vor über 20 Jahren gebaut. In ein paar Monaten wird er es verlassen, wie geplant umsiedeln, wegen des Braukohletagebaus – doch nun ärgert er sich. Ärgert sich darüber, dass in der Öffentlichkeit vor allem die Kohlegegner zu Wort kommen – und will daher reden:
"Bis vor einiger Zeit hätten sie mit mir alles machen können, ich wäre bis sonst wo mitgegangen, bis nach Berlin oder sonst was und hätte gesagt: Das Dorf bleibt stehen. Nur jetzt ist es zu spät."
Pieper ist bei den Schützen und im Karnevalsverein aktiv, Keyenberg ist seine Heimat. Aber das, was er an seiner Heimat so liebt, verschwindet immer mehr.
Ende 2016 bekam der Ort offiziell den Umsiedlerstatus, er soll weggebaggert werden. Genauso wie die anderen Dörfer Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath. Doch durch die Proteste rund um den Hambacher Forst und nach den Empfehlungen der Kohlekommission gibt es nun eben Hoffnung. Nicht aber bei Bernd Pieper:
"Also, ich hoffe, dass die Umsiedlung nicht gestoppt wird und das alles so bleibt, wie es bis jetzt ist. Alles so durchgezogen wird. Müssen die Politiker jetzt mal sagen und nicht erst Ende des Jahres, wie es doch teilweise schon in der Presse stand, weil ich finde es eine Frechheit, die Leute so lange in Ungewissheit zu lassen."
"Dann sprenge ich mein Haus in die Luft"
Piepers Sorge: Wenn das alte Dorf jetzt stehen bleibt, dann geht es zu Lasten des Neuen, wird die Dorfgemeinschaft zerrissen. Das jemand anderes in sein Haus zieht, ist für ihn unvorstellbar: "Ja, ich habe mal so blöderweise gesagt: Dann sprenge ich es lieber in die Luft. Ja, ist blöd gesagt, aber ich habe hier jeden Stein im Hause selber angefasst, ich hänge hier schon dran."
Das eigene, selbstgebaute, geliebte Haus sprengen, obwohl es nun vielleicht eine Möglichkeiten gäbe, es zu retten?
"Es ist zwar irgendwo widersinnig, irgendwo haben wir uns früher darüber aufgeregt, aber das ist ja wirklich eine gesundheitliche Frage, weil ich war – bevor hier irgendwas in trockene Tücher war, ich sag jetzt mal, völlig von der Rolle."
Bei der Frage nach den Protesten, dem angekündigten Sternenmarsch für die Dörfer, rollt er nur mit den Augen: "Und einige tausend sprechen wieder, in Anführungsstrichen, in unserem Namen. Das geht nicht. Das ist eigentlich für uns absolut untragbar und ich gehe mal stark davon aus, dass wir uns das am 23. auch nicht gefallen lassen werden. Jetzt haben wir gesagt: Jetzt ist Feierabend, jetzt müssen wir uns auch mal wehren."
Es ist eine groteske Situation, rund um den Tagebau Garzweiler. Wer in diesen Tagen dort durch die Dörfer fährt, sieht alte Höfe, dicke Bäume, kleine Seen, Vögel zwitschern, doch das alles soll weggebaggert werden. Viele Häuser sind schon leer. Der Metzger, der Bäcker, Blumen-Hanni, alle haben verkürzte Öffnungszeiten.
Menschen auf der Straße wollen nicht ins Mikrofon sprechen. Hinter vorgehaltener Hand erzählen sie dann doch: Von dem Tempo, das RWE jetzt macht, um die Dörfer leer zu bekommen. Von der Angst, dass jetzt in den leeren Häusern wieder Feuer ausbricht, wie im einstigen Umsiedler-Ort Borschemich. Vor nunmehr sieben Jahren fuhren sich zwei Feuerwehrleute tot, weil sie dort Menschenleben retten wollten. Doch das Haus stand leer. Tragische Geschichten, die so gar nicht in diese vermeintliche Idylle aus alten Höfen passen.
Gleiche Dörfer an anderen Orten
Besuch im Neubaugebiet, wo die Dörfer wieder aufgebaut werden sollen: Flache Fläche, Baukräne, Baustellenlärm. Hans-Josef Dederichs steht vor seiner Baustelle – und zeigt umher. Während jetzt noch bis zu zwei Kilometer zwischen den einzelnen Ortschaften liegen, werden es künftig nur ein paar Straßen sein: "Wenn man das jetzt mal so … Hier ist Kuckum, auf der anderen Straßenseite ist Unterwestrich. Und dahinter kommt dann Keyenberg und da vorne ist Berverath."
Dederichs, 54 Jahre, Polizeibeamter, grüner Ratsherr in Erkelenz, ist einer der ersten am neuen Ort. Er hat ein Holzhaus gebaut, durch das er jetzt geht. Er habe ein "… bisschen Wert darauf gelegt, dass es tatsächlich aus Holz ist. Es ist natürlich Ständebauwerk, aber durchgehend Holz, ohne Lösungsmittel."
720 Quadratmeter hat er nun, vorher war es doppelt so viel. Auch Dederichs ist hin- und hergerissen: "Es gibt eine große Zustimmung zur Umsiedlung. Das hat aber auch damit zu tun, dass eben die Umsiedlung schon begonnen hat. Wenn Sie mit ihrer Familie in den Urlaub fahren und an der ersten Raststätte fragen: Wie ist es? Fahren wir weiter oder machen wir Schluss? Dann werden auch die meisten sagen, wir fahren weiter."
Auch er will, dass der neue Ort zum Leben erweckt wird – und ist trotzdem für einen schnellen Ausstieg aus dem Tagebau. Bitterkeit, dass dann sein Haus stehenbleiben könnte, hat er nicht: "Das Grundstück, auf dem ich jetzt lebe, ist seit weit über hundert Jahren in Familienbesitz. Natürlich ist das nicht so einfach und ich kann jetzt hier auch locker darüber reden, ich habe aber auch manchmal ein bisschen Wasser in den Augen stehen, wenn ich denn daran denk, was passiert."
Es sind hochemotionale Tage, rund um eine Entscheidung, die die Bundesregierung in Verhandlungen mit dem Betreiber RWE klären muss. Deren Umsetzung dann jedoch von der Landesregierung und den nachgeordneten Behörden geprüft und genehmigt werden muss. Mitunter spielen auch rein technische Fragen eine Rolle. Beispielsweise, ob die steilen Böschungen stabilisiert werden können.
Nun bedroht die Böschung den Forst
Gegenüber dem Busbahnhof in Düren, in einem unscheinbaren Zweckbau mit Kiosk und anderen Geschäften, liegt die Bergverwaltung Düren, eine Außenstelle der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg.
"Wenn Sie sich das mal hier anschauen … Und das ist, ich schätze jetzt mal, übern Daumen, drei Kilometer, wie steil diese Böschung ist."
Kurt Krings, der zuständiger Fachdezernent, steht im ersten Stock, sein Finger fährt über eine große Satellitenaufnahme des Tagebau Hambachs. Weltweit einer Tiefsten, muss man sich ihn als ein wanderndes Loch vorstellen, das von Norden nach Süden geht und nun unmittelbar vor dem Hambacher Forst steht. Vereinfacht gesagt: Vorne wird gebaggert, hinten wieder aufgefüllt. Das Hauptproblem sind jedoch die Steilkanten im Westen und Osten, die abgesichert werden müssen:
"Dazu brauchen Sie Massen. Diese Massen, das kann man ganz leicht ausrechnen… Das sind dann... RWE hat mal, ich glaube genannt, die Zahl, die muss man berechnen, 1,7 Milliarden Kubikmeter. 1,7 Milliarden Kubikmeter Material-Abraum. Keine Kohle, die man im Grunde in diesen Bereich abkippen muss, um den See dann auch standsicher zu gestalten."
Das Problem: Die Massen liegen genau in dem Abbaufeld unter und hinter dem Hambacher Forst, weshalb Andreas Nörthen, der Sprecher der Abteilung Bergbau und Energie bei der Bezirksregierung, bei der technischen Frage nach der Rettung des Hambacher Forsts sehr skeptisch ist:
"Wo holt man die Massen her, um dauerstandsichere Böschungen zu gestalten, die dann auch für den Restsee und für die Folgenutzung mit Landwirtschaft und Forstwirtschaft dann geeignet sind? Eine riesige Herausforderung, die meiner Meinung nach sehr schwierig oder fast unmöglich zu lösen ist."
Und letztendlich, das zeigt diese Reise durch das Rheinische Revier, könnte dies auch für den Konflikt gelten: Mensch oder Baum, Forst oder Dorf?