Auf dem Weg zur Fahrradstadt kaum vorangekommen
07:14 Minuten
Am Sonntag wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Die rot-grüne Koalition hatte das Ziel, eine Fahrradstadt zu schaffen. Doch der Ausbau verläuft schleppend. Einige meinen, weil es der SPD am nötigen Willen gefehlt habe.
Einmal im Monat, immer am letzten Freitag, treffen sich die Hamburger Fahrradenthusiasten zu ihrer "Critical Mass"-Tour. Tausende Radlerinnen und Radler sind dann unterwegs, strampeln vorbei an hupenden Autofahrern und demonstrieren für mehr Tempo auf dem Weg zur Fahrradstadt Hamburg.
Kirsten Pfaue, Hamburgs Radverkehrskoordinatorin, hat in den letzten fünf Jahren versucht, möglichst viele Radwegkilometer neu zu bauen und zu sanieren. Dass es nicht so schnell geht, wie viele es sich wünschen, habe ganz praktische Gründe, erklärt sie: "Die Vision geht dann häufiger verloren, wenn es konkreter wird." Je mehr man bei der Planung im Detail stecke, desto mehr werde gerungen "um jeden Parkplatz, um Bäume, um jeden Zentimeter auf der Straße, natürlich auch um Haushaltsmittel".
Das Engagement von Kirsten Pfaue für die Fahrradstadt lobt auch Dirk Lau. Der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, zieht aber nach fünf Jahren Rot-Grün in Hamburg sehr ernüchtert Bilanz: "Stand heute, Anfang 2020, ist Hamburg nicht Fahrradstadt." Hamburg habe seit 2015 ein paar Maßnahmen auf den Weg gebracht. "Die haben aber leider noch nicht dazu geführt, dass man tatsächlich von einer grundlegenden Änderung im Verkehrsklima auf den Straßen sprechen kann."
Ziel 50 Kilometer neue Radwegen pro Jahr verfehlt
Zwar seien an vielen Stellen neue Radwege gebaut worden und die Anzahl der Radfahrstreifen auf den Straßen ist gestiegen. Aber das selbstgesteckte Ziel des Senats, jedes Jahr 50 Kilometer Radwege neu zu bauen oder zu sanieren, wurde verfehlt. Dirk Lau vom ADFC macht dafür in erster Linie die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation verantwortlich. Unter deren Dach arbeitet zwar auch Kirsten Pfaue. Sie hätte sich aber nicht gegen diejenigen durchsetzen können, die den Autofahrern das Leben nicht schwer machen wollen, so Dirk Lau.
Es scheitere bislang am aktuellen Senat beziehungsweise am großen Koalitionspartner, der SPD. Die sage ganz deutlich, es solle niemand bevorzugt, aber auch niemand benachteiligt werden, meint Lau. Damit sei gemeint: "Sie wollen die Autofahrer nicht benachteiligen, sie wollen gute Verkehrsbedingungen für alle in Hamburg schaffen. Und das funktioniert nicht, weil es eben völlig ungerecht verteilt ist, schon seit Jahrzehnten." Der Autoverkehr nehme einen Platz ein, der damit nicht vereinbar sei, "dass man andere Verkehrsarten hochfahren will".
Frage der Prioritätensetzung?
In Hamburg liegt der Anteil des Radverkehrs an der gesamten Mobilität bei etwa 15 Prozent. Und damit nur wenig höher als noch vor zehn Jahren. Und gerade erst musste der Senat einräumen, dass die selbstgesteckten Ziele nicht erreicht wurden. Nicht 50, sondern zwischen 30 und 40 Kilometer Radwege wurden seit 2015 jährlich gebaut oder ausgebessert. Hamburgs Erster Bürgermeister, der Sozialdemokrat Peter Tschentscher, ist dennoch zufrieden: Diese 30 bis 40 Kilometer jährlich seien "sehr, sehr viel" im Verhältnis dazu, was früher in Hamburg gemacht wurde. Das Ziel sei jetzt, "das fortzusetzen, sicher auch mal die 50 Kilometer pro Jahr zu erreichen oder zu überschreiten". Aber nicht, jetzt darauf zu reagieren, "wie andere es tun und sagen: 'Jetzt versprechen wir mal 100 Kilometer!'"
Tschentschers Seitenhieb zielt auf die Grünen, den kleinen Koalitionspartner und ihre Spitzenkandidatin Katharina Fegebank. Ihr Ziel, Bürgermeisterin zu werden und aus einer rot-grünen eine grün-rote Koalition zu machen, ist nach den jüngsten Umfragen zwar kaum mehr erreichbar. Bei der grünen Forderung von jährlich 100 Kilometern neuer Radstrecken soll es aber bleiben, sagt Katharina Fegebank. Obwohl schon die 50 Kilometer nicht realisiert wurden.
Man müsse sagen, dass erstmal die Infrastruktur aufgebaut werden musste, betont sie. "Das dauert natürlich seine Zeit." Bei der Straßensanierung habe man sich 100 Kilometer im Jahr vorgenommen und 180 geschafft. "Da sieht man, dass es gelingen kann. Das ist alles eine Frage der politischen Prioritätensetzung!"
Eigens komponierter Fahrradsong
Nicht nur die Zahl der neu gebauten Kilometer für Velorouten und Radwege seien aber entscheidend, sondern vor allem auch deren Qualität. Da habe man jetzt Vorschläge gemacht – und sich auch etwas aus Kopenhagen und aus holländischen Städten abgeschaut: die 'Protected Bike Lanes'. Da gebe es eine Trennung zwischen der Fahrbahn für Autos und den Radfahrenden. Damit soll das Sicherheitsgefühl auf der Straße erhöht werden – aber auch durch neue Maßnahmen an Ampeln und Kreuzungen.
Dass es dadurch auch mehr Baustellen in der Stadt geben wird, nimmt Katharina Fegebank in Kauf. Angesichts von vier Radfahrern, die im vergangenen Jahr bei Unfällen mit Pkw und Lkw starben und über 2500 Verletzten, reicht es für Dirk Lau vom Hamburger ADFC nicht aus, nur mehr Radwege zu bauen: Flächendeckend Tempo 30 sei der beste Weg zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und gebe den Menschen auch das Gefühl, sicherer unterwegs zu sein. Der ADFC wolle Tempo 30 "sehr, sehr stark fördern".
Dirk Lau ist sich sicher, dass die Menschen dann auch die Radfahrstreifen auf der Fahrbahn nutzen würden. Bislang fühlten sich viele Radler dort nicht sicher, dicht an dicht mit vorbeirauschenden Pkw und Lastern.
Und er begrüßt auch die Werbekampagne der Stadt für mehr Radverkehr. Die könne durchaus dafür sorgen, dass alle Verkehrsteilnehmer mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Und vielleicht hilft auf dem Weg zur Fahrradstadt ja auch der eigens für die Kampagne komponierte Hamburger Fahrradsong.
Im Video dazu sind glückliche, junge, radelnde Menschen zu sehen. Sonnenschein, kein Tropfen Regen und kein einziges Auto.