Eine Kirche für die Stille
Vor einigen Jahren stand die Christophorus-Kirche in Hamburg-Altona vor dem Aus. Der Mitgliederschwund war dramatisch. Der Kirche drohte der Verkauf oder gar der Abriss. Doch dann entschloss sich die Gemeinde zu einem radikalen Schritt.
Die Stille empfängt den Besucher mit Wucht, wenn er die neugotische Backsteinkirche der Christophorusgemeinde in Hamburg-Altona betritt. Sie dringt in die Poren ein, breitet sich im Körper aus, besänftigt den unruhigen Geist. Auch Brigitte Hennings und Liesel Jess, zwei regelmäßige Besucherinnen der Kirche, sind von der Stille beeindruckt.
"Hier ist eine tragende Stille, eine wunderbare Atmosphäre. Ich hatte ein großes Gefühl von Angenommensein, als ich das erste Mal zum Herzensgebet kam - die Faszination hat mich nicht wieder losgelassen."
Das Innere der "Kirche der Stille" ist ein großer, leerer Raum mit weiß gestrichenem Rippengewölbe. Durch die farbigen Fenster, die mit Mattglas abgedecktsind, schimmert gedämpft das Licht. In der Mitte des Parketts ist ein Oktogon in den Boden gelassen, ein Achteck aus Marmor, das den Raum zentriert.
Sufische Tänze, christliche Kontemplation, Zen-Meditation
In diesem Raum bietet die "Kirche der Stille" verschiedene geistliche Übungen an, die nach innen führen: Sufische Tänze, das Herzensgebet und die Zen-Meditation. Auch einen Bewegungstanz, der "Soul Motion" genannt wird.
Brigitte Hennings und Liesel Jess nehmen seit einigen Jahren am Herzensgebet teil, einer christlichen Kontemplation, die Gott in der Stille erfahrbar machen will.
"Wir sagen hier in dieser Kirche: Gott ist schon da. Wir müssen ihn nur empfangen und wahrnehmen."
"Ich erfasse etwas, was jenseits von Worten ist, jenseits von Dualität, jenseits von Gut und Böse, ich erfahre etwas, was immer da ist."
Das Herzensgebet ist ein Lauschen in die Stille. Was oft nicht einfach ist, wenn der Verstand weiter lärmt. Manchmal hilft ein so genanntes Herzenswort, ein Mantra, das während des stillen Sitzens lautlos wiederholt wird. Es beruhigt und wirkt auch im Alltag fort. Liesel Jess:
"Mein Wort ist lang und heißt: 'Ich bin Liebe und Du ein Segen'. Und das führt mich unmittelbar immer auf das zurück, was ist. Wenn ich jemandem gegenüber stehe und den kann ich nicht leiden, dann gucke ich erst mal nach: Wo ist der ein Segen? Wo ist der die Liebe, die ich bin? Was ist gemeinsam? Was verbindet uns?"
Dass die "Die Kirche der Stille" offen ist für verschiedene religiöse Weg, hat auch mit dem Stadtteil zu tun, wo sie steht. Die Pastorin Irmgard Nauck.
"Ich lebe im Schanzenviertel - in diesem Viertel leben viele Religionen zusammen. Da können wir als evangelische Kirche nicht die Mauern hochziehen. Wir haben Taufen, da ist der Patenonkel Sufi oder die Oma hat lange bei Osho meditiert. Die Kirche der Stille vermischt ja diese Religionen nicht einfach, sondern sagt klar: Wir sind christliche Kirche, aber wir sind Gastgeberin für diese verschiedenen religiösen Wege."
Die Zahl der Besucher steigt von Jahr zu Jahr
Manchmal verwandelt sich die "Kirche der Stille" auch in einen Tanzsaal. Dann sitzen Menschen nicht still auf dem Kissen, sondern bewegen sich über das Parkett. Langsam, schnell, mit großen und kleinen Bewegungen, jeder nach seinem eigenen Rhythmus. Man lässt sich in seinem Tanz von der Musik, von lauten und leisen Klängen, inspirieren. Spürt ihnen im Körper nach. "Soul Motion" heißt diese Bewegungsart. Auf Deutsch bedeutet das so viel wie "mit der Seele in Berührung kommen". Für den Musiker und Tanztherapeuten Edgar Spieker ist "Soul Motion" eine Tanzmeditation, die spirituelle Gefühle weckt.
"Das kann ein Gefühl sein von mehr Lebendigkeit, von Verbundenheit zwischen mir und anderen, zwischen mir und dem Universum. Es geht darum, dass wir zunächst einmal bei uns ankommen, durch Körperwahrnehmung, die Füße, die Schritte, die ich gerade mache, und von dort aus weite ich dann meine Aufmerksamkeit. In meiner Eigenständigkeit bin ich trotzdem nicht getrennt von dem Universum, von dem, was mich umgibt, die anderen Tänzer um mich herum, da gibt es eine Verbindung."
Die Zahl der Besucher, die in die "Kirche der Stille" kommen, steigt von Jahr zu Jahr. Die Angebote sprechen die Menschen im Schanzenviertel an. Es sind Menschen, die mit Kirche sonst kaum in Berührung geraten oder vor langer Zeit mit ihr gebrochen haben. Die Kirche schafft für sie wieder Zugänge zu Gott. Aber es werden auch Ängste laut in der Hamburger Landeskirche.
"Protestantische Kirche ist ja eine Kirche des Wortes, und wenn wir überwiegend schweigen, geben wir die Deutungsmacht aus den Händen, wie denn nun Gott ist und wie ich mit Gott rede oder nicht rede. Das geben wir frei. Die Menschen finden ihren eigenen persönlichen Zugang zu Gott. Insofern ist das auch etwas, was Angst macht, aber ich glaube, dass in heutiger Zeit eine Kirche, die die Deutungsgewalt darüber hat, was richtig und was falsch ist, dass das nicht gefragt und gesucht wird."