Unter Marktschreiern und Fischbrokern
Der alten Hamburger Fischmarkt ist längst nicht mehr nur ein Umschlagplatz für Seefisch, sondern eine beliebte Eventlocation und Touristen-Attraktion. Und auch der neue Fischmarkt der Hansestadt hat sich gewandelt. Statt Händlern agieren hier die Fischbroker.
Noch hängt die Nacht über dem Fischmarkt – über dem nassglänzenden Kopfsteinpflaster, über den kleinen und großen Buden. Um vier Uhr morgens sind die ersten Verkaufsstände schon aufgeklappt. Die ersten Besucher – Frühaufsteher und müdes Partyvolk – sind schon da. Auf dem Pflaster steht Dieter Bruhn, Aale-Dieter. Seit fünf Jahrzehnten verkauft er hier Aal und Lachs. Früh am Morgen hilft er einem Kollegen beim Rangieren:
Bruhn: "Aber ein bisschen geradeziehen! Er muss doch nur gerade steuern, Mensch! Der fährt sich was zurecht. Jetzt steht er wieder schräg. Aber ist egal."
Flickflack in der Aal-Bude
Aale-Dieter, Dieter Bruhn, hat einen kleinen Verkaufswagen. Er nennt ihn "meine Klöterkiste". Standort: gleich an der Kaikante, an die die schwarzen Wellen der Elbe schwappen. Drüben, auf der anderen Flussseite, liegt der Hafen mit seinen Docks und Kränen. Leichter Regen setzt ein und Dieter bittet in seinen Verkaufswürfel. Vorn auf dem Tresen sind rund hundert Räucheraale aufgestapelt, unterm Tresen lagert der Nachschub. Hinten an der Rückwand hängen Autogrammkarten von Prominenten, die schon hier waren oder mit Aale-Dieter in Talkshows saßen.
Bruhn: "Mit Heidi, mit Heidi Kabel war ich ja befreundet. Mit Jan Fedder. Wir kennen uns alle. Hier: Barbara Schöneberger und Varrel, Meyer-Burckhardt, Andy Borg, Peer Augustinski – der ist ja schon tot jetzt leider. Das ist alles bei der NDR-Talkshow."
Und neben den jüngeren hängt auch ein Schwarzweiß-Foto aus Dieters jungen Jahren. Damals noch schlank und sportlich hat er seine Kundschaft nicht nur mit flapsigen Sprüchen, sondern auch mit einem Flickflack in der Aal-Bude unterhalten:
Bruhn: "Da bin ich mit den Beinen nach oben gesprungen an die Decke. Dann bin ich hochgesprungen – jumm, jummm, jummm. Haben die Leute natürlich geschrien wie verrückt. Da war ich ja noch richtig wendig."
Heute, mit Mitte 70, mit kleinem Bauch unter dem blaugestreiften Fischerhemd, verzichtet er auf diese Kunststücke. Ein paar Jahre will er hier noch stehen, immer sonntags, und seinen Fisch unter die Leute bringen.
Bruhn: "Und man muss ja sagen: Wenn man hier so auf dem Fischmarkt, eingebunden in den Hafen, wenn man hier steht und man sieht morgens den Sonnenaufgang und guckt so rüber über die Landungsbrücken oder sie stehen hier und gucken zu Blohm und Voss rüber auf die Kräne, das ist schon ein Ambiente, das ist schon was für Hamburg. Das ist für die Touristen und für alle schon eine wunderbare Sache. Deswegen ist der Fischmarkt auch so frequentiert."
Konzerte, Konferenzen und Partys in der Auktionshalle
Bevor er seinen kleinen Laden aufmacht, holt sich Dieter Bruhn noch einen Kaffee beim Bäcker nebenan. Hält Smalltalk mit den Kollegen, bevor seine Show beginnt. Seit über 300 Jahren wird am Hamburger Fischmarkt Handel getrieben. Ende des 19. Jahrhunderts entstand die prächtige Fischauktionshalle. In Holzkisten und Fässern wurde der Fisch von den einlaufenden Kuttern an Land gebracht und meistbietend an die Händler verkauft. Heute dient die Fischauktionshalle als "Event-Location": Konzerte, Konferenzen und Partys werden hier veranstaltet. Gleich neben der Halle steht am Sonntagmorgen der Holländische Blumenkönig. So nennt sich Adrianus Saarloos, der mit dem Mikrofon in der Hand große und kleine Topfpflanzen, am besten im Dutzend verkauft. Vor seinem meterlangen Laster stehen die Touristen, staunen über die Preise und die Geschwindigkeit, mit der der Blumenkönig seine Ware unters Volk bringt:
Saarloos: "Guck mal! Fantasticus exoticus! Verrecktus! Von 29,95 machen wir 20, 15. Gib mir zehn Euro, dann ist er weg! Die Dame da? Zehn Euro und weg mit Dir."
Seine Gehilfen verschwinden immer wieder hinter ganzen Wänden aus Blumen, holen Nachschub auf die Bühne, einzeln oder im Sortiment, im Pappkarton.
Kaufen kann man auf dem Fischmarkt fast alles. Lederportemonnaies, Obst und Gemüse, Bratwurst und Fischbrötchen in allen Variationen: mit Frikadelle, Matjes oder Rollmops, mit Lachs oder Krabben. Stärkung für die Touristen, die aus ihren Bussen strömen und für Partygänger, die noch nicht nach Hause wollen.
"Wo kommt Ihr gerade her? Was verschlägt Euch hierher?" – "Wir kommen hier gerade aus dem Hafenklang, das ist so eine Diskothek hier nebenan und hatten nach ausgiebigem Tanzen jetzt einfach Hunger." – "Schollenfilet haben wir hier!" – "Haben wir alle! Alle Schollenfilet."
Und ein paar Meter weiter trotten zwei junge Männer nach Hause. Müde Augen, einer trägt einen großen, weißen Pappkarton, zugebunden mit dünner Schnur.
Ein Highlight für Hamburg-Touristen
"Entschuldigung. Erzählst Du mir, was Du gekauft hast?" – "Einen Hasen." – "Einen Hasen? Ist das dein Ernst?" – "Ich habe einen Hasen! Dem schenken wir jetzt die Freiheit! Da ist ein Hase drin! Aber ich glaube das selber noch gar nicht." – "Was hat der den gekostet?" – "15 Euro. Das ist ja eigentlich ein Scherz! Für einen Hasen, für ein Lebewesen. Ich lasse ihn frei, glaube ich. Morgen." – "Ein Hase oder ein Kaninchen?" – "Ein Hase. Hat er gesagt, der Verkäufer. Er hat gesagt, man kann sie freilassen." –"Und wo lässt Du ihn raus?" – "Ich glaube, im Schanzenpark. Denn da habe ich schon einige Hasen gesehen." – "Dann viel Erfolg! Tschüss!"
Die jungen Kerle und ihr Hase ziehen weiter. Leichter Regen setzt ein. Die Hasenverkäufer, drei gibt es hier, haben ihre Stände ganz am Rand des Fischmarkts. Sie handeln mit Hasen, Meerschweinchen, Hähnen und Hühnern und deren Eiern. Eine wortkarge Truppe. Misstrauisch und schweigsam. Aus Angst, an einen Tierschützer zu geraten. Nur einer von ihnen, Manfred, will sich äußern:
"Was muss ich berappen für Ihre Tiere?" – "Zehn Euro für ein Meerschweinchen, Kaninchen so zwanzig. Um den Dreh rum." – "Und was haben Sie hier?" – "Das sind Zwerghähne, Seidenhähne, mehr nicht."
Und mehr will auch Manfred nicht sagen.
Vor der alten, historischen Fischauktionshalle steht etwas ratlos eine Touristengruppe aus Bayern. Ein Wochenende Hamburg haben sie gebucht. Und die Binnen- und Außenalster gesehen, das Rathaus, den Michel und den "König der Löwen" in der Musicalhalle auf der anderen Elbseite.
"Wir kommen aus Oberbayern und hätten eigentlich mehr Fisch, die Fischhalle sehen wollen. Die ist leider zu." – "Da wird gar kein Fisch mehr gehandelt. Das ist früher so gewesen." – "Da sind wir jetzt stark enttäuscht. Denn diese Märkte mit den ganzen Bonbons und Schmuck und Klump und so weiter, die haben wir ja bei uns daheim auch. Da hätten wir nicht so früh aufzustehen brauchen. Wir sind um halb sechs aufgestanden."
Nein, der Herr aus Oberbayern winkt ab, das hat er sich ganz anders vorgestellt. Er hatte die Bilder von professionellen Fischauktionen im Kopf, vielleicht die Holzkisten und -fässer mit fangfrischer Ware, die sich in der alten Halle hinter ihm einst stapelten.
Fisch mit Stoßstellen lässt sich nicht verkaufen
Dieses Geschäft läuft längst an anderer Stelle. Einen halben Kilometer entfernt. Und ohne Touristenrummel. Direkt an der Elbe, untergebracht in einem gestreckten, 200 Meter langen Gebäude. Werktags von 23 Uhr bis neun Uhr am Morgen ist der Fischmarkt geöffnet. Reihenweise parken Lieferwagen rückwärts an der Rampe. Morgens früh um fünf herrscht in den zwei Dutzend aneinandergereihten Betrieben Hochbetrieb.
Heidi Meyer:"Jetzt sind wir hier am Filettisch, im Filettierraum. Wir haben jetzt Kabeljau auf dem Tisch für unsere Kunden. Schönen dicken Kabeljau. Das ist eine Einsersorte, ganz knackig frisch. Heute Nacht gekommen."
Heidi Meyer ist die Chefin von "Heidi-Fisk". Ihre Firma verarbeitet und verkauft Fisch aus nordeuropäischen Gewässern. Kalt ist es im Filettierraum, riesige Tische bedeckt mit dem silbrig-grauen Kabeljau. Davor steht einer ihrer Angestellten mit Plastikschürze und Gummistiefeln, spritzt die Ware mit einer Handbrause ab. Schneidet dem Fisch das Fleisch von den Gräten. Routiniert, mit einem schmalen, langen Messer.
Meyer:"Wir können natürlich auch fertiges Filet in Dänemark einkaufen. Aber unser Kunde, speziell unser Kunde möchte unser Filet haben. Handfiletiert, nicht zerrissen, da ist eine Scheibe wie die andere. Wir sortieren auch. Wenn da irgendwas dran ist, dann kommt das gleich weg. Dann wird das anders verarbeitet oder auch mal weggeschmissen. Es gibt ja auch mal Fische, die Stoßstellen haben, vom Schiff, von den Netzen. Und das kann der Einzelhändler nicht auf den Tisch legen. Denn sagt der Endverbraucher: 'Ach, was ist das?' Die Endverbraucher, die wissen das ja eigentlich gar nicht. Der Fisch muss immer glatt aussehen. Aber das geht gar nicht."
Gegenüber dem Filettiertisch rattert eine Häutungsmaschine. Ein Rotbarsch nach der anderen wird aus einem Bottich mit zerstoßenem Eis auf ein kleines Fließband gelegt, durch die Maschine gezogen. Unten fallen die glänzenden Fischhäute in einen Abfalltrog, rechts wirft der Apparat die enthäuteten Rotbarsche aus. Die Tiere werden gestapelt, wieder auf Eis gelegt. Daneben steigt Dampf aus einem Eimer, gefüllt mit heißem Wasser.
Meyer:"Jetzt wird das ja auch schon wieder ein bisschen kälter, dass man sich auch wieder mal heißes Wasser hinstellen muss, Finger ein bisschen aufwärmen. Weil man muss sich ja vorstellen: Die gehen immer ins Kalte rein, das Filet ist ja schön in Eis gepackt. So muss es gehalten werden, die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden und dann ist es ja klar, dass man auch kalte Finger kriegt."
"Es gibt auch schon mal Ware, die nicht so 1 A ist"
Heidi Meyer verabschiedet sich, muss zurück ins kleine, mit Glas abgetrennte Büro. Telefonate mit ihren Lieferanten in Dänemark, Norwegen führen, Mengen und Preise für die nächste Lieferung aushandeln. Die Fischauktionen finden längst nicht mehr im Fischmarkt statt, sondern in Dänemark oder Norwegen. Hinter ihrem Betrieb zieht sich ein Gang durch das gesamte langgestreckte Gebäude. Hier stapeln sich unter Neonröhren, die mit Fisch und Eis gefüllten Styroporkisten, daneben stehen die großen Plastikbottiche, in denen die Ware per Lkw angeliefert wurde.
Mittendrin beugt sich Thomas Giesler über die Fische, kauft ein für sein Fischgeschäft in Hamburg-Barmbek.
"Das ist hier der tägliche Einkauf. Mit Kollegen, und täglich frisch. Das macht auch Spaß! Hier sich die frischesten Produkte auszusuchen, macht schon einfach Spaß." – "Und da entwickelt man einen Blick für, was frisch ist und was nicht. Aber wahrscheinlich ist alles frisch?" – "Nö. Es gibt auch schon mal Ware, die nicht so 1A ist. Aber das liegt nicht am Großhändler, das liegt am Lieferanten oder am Wetter oder an anderen Möglichkeiten. Man sieht das schon. Manchmal ist die Ware wirklich top, manchmal ist sie nicht so ganz klasse. Aber da muss man sich das Beste aussuchen. Deshalb fahren wir auch jeden Tag zum Fischmarkt. Manchmal ist die Ware von gestern besser als die von heute. Da muss man immer ein bisschen gucken."
Thomas Giesler geht weiter auf Einkaufstour, trifft Kollegen, hält Smalltalk. Ein Arbeiter schiebt neue Eiskübel neben die geöffneten Plastikwannen, schaufelt frisches Eis auf die Fische. Bis Mitte der Achtzigerjahre wurde die Ware mit Kuttern die Elbe hochgefahren. Und von der Kaikante direkt in den Fischmarkt transportiert. Heute kommen die Tiere per Lkw vor allem aus Nordeuropa und Bremerhaven. Die Fische, die auf deutschen Tellern landen, kommen kaum noch aus deutschen Gewässern. 200.000 Tonnen fangen deutsche Fischer, 1,9 Millionen Tonnen werden importiert. Sie kommen aus der Ochotskischen See an Russlands Ostgrenze, aus dem Pazifik, dem Indischen Ozean, aus dem Mittelmeer. Und ein Teil, immerhin 30.000 Tonnen, vor allem exotische Fische, kommt mit dem Flugzeug über Frankfurt. Geordert wird die Ware nicht nur von den Händlern wie Heidi Meyer, sondern, in großem Stil auch von Oliver Schulz. Er arbeitet für die Hamburger Logistik- und Lagerhaus AG, die HHLA, die Eigentümerin des ganzen Gebäudekomplexes. Er ist, erzählt Schulz, der Fischbroker der Firma.
Das Besondere: die Vielfalt des Angebots
Schulz: "Was das genau ist, ist schwer zu sagen. Es ist jemand, der ständig mit wechselnden Preisen, im Grunde mit wechselnden Kursen arbeiten muss. Der ganz viele verschiedene Fischarten handlen muss, gleichzeitig Einkauft und auch Wiederverkauft. Ein Beispiel: Ein Kunde will Seelachs haben. Dann rufe ich einen Lieferanten an, der erzählt, er hat kein Seelachs, er hätte aber 500 Kilo Rotbarsch. Ob ich die haben will? Dann rufe ich den nächsten Lieferanten an. Der hat dann ein bisschen Seelachs, sagt aber, da muss ich den Kabeljau mitschicken. Dann weiß: Ich habe schon mal 500 Kilo Rotbarsch, dann habe ich noch ein bisschen Kabeljau, habe noch nicht ein bisschen Seelachs. Dann rufe ich den nächsten Lieferanten an, gleichzeitig Kunden und versuche, das dann alles so zu handlen. Und das ist dann ein Fischbroker. Und jetzt klingelt beim Fischbroker gerade das Handy."
Oliver Schulz geht mit dem Handy am Ohr langsam durch den gekachelten Gang, handelt Fische, die schon am nächsten Tag geliefert werden. Das Besondere am Hamburger Fischmarkt, erzählt der Broker neben einer Reihe schon geöffneter Styroporkisten, sei die Vielfalt des Angebots.
"Hier sind Lachse zu sehen. Wir haben hier Seehechte. Da sind Thunfische. Da stehen Forellen. Und hier geht es weiter mit den Feinfischen. Hier ist eine Seezunge zum Beispiel, sehr hochpreisiger Fisch. Qualitativ richtig schön! Voll vereist. Und hier: Seeteufel. Einer meiner Lieblingsfische, wenn's ums selber Essen geht. Sehr schmackhaft." – "Und das sind Garnelen oder Krabben?" – "Das sind Kaisergranate, werden auch 'Norwegian Lobsters' genannt. Kaisergranat ist auch richtig lecker! Hier sind Miesmuscheln in Säcken verpackt. Und das ist ein relativ kleines Angebot. Wir werden hinten in der Halle gleich noch sehen, dass die zum Teil noch viel mehr Angebot haben."
Medienunternehmen zeihen auf das Gelände an der Großen Elbstraße
Ein paar Meter weiter hat Yumin Ying, Europas größter Thunfischimporteur seinen Betrieb. Dahinter werden Marinaden und frische Salate hergestellt und für Großabnehmer abgepackt. Oliver Schulz begrüßt die Händler alle mit Handschlag. Besonders kräftig ist der Händedruck von Hilke Schulz. Seit 1956 arbeitet sie hier. Sie schwärmt von den alten Zeiten, von den einlaufenden Kuttern, der tollen Atmosphäre, der Zusammenarbeit zwischen den Leuten. Früher hat sie lebendige Aale in rauen Mengen verkauft. Heute arbeitet sie in der Räucherei von "Krahl und Freudenthal". Ihre Schicht geht von zwei bis neun Uhr morgens. Von Montag bis Freitag.
"Ick beet eenmool den besten Ool an, den dat geben deit." – "Den besten Aal!" – "Und denn hebb ick dor ganz feine Rollmöpse, Räucherrollmops. Dat is ooch ganz was Feines! Denn hebb wi im Moment scheune Schillerlocken." – "Und das heißt auf Hochdeutsch?" – "Ich biete an: Schillerlocken, vom Feinsten. Stremellachs vom Allerbesten. Dann habe ich wunderschöne Aale. Die gibt es so nur bei uns, so frisch geräuchert. Und die Rollmöpse. Das sind Räucherrollmöpse. Das sind Heringslappen, geräuchert. Mit Gewürzgurke drin und Zwiebel drin."
Hilke Schulz geht wieder an die Arbeit, spendiert vorher noch ein Stück selbstgebackenen Kuchen. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Fischmarkt immer wieder verändert, hat sich den neuen Transportwegen, dem gestiegenen und geänderten Fischkonsum der Deutschen angepasst. Rund 700 Menschen arbeiten in den Hallen an der Kaikante. Tendenz leicht fallend. Dafür ziehen neuerdings auch Medienunternehmen, Stiftungen oder Reedereien auf das Gelände an der Großen Elbstraße. Wird die Fischverarbeitung also nach und nach verdrängt, irgendwann dichtgemacht? Nein, sagt Matthias Funk in seinem Büro im zweiten Stock. Er ist Geschäftsführer der Fischmarkt GmbH, einer Tochterfirma der HHLA und ist zuständig für etliche Immobilien im Areal.
Funk: "Für uns ist es auch eine innere Logik, dass der Standort auch daraus seine Attraktivität für viele weitere Nutzer zieht. Weil gerade hier ein einzigartiges Ambiente, eine einzigartige Atmosphäre gegeben ist, die verloren ginge, wenn die angestammte Branche, die Fischwirtschaft hier so nicht mehr vertreten wäre."
Und immerhin, so Funk, hat hier auch der Bundesverband der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels seinen Sitz. Oder das Institut für Hydrobiologie und Fischereiwirtschaft. Auch auf lange Sicht wird der Fischmarkt erhalten bleiben, werden hier von 23 bis neun Uhr morgens Fische filetiert, zerlegt, verpackt, verkauft.
Zurück auf dem alten Fischmarkt, an der historischen Auktionshalle. Mittlerweile ist es hell geworden. Die Besucher schieben sich vorbei an den Marktständen. Auf dem Weg zurück zu Aale-Dieter geht es vorbei an Ständen mit afrikanischen Schnitzereien, mit Tüchern und T-Shirts, mit Werkzeug. Vorbei am Blumenkönig und an einem erstaunlich winzigen Stand: ein kleiner Tisch, ein Plakat. Dahinter steht Martin. Grüne Schürze, Strohhut.
Martin: "Drei Stück nur zehn Euro! Einer kostet vier Euro. Jetzt geht's hier mal richtig los, jetzt geht's hier mal richtig zur Sache, Du!"
In der Hand hält der Verkäufer ein kleines fingerdickes Plastikröhrchen: den Patent-Safti!
Martin: "Achtung, Achtung! Normalerweise mache ich alle 15 Minuten eine Vorführung. Dich schiebe ich jetzt mal schnell zwischenrein. Schau mal, das ist der Patent-Safti! Den gibt es seit achtzig Jahren. Dann nehme ich jetzt eine Limette und setze den Safti hier am Ende der Frucht an und jetzt stecke ich den mit so einer leichten Sägebewegung rein. Das geht natürlich ganz einfach."
"Sabbel nicht so viel, iss!"
Martin dreht das Gerät in die Limette, knetet die Frucht, gießt den Saft in kleine Plastikbecher. Sechs Tage haltbar sind die Zitrusfrüchte mit reingeschraubtem Ausgießer, schwärmt Martin und verkauft seiner Kundin gleich drei Stück davon. Martin gehört zur ruhigen Sorte Marktschreier. Ein sanfter Typ, das genaue Gegenteil von Aale-Dieter. Um dessen Verkaufsbude steht eine kleine Menschentraube, hält ein bisschen Abstand. Und das kann Dieter Bruhn nicht gebrauchen. Er will seine Kundschaft ranholen an die aufgestapelten Aale, braucht die Nähe, um besser verkaufen zu können.
Dieter: "So, Kinners! Kommt mal alle ran! Du auch da hinten! Ran! Ich zeig Euch das! So ist "ran" und so ist "weg". So, komm hier weiter her! So Kinners! Spitzenware beim Aale-Dieter! Jeden Sonntag Räucherlachs und Räucheraal, beim Dieter nur die erste Wahl! Und jetzt will ich Euch was zeigen, was Qualität ist!"
Dieter Bruhn packt einen seiner Räucheraale aus, setzt einen Schnitt, zieht ihm die Haut vom fettigen, hellgrauen Fleisch. Und verteilt kleine Portionen im Publikum:
"Das ist Spitzenware! Und wenn Du den isst, meine Kleine, dann wird sich in Deinem müden Körper auch was tun. Du darfst mal ein Stück probieren. Nu iss mal und sag, wie das schmeckt! Sabbel nicht so viel, iss! Sag wie das schmeckt." – "Mmmmh!" – "Siehste. Hab ich doch gesagt!"
Zwei, drei, vier Aale verkauft Dieter Bruhn immer auf einmal, legt noch eine Packung Räucherlachs dazu, und winkt immer neue Besuchertrauben zu sich heran. Etwas scheue Touristen, die seinem schroffen Charme und der eigenen Neugierde erliegen und näher kommen. Unter ihnen ein älteres Pärchen aus Vancouver, Canada:
"Eigentlich wollte ich in die Fischauktionshalle. Aber die ist zu. Aber wir sind jetzt zum zweiten Mal hier. Und Aale-Dieter ist noch da. Und auch der Typ mit den Blumen ist noch da. Den gucken wir uns auch immer gerne an." – "Es ist alles so lebendig. Verkaufen, kaufen, das macht Spaß!" – "Und es wird gefeiert, in der Nacht davor."
Tatsächlich. Schräg gegenüber, vor den Türen einer Eckkneipe wippen immer noch die Nachtschwärmer zur Musik, beißen in ihre Fischbrötchen und Bockwürste, schauen rüber ins Morgengrauen über dem Hafen.