Gedenkstätte für Deserteure
In Hamburg entsteht demnächst ein Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz. Der Entwurf des Künstlers Volker Lang wird nach Informationen der Kulturbehörde bis 2015 umgesetzt. Die Gedenkstätte in Form eines Dreiecks aus bronzenen Schriftgittern soll zwischen dem Kriegerdenkmal und dem unvollendeten "Mahnmal gegen den Krieg" hinter dem Bahnhof Dammtor realisiert werden.
Durch die Fensterfront fällt Sonnenlicht in das Atelier am Hamburger Stadtrand. Volker Lang steht an seinem Arbeitstisch, einen DIN A4-Bogen in der Hand. Liest Texte, die ihn bei seinem Entwurf für das Hamburger Denkmal für Deserteure inspiriert haben. Texte, die bald in Bronze gegossen werden sollen. Brutale Texte von überzeugten Deutschen:
Volker Lang: "Hier heißt es zum Beispiel: 'Man muss diese gemeinsten Kreaturen, die jemals den Soldatenrock der Geschichte getragen haben, dieses Gesindel, das sich aus der einstigen Zeit herübergerettet hat, abstoßen und austreiben.' Dieser Satz ist von einem, ich nehme mal an, ranghöheren Nazi gesprochen. Wahrscheinlich im Radio oder bei einer Rede. Die dann per Funk übertragen wurde. Und das bezieht sich natürlich auf, die eingezogen waren und die eine bestimmte andere politische Gesinnung hatten als die nationalsozialistische."
Überliefert hat den Satz Helmut Heißenbüttel. Der Schriftsteller kämpfte als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Wurde verwundet und erlebte das Jahr 1944 fernab der Front. Heißenbüttel notierte Textfragmente der Zeit, konservierte die blechern-scheppernden Stimmen aus dem Radio, dem Volksempfänger, aus öffentlichen Reden, aus Zeitungen. Und setzte die Fragmente 1967 zusammen, in seiner Collage "Deutschland 1944":
Volker Lang: "Wenn man dieses Stück liest von Heißenbüttel, dann erscheinen sämtliche Motive, die Motive für Desertation waren, in diesem Text wieder. – Hier: 'Es trat an uns die Frage heran, wie es ist mit den Frauen und Kindern. Ich habe mich entschlossen, auch hier eine klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten, sprich: also umzubringen oder umbringen zu lassen. Und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel großwerden zu lassen!'"
Große Lettern aus Bronze
Die Wände des Hamburger Deserteur-Denkmals bestehen aus den Buchstaben von Heißenbüttels Text sollen – in Bronze gegossen. Große Lettern, durch die der Blick ins Innere des Denkmals fällt. Mehr als 300 Männer und Frauen wurden von den Hamburger Wehrmachtsgerichten zum Tode verurteilt. Sie wurden erschossen, starben auf der Guillotine oder an Krankheiten in Gefangenenlagern. In Köln, Flensburg oder Ulm gibt es schon Gedenkstätten für Deserteure. In Hamburg hat die Debatte darüber erst spät begonnen, im Sommer 2015 soll das Denkmal fertig sein. Elf Ideen kamen in die engere Wahl. Volker Langs Entwurf überzeugte die Jury:
Volker Lang: "Meine Arbeit besteht aus einem skulpturalen Baukörper, der auf dem Grundriss eines Dreiecks errichtet ist. Und dieser Baukörper hat – entsprechend des Dreiecks – drei Wände, von denen eine dem Winkel des Dreiecks folgend gefaltet ist. Diese gefaltete Wand ist geschlossen und ist aus Beton gearbeitet, aus Beton gegossen."
Und auf dieser Wand sind Texte eingelassen, die nicht nur das Denkmal selbst, sondern auch seinen Standort erklären, erzählt der Künstler. Der Standort, eine Grünfläche vis-á-vis des Dammtor-Bahnhofs ist ein durch jahrzehntelangen Streit und Debatten aufgeladener Ort.
Auf dem Rasen steht eine hundert Jahre alte Platane. Der Baum ist Zeuge des Wandels der deutschen Erinnerungskultur, die diesen Platz mit besonders heftiger Emotionalität prägte: Links der Platane steht das "Denkmal für das Hamburger Infanterieregiment 76", das "76er-Denkmal", der "Kriegsklotz": Ein monumentaler Quader des Bildhauers Richard Kuöhl aus Muschelkalk, errichtet 1936.
80 Soldaten marschieren in Reih und Glied als Relief um die vier Seiten des Denkmals. Der Verein der "Freunde des 76er-Denkmals" muss immer wieder Graffiti-Aufschriften entfernen lassen, 1999 sprengten Linksautonome eine Ecke des Denkmals ab. 2001 wurde der Klotz bei einer Kunstaktion in Zellophanfolie gewickelt. Und als sich die von SPD und Grünen geführte Bundesregierung zum Eingreifen in den Kosovo-Krieg entschied, bemalten Unbekannte die Wehrmachtshelme der Denkmalsoldaten mit roter und grüner Farbe. Die Hamburger Punkband Slime setzte sich auf ihre Art mit der Inschrift des 76er-Denkmals auseinander. Mit dem Spruch über den Soldatenhelmen: "Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen":
O-Ton Slime-Song: "Deutschland muss sterben! Damit wir leben können! Deutschland muss sterben! Damit wir leben können!"
Rechts der Platane steht, als Antwort auf die Kriegsverherrlichung des 76er-Denkmals, das "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus". Erschaffen vom Österreicher Künstler Alfred Hrdlicka: schreiende, verbrennende, zusammengesunkene Figuren, Opfer der Hamburger Bombennächte. Ertrinkende Gefangene aus dem KZ Neuengamme vor den Toren Hamburgs. Dr. Detlef Garbe, der Direktor der Gedenkstätte Neuengamme, steht vor der alten Platane. Genau dort, wo im März 1936 das 76er-Denkmal feierlich enthüllt wurde.
Detlef Garbe: "Es war seinerzeit als es 1936, im Mär 1936 eröffnet wurde eingeweiht wurde, mit einem Ehrenhof umgeben, er gepflastert war. Als Aufmarsch-Stätte für – wie es damals auch offiziell hieß –' Heldengedenken. Und diese 'Großtaten der Vergangenheit', an die erinnert wird, sind vor allem die siegreichen Schlachten im Krieg 1870/71, die das Infanterieregiment geführt hat. Und man wollte sozusagen diese Siege wiederholen, um die Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg ausgleichen zu können."
Dabei marschieren die Soldaten auf dem 76er-Denkmal nicht etwa in Uniformen, mit den Helmen aus dem deutsch-französischem Krieg von 1870/71. Stattdessen tragen sie die Stahlhelme der Wehrmacht, ihre Gewehre und Messer, Trinkflaschen und Äxte an der Koppel. 50 Meter entfernt vom Kriegsklotz steht Alfred Hrdlickas Gegen-Denkmal. Geplant hatte der Künstler vier einzelne Denkmal-Teile.
Nur zwei Teile wurden realisiert, so der Historiker Detlef Garbe:
"Das erste hier platzierte Teil, Fragment des Denkmals, heißt 'Der Feuersturm'. Erinnert an die Zerstörung Hamburgs 1942 im Zuge der britisch-amerikanischen Luftangriffe der sogenannten 'Operation Gomorrha'. Das Zweite, was er errichtet hat, ist diese Figurengruppe: Diese Figurengruppe heißt 'Fluchtgruppe Cap Arkona'. Erinnert daran, dass am 3. Mai 1945 KZ-Häftlinge unter anderem auf einem damals sehr bekannten Schiff, dem Luxusliner der Reederei Hamburg Süd, der Cap Arkona, zusammengepfercht worden sind. Zu Tausenden. Und am 3. Mai 1945, also kurz vor Kriegsende, sind die tragischer Weise im Zuge eines Großangriffs, den die Royal Airforce auf Schiffsverbände in der Lübecker Bucht ausgeführt hat – man vermutete, dass es sich um Truppentransporter handelte. Über 7000 Opfer hat diese Bombardierung, dieser Raketenbeschuss auf die Cap Arkona und die Thielbeck gefunden. KZ-Häftlinge, die kurz vor ihrer möglichen Befreiung sterben mussten."
Die ursprünglich geplanten Teile "Soldatentod" und "Frauenbild im Faschismus" hat Alfred Hrdlicka nie realisiert. Schon nach Fertigstellung der ersten beiden Denkmal-Fragmente war das von der Stadt Hamburg bewilligte Budget von einer Million D-Mark aufgebraucht. Hrdlickas Verhandlungen mit der Stadt über zusätzliche Mittel scheiterten.
Vor dem Dammtor-Bahnhof stehen sich heute zwei Denkmäler gegenüber, die hochemotional funktionieren: Hrdlickas anklagendes, Krieg und Pathos verachtendes Mahnmalfragment und Kuöhls pathetisch-kriegsverherrlichender Muschelkalk-Klotz.
Vermittlung zwischen Kriegsklotz und Gegendenkmal
Das Denkmal für die Deserteure soll, hieß es in der Ausschreibung des Senats, in der Mitte zwischen den beiden anderen stehen. Und nicht nur an die Opfer der Wehrmachtsjustiz erinnern. Es soll auch im Widerstreit zwischen dem martialischen Kriegsklotz und dem unvollendeten Gegendenkmal vermitteln, so Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler bei der Vorstellung von Volker Langs Siegerentwurf, dem dritten Denkmal am Hamburger Dammtor-Bahnhof:
"Ich glaube, das ist jetzt mit der Arbeit von Volker Lang in einer sehr leisen, aber eindringlichen Form gelungen! Anders als die beiden arbeiten, die ja sehr stark über eine bestimmte Art der Emotion arbeiten, ist das hier eine sehr geistige Auseinandersetzung. Man muss sich mit den Texten auseinandersetzen. Sie zeigt im Endeffekt, dass die Kraft des Geistigen gegen die rohe Gewalt wirklich eine Stärke darstellt und auch etwas ausrichten kann."
Die Doppelfunktion des neuen Denkmals als Gedenkort für Wehrmachtsdeserteure und als Mittler zwischen zwei diametral entgegengesetzten Erinnerungskulturen empfindet Volker Lang als Herausforderung und auch als Bürde. In seinem Mahnmal wird es zwar in die Betonwand eingelassene Hinweise auf das Spannungsfeld zwischen den Denkmälern rechts und links geben.
Als Informations-Pavillon versteht er seinen Entwurf aber nicht:
"Das ist durchaus ein Problem. Das stellt sich ja schon, wenn jetzt zum Beispiel gewünscht wird, dass in meiner Arbeit Fotografien hängen, die zum Beispiel die Geschichte des Ortes des Deserteur-Denkmals zeigen. Das lehne ich ab! Weil es nicht Teil der Ausschreibung war und weil es nicht zu meinem künstlerischen Konzept gehört!
Die bronzenen Buchstaben aus Helmut Heißenbüttels Collage bilden zwei der Wände von Volker Langs dreieckigem Bau. Die eine Wand ist von außen, die andere von innen lesbar. Durch einen Spalt gelangen die Besucher in den Innenraum.
Volker Lang: "Ich möchte ja, dass die Leute hineingehen in meine Arbeit. Und dann drin sind. Und dann lesen sie den Text und entscheiden das, entscheiden das viel stärker, mit was sie sich auseinandersetzen. Ich wollte da schon ein bisschen was erzwingen. Wenn man darüber lesen will, muss man in meine Arbeit gehen. Und dann setzt man sich automatisch mit den Deserteuren auseinander."
Und zusätzlich zu den schriftgewordenen Wänden sind Heißenbüttels Texte auch über im Denkmal installierte Lautsprecher als Hörstück abspielbar. In seinem Atelier beugt sich Volker Lang über das Modell seines Entwurfs. Eine kleine weiße Plastikfigur steht schon davor. Eine erste Besucherin. Nicht alle werden begeistert sein vom neuen Denkmal, fürchtet Lang. Aber es könnte die Wunden heilen, die die jahrzehntelangen Debatten um die schon existierenden Mahnmale, die Antipoden am Dammtor-Bahnhof hinterlassen haben:
"Es hat schon etwas Heilendes. Es gibt ja auch wieder das Bewusstsein einer Zivilgesellschaft, dass man in der Lage ist, diesem Thema sich öffentlich zu stellen, in der Öffentlichkeit zu stellen. Und es gibt bestimmt eine Menge Widersacher oder Aggressionen darauf. Aber allein, dass man in der Lage ist, einen Senatsbeschluss zu fassen – einstimmig! – der so etwas genehmigt, das ist schon eine Entwicklung.
Und diese Entwicklung, so Volker Lang, wäre undenkbar ohne die jahrzehntelange Arbeit der einst zum Tode verurteilten und mit dem Leben davongekommenen Wehrmachtsdeserteure. Von Menschen wie dem 92-jährigen Ludwig Baumann. Von ihm ging die Initiative für das Hamburger Denkmal für die Deserteure aus. Im nächsten Jahr soll es eingeweiht werden. 73 Jahre, nachdem Ludwig Baumanns aus der Wehrmacht desertierte.