Hamburger Hafen von oben

Von Axel Schröder |
Tagtäglich laufen Containerfrachter den Hamburger Hafen an, liefern Nachschub für die Verkaufsregale der Republik. Abgefertigt werden die Frachter Tag und Nacht. Hoch über den Schiffen sitzen Spezialisten in Kränen und hieven die Container an Land oder an Deck.
Ein weißer Kleinbus durchquert die Schluchten auf dem Burchardkai im Hamburger Hafen, rechts und links stapeln sich in allen Farben die Frachtcontainer. Monströse Spezialtransporter, sogenannte Van-Carrier, 20 Meter hoch, auf Stahlstelzen, mit mannshohen Gummireifen. Diese Riesen bewegen die tonnenschweren Container, bringen sie zu den Schiffen oder holen sie dort ab. Aber ihr Weg endet an der Kaikante. Dann kommt der Brückenfahrer ins Spiel. Der lädt den Container vom Kai auf das Schiff.

Es geht nach oben. Über Stahlstufen zum Fahrstuhl. 30 Meter hoch auf die hellgraue Containerbrücke. Durch Gittertore bis zur Katze. So heißt die vollverglaste, bewegliche Gondel, in der die 26-jährige Chantal Arlan arbeitet. Der Brückenfahrer ist heute eine Fahrerin, eine von sechs Frauen unter 114 Männern auf dem Burchardkai.

Chantal Arlan: "Wir laden hier gerade. Das heißt, die Container werden hier unten von den VCs abgestellt in den beiden Spuren. Das sind die großen Geräte auf den langen Beinen. Dann läuft da unten die Brückenaufsicht rum, die zeigt mit an, welchen ich nehmen soll …"

… und dann manövriert Chantal die Katze und sich selbst über den Container auf dem Terminal, senkt die Greifer aus schmutzig-rotem Stahl in die Tiefe, erst schnell, dann behutsam. Direkt auf die Ecken des Containers.

"Dann hab ich hier drei Leuchten: einmal die gelbe für die Auflage und ‚Rot‘, wenn ich verriegel. Dann sehe ich: ‚Rot‘ leuchtet, dann kann ich anheben. Dann nehme ich ein Stück. So einen Meter. Dann stehen da unten die Lascher, die stecken da Twist-Locks rein. Das sind so Verbindungsstücke: Wenn ich zwei Container aufeinandersetze, dass die dann verriegelt sind. Und wenn das Schiff mal auf hoher See im Sturm ist, dass die da nicht runterkippen."

Chantal beugt sich vornüber, schaut durch die mit Drahtgittern verstärkte Glasscheibe, bedient mit der rechten Hand den Joystick.

Zwei Minuten pro Container
Chantal: "Oben an Deck ist dann der Decksmann, der sagt mir dann an, wo ich den hinzustellen habe. Das weiß ich jetzt schon, weil er mir gesagt, wie das Deck ungefähr aussieht …"

… und per Funk kann der Decksmann dann noch der Brückenfahrerin sagen, ob unten alles bereit ist zum Absetzen. Im Schnitt zwei Minuten dauert das Verladen eines Containers. Übung und Erfahrung gehören dazu, viel Gefühl für das schwere Gerät, für die 20, 30, bis zu 70 Tonnen schweren Frachtbehälter.

"Es ist schon auf den Zentimeter genau. So ein bisschen, so ein zwei Zentimeter rutscht er manchmal noch mal rein. Aber du musst halt schon treffen. Siehst du ja: Die stehen ganz eng aufeinander. Da muss das dann sitzen!"

Chantal setzt den Container an Deck ab, steuert die Katze zurück über die Kaianlage. Die nächste Box steht noch nicht bereit. Zeit für eine kurze Pause. - In 30 Meter Höhe überblickt sie den weiten Terminal der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik-AG, das Hafenbecken, die Elbe. Rund um die Uhr, in drei Schichten arbeiten die Brückenfahrer. Zwei, drei Brücken können gleichzeitig an einem Schiff im Einsatz sein. Jeder Frachter trägt zwischen zwei und 12.000 Containern, die möglichst schnell gelöscht, also: entladen werden müssen. Das fordern die Kunden der HHLA, die weltweit agierenden Reedereien.

"Wenn ein Schiff jetzt ganz dringend raus muss. Und auch nicht so viel hat - ich sag mal: zehn Stück noch - dann müssen sie los, dann kann das sein, dass sie uns die Pause abkaufen. Dafür machen wir dann die Pause durch, das Schiff kann los. Wir kriegen noch ein bisschen Geld dafür. So wird sich eigentlich meist geeinigt."

Immer wieder werden alle Abläufe auf den fünf Terminals der HHLA optimiert. Denn die Konkurrenz zwischen den europäischen Häfen, vor allem zwischen Hamburg, Rotterdam und Antwerpen, zwischen Bremerhaven, Wilhelmshaven, Amsterdam und Zeebrügge ist in den letzten Jahren rasant gewachsen.

20.000 Container am Tag schlagen Chantal und ihre Kollegen um, 6,8 Millionen im Jahr. - Seit anderthalb Jahren ist Chantal dabei. Gleich nach dem Abitur hat ihr ein Freund geraten, zwei Tage zur Probe auf dem Terminal zu arbeiten. Dann schrieb sie ihre Bewerbung:

"Für mich ist das genau das Richtige, weil ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich keine Lust habe, einen ganzen Tag vor dem PC zu hängen und auf den Bildschirm zu gucken. Auf dem Stuhl im Büro - das ist glaube ich nichts für mich. Ich brauche das, dass ich mal ein bisschen Abwechslung habe. Du bist ja eine halbe Schicht hier oben auf dem Kran und eine halbe Schicht auf dem Deck. Machst immer mal was anderes - das gefällt mir schon!"

Ganz sanft setzt Chantal den letzten Container in den Bauch des Frachters. Macht sich auf den Weg zum Mittagessen in der Kantine. Die junge Frau verriegelt die Katze, geht über die Stahlgitterböden zum Fahrstuhl. Und erzählt, was ihr nicht gefällt an der Arbeit auf dem Schiff:

"Wir hatten letzten Winter minus 16 Grad. Und ich glaube einmal auf Nachtschicht minus 22. Und dann stehst du auf den Stahldeckeln und hast ja auch die Schuhe an mit den Stahlkappen. Das friert dir so schnell ein. Du ziehst schon alles Mögliche an, kannst dich gar nicht mehr bewegen, kommst gar nicht mehr die Leitern hoch. Und dir ist trotzdem kalt."

Die Fahrstuhltür schließt sich, es geht nach unten. Zum wartenden Kleinbus mit den Kollegen. Zurück durch Containerschluchten, vorbei an den haushohen Van-Carriern, die Nachschub bringen. Ohne Pause, rund um die Uhr.
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