Hamm-Brücher: FDP "eiert" heute wieder genauso herum
Dass die Grünen das Freiheitserbe des politischen Liberalismus angetreten haben, ist die ernüchternde Erkenntnis der Hildegard Hamm-Brücher, die 2002 aus der FDP ausgetreten ist. Sie betont aber, dass sich ihre alte Partei wieder eine Existenzberechtigung erarbeiten könnte, wenn sie sich intensiv mit den liberalen Vordenkern beschäftigen würde.
Liane von Billerbeck: Ich will Sie als Erstes nach einer Frau fragen, die wäre, würde sie noch leben, heute immerhin zwei Tage älter als Sie: Sophie Scholl. Die ist am 9. Mai 1921 geboren, und für uns Nachgeborene ist die von den Nazis hingerichtete Widerstandskämpferin Sophie Scholl eine historische Figur. Wie nah ist sie Ihnen?
Hamm-Brücher: Ich habe ja mit Sophie Scholl nicht so viel zu tun gehabt, denn sie war ja nur ganz kurze Zeit, 1941, nach München gekommen. Und wir sahen uns nur bei Konzerten oder nach Konzerten und diskutierten heftig – es war ein ganz großer, wechselnder Kreis –, ich habe sie nicht sehr gut gekannt. Aber ihr Mut vor dem Volksgerichtshof, als sie der Freisler anschrie, wie ein junges Mädchen, das so nett ist und so jung, so etwas machen kann. Dann hat sie ihm ins Gesicht gesagt: Einer muss den Anfang machen.
Und dieses einer muss den Anfang machen ist für mein ganzes Leben ein ganz wichtiges Motto geworden, denn ich habe überlebt. Wie durch ein Wunder hat mein Doktorvater mich – der Nobelpreisträger war – durch alle Fährnisse gerettet, und das war für mich klar: Wenn du überlebst, dann lebst du dafür, wofür meine Freunde ihr Leben geopfert haben. Und da ich entschlossen war, im Sinne der Weiße-Rose-Studenten, etwas zu tun, habe ich dann, als ich Theodor Heuss kennenlernte, der hat den Schritt mir ans Herz gelegt: Mädle, du musst in die Politik.
von Billerbeck: Sie sind 1948 in die FDP eingetreten und wurden mit 27 Jahren zur jüngsten Stadträtin in München gewählt. Was wollten Sie?
Hamm-Brücher: Wir haben versucht, Züge aufzuhalten mit Kartoffeln, wir haben Zehntausende von Bezugsscheinen für Schuhe ausgelost, ich habe die Säcke organisiert, damit wir die Böden in den halbzerstörten Schulen irgendwie reinigen konnten – also ich war sozusagen eine praktische Trümmerfrau.
von Billerbeck: Nun hätte man ja meinen können, nach dem Krieg und durch den Männermangel hätten Frauen, die das ja alles größtenteils wieder aufgebaut haben, auch die Führungspositionen – auch in der Politik – erobern müssen. Warum waren aber Frauen wie Sie damals – und noch lange – eher die Ausnahme?
Hamm-Brücher: Und zwar vollkommen die Ausnahme! Das war einfach auch Schuld der Frauen, denn wir hatten ja vorher in der Weimarer Republik der 20er-Jahre schon wenigstens – das hieß grundsätzliche - Gleichberechtigung. Eben bei Wahlen, wir durften endlich wählen und so weiter, und die Frauen – es waren auch ungefähr vier Prozent Frauen im Deutschen Reichstag, aber die wurden überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, die trauten sich auch nicht zu sprechen. Es gab in der Weimarer Republik keine Frau, die irgendein Amt hatte, die sich in Innenpolitik einmischte, in die ganzen Auseinandersetzungen um den Versailler Vertrag. Und auch 45, sind die ganz wenigen jungen Frauen – es waren drei, vier – wir waren die einzigen! Es waren ganz vereinzelte Frauen, und jahrelang war ich überall die einzige, und immer die jüngste, weil die älteren sich nicht trauten.
von Billerbeck: Frau Hamm-Brücher, wie muss man sich das konkret vorstellen? Als junge Frau, als eine der ganz, ganz wenigen da Politik machen – wie setzt man sich da durch? Wie haben Sie das gemacht?
Hamm-Brücher: Indem ich immer unbefangen einfach meinen Mund aufgemacht hatte – das war eine der schwersten Voraussetzungen, dass wir Frauen überhaupt uns zu Wort melden konnten. Und ich habe gesehen, dass Mädchen keine Chancen hatten, eine weiterführende Bildung anzutreten. Ich habe im Stadtrat gekämpft, dass die ersten Frauen auch ins Orchester der Stadt aufgenommen worden sind, dass sie in eine andere, höhere Laufbahn auch eintreten konnten.
Das waren lauter kleine Kämpfe, lauter kleine Kämpfe, in denen das durchgesetzt werden musste.
von Billerbeck: Frau Hamm-Brücher, wann hatten Sie das Gefühl, dass die Demokratie in der Bundesrepublik Wurzeln schlägt – diese kleine, zarte Pflanze?
Hamm-Brücher: Also die Startchancen waren denkbar schlecht für die Demokratie, und in den 50er-Jahren, als alle Nazis entnazifiziert wurden und wieder in ihre Ämter zurückströmten, waren nur die Anfänge, das heißt, man durfte frei wählen und man durfte seine Meinung sagen.
Aber eine wirkliche Beteiligung der Bürger, eine wirkliche Streitkultur, eine wirkliche Gleichwertigkeit zwischen politischen Parteien und Bürgerengagement, das hat es überhaupt erst seit Mitte, Ende der 60er-Jahre gegeben und einen riesigen Aufschwung durch die Studentenbewegungen.
von Billerbeck: Ein Kind der Studentenbewegung waren ja auch die Grünen, mit denen Sie ja auch immer so ein bisschen sympathisiert haben.
Hamm-Brücher: Ja, das ist wohl wahr!
von Billerbeck: Hätten Sie nicht auch Mitglied der Grünen werden können?
Hamm-Brücher: Ich muss einfach mal zurückdenken, dass ich die Grünen am Anfang ungemein lebendig und ein bisschen durchlüftend für unseren Parteienmuff gehalten habe. Aber auf der anderen Seite, ich war da schon über 50 oder 60, sodass ich lange Zeit im Bundestag mich damit begnügt habe, dass ich mich mit ein paar Frauen dort sehr gut verstanden habe, und zum Beispiel auch keine Hemmungen hatte, zu klatschen, wenn die Grünen was Vernünftiges gesagt haben.
Auf jeden Fall war das so ein langsamer Annäherungsprozess, und ich finde, dass die Grünen eigentlich das Freiheitserbe des politischen Liberalismus angetreten haben. Und insoweit sympathisiere ich auch heute damit, weil ich ja mein eigenes Motto habe, dass ich eine freischaffende Liberale bin, die überall da, wo vernünftige liberale Politik gemacht wird, das unterstütze. Und das kann auch mal in der FDP sein, es kann mal bei den Grünen sein, es kann auch mal bei den Sozialdemokraten sein. Es ist wunderbar. Jedenfalls war ich nie eine Parteisoldatin. Das war also nicht gerade mein großes Talent.
von Billerbeck: Gerade in Ihrer Partei, aus der Sie ja dann 2002 wegen der antisemitischen Äußerungen Möllemanns nach 54 Jahren Mitgliedschaft ausgetreten sind – gerade Ihre FDP, die schien mir immer aus mindestens zwei Parteien zu bestehen. Da waren einerseits Sie, Frau Hamm-Brücher, da gab es Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und da war aber auch noch eine andere FDP: Alexander von Stahl, Jürgen Möllemann und eben auch die heutigen – wofür steht eigentlich Ihre einstige FDP heute?
Hamm-Brücher: Das ist eine historische Geschichte, das der politische Liberalismus in Deutschland immer zwei Strömungen gehabt hat: die rechte und die linke, sozusagen. Und ich gehörte natürlich der sozial-liberalen FDP an, die mit den Freiburger Thesen und der Beteiligung der Entspannungs- und Ostpolitik der 70er-Jahre eine wirkliche politische Heimat noch hatte, und erst seit dem Kurswechsel, dem Sturz von Helmut Schmidt, den wir verschuldet haben, dann ging eben das rechte Lager sozusagen in die Überhand, und langsam aber sicher war für mich kein Platz mehr in der FDP. Und heute eiert sie ja wieder genauso! Sie können im Grunde den jetzigen Konflikt wieder in rechts und links teilen, und es ist noch gar nicht abzusehen, wie sich die neue FDP mit neuen Leuten positionieren wird.
von Billerbeck: Welchen Rat würden Sie denn einem heutigen FDP-Parteivorsitzenden geben?
Hamm-Brücher: Mal nachzulesen, was die großen Liberalen über den politischen Liberalismus gesagt haben, und da können sie bei Theodor Heuss fündig werden. Sie sollten sich als Partei positionieren der Neuerung des ganzen Gemeinwesens und der Demokratie als Staatsform, aber auch der Bürgerdemokratie als Lebensform. Wenn das die FDP machen würde, bin ich sicher, dass sie auch wieder eine Existenzberechtigung hat.
von Billerbeck: Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?
Hamm-Brücher: Stolz ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, ...
von Billerbeck: Vielleicht froh?
Hamm-Brücher: ... aber ich bin eigentlich relativ glücklich, dass es nach allen schweren Anfängen, nach allen Rückschlägen doch gelungen ist, in der Bundesrepublik eine Demokratie auf den Weg zu bringen, dass die Gleichberechtigung Fortschritte macht, dass das Bürgerinteresse, auch der Bürgerprotest, aber auch die Beteiligung der Bürger an positiven Projekten, dass das große Fortschritte gemacht hat.
Das ist alles noch nicht so fest verankert, wie ich es mir vorstelle. Aber dass das gelungen ist, aus dem Obrigkeitsstaat und dem naziverseuchten Deutschen doch in den neuen Generationen zu entwickeln, das ist etwas, was mich beglückt.
von Billerbeck: Wenn man sich Fotos von Ihnen anguckt, Frau Hamm-Brücher – und ich habe mir viele Fotos angeguckt, in Vorbereitung auf dieses Gespräch –, dann sind Sie immer perfekt. Sie sind so perfekt frisiert, perfekt gekleidet – es ist eine Frau, wo man denkt: Hat die eigentlich auch eine wilde, chaotische Seite? Gab es so eine Frau Hamm-Brücher oder Hildegard Brücher auch?
Hamm-Brücher: Ja, die war wirklich chaotisch und aufsässig und immer entschlossen, auch eben gegen den Strom zu schwimmen. Ich glaube, das erweist sich doch aus meiner Biografie, und da mir der liebe Gott eine gute Haarpracht geschenkt hat, brauchen die Haare nur ordentlich geschnitten zu werden, dann genügt das schon. Da mache ich gar nicht viel Aufsehen drum.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 3.11.2011 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
Hamm-Brücher: Ich habe ja mit Sophie Scholl nicht so viel zu tun gehabt, denn sie war ja nur ganz kurze Zeit, 1941, nach München gekommen. Und wir sahen uns nur bei Konzerten oder nach Konzerten und diskutierten heftig – es war ein ganz großer, wechselnder Kreis –, ich habe sie nicht sehr gut gekannt. Aber ihr Mut vor dem Volksgerichtshof, als sie der Freisler anschrie, wie ein junges Mädchen, das so nett ist und so jung, so etwas machen kann. Dann hat sie ihm ins Gesicht gesagt: Einer muss den Anfang machen.
Und dieses einer muss den Anfang machen ist für mein ganzes Leben ein ganz wichtiges Motto geworden, denn ich habe überlebt. Wie durch ein Wunder hat mein Doktorvater mich – der Nobelpreisträger war – durch alle Fährnisse gerettet, und das war für mich klar: Wenn du überlebst, dann lebst du dafür, wofür meine Freunde ihr Leben geopfert haben. Und da ich entschlossen war, im Sinne der Weiße-Rose-Studenten, etwas zu tun, habe ich dann, als ich Theodor Heuss kennenlernte, der hat den Schritt mir ans Herz gelegt: Mädle, du musst in die Politik.
von Billerbeck: Sie sind 1948 in die FDP eingetreten und wurden mit 27 Jahren zur jüngsten Stadträtin in München gewählt. Was wollten Sie?
Hamm-Brücher: Wir haben versucht, Züge aufzuhalten mit Kartoffeln, wir haben Zehntausende von Bezugsscheinen für Schuhe ausgelost, ich habe die Säcke organisiert, damit wir die Böden in den halbzerstörten Schulen irgendwie reinigen konnten – also ich war sozusagen eine praktische Trümmerfrau.
von Billerbeck: Nun hätte man ja meinen können, nach dem Krieg und durch den Männermangel hätten Frauen, die das ja alles größtenteils wieder aufgebaut haben, auch die Führungspositionen – auch in der Politik – erobern müssen. Warum waren aber Frauen wie Sie damals – und noch lange – eher die Ausnahme?
Hamm-Brücher: Und zwar vollkommen die Ausnahme! Das war einfach auch Schuld der Frauen, denn wir hatten ja vorher in der Weimarer Republik der 20er-Jahre schon wenigstens – das hieß grundsätzliche - Gleichberechtigung. Eben bei Wahlen, wir durften endlich wählen und so weiter, und die Frauen – es waren auch ungefähr vier Prozent Frauen im Deutschen Reichstag, aber die wurden überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, die trauten sich auch nicht zu sprechen. Es gab in der Weimarer Republik keine Frau, die irgendein Amt hatte, die sich in Innenpolitik einmischte, in die ganzen Auseinandersetzungen um den Versailler Vertrag. Und auch 45, sind die ganz wenigen jungen Frauen – es waren drei, vier – wir waren die einzigen! Es waren ganz vereinzelte Frauen, und jahrelang war ich überall die einzige, und immer die jüngste, weil die älteren sich nicht trauten.
von Billerbeck: Frau Hamm-Brücher, wie muss man sich das konkret vorstellen? Als junge Frau, als eine der ganz, ganz wenigen da Politik machen – wie setzt man sich da durch? Wie haben Sie das gemacht?
Hamm-Brücher: Indem ich immer unbefangen einfach meinen Mund aufgemacht hatte – das war eine der schwersten Voraussetzungen, dass wir Frauen überhaupt uns zu Wort melden konnten. Und ich habe gesehen, dass Mädchen keine Chancen hatten, eine weiterführende Bildung anzutreten. Ich habe im Stadtrat gekämpft, dass die ersten Frauen auch ins Orchester der Stadt aufgenommen worden sind, dass sie in eine andere, höhere Laufbahn auch eintreten konnten.
Das waren lauter kleine Kämpfe, lauter kleine Kämpfe, in denen das durchgesetzt werden musste.
von Billerbeck: Frau Hamm-Brücher, wann hatten Sie das Gefühl, dass die Demokratie in der Bundesrepublik Wurzeln schlägt – diese kleine, zarte Pflanze?
Hamm-Brücher: Also die Startchancen waren denkbar schlecht für die Demokratie, und in den 50er-Jahren, als alle Nazis entnazifiziert wurden und wieder in ihre Ämter zurückströmten, waren nur die Anfänge, das heißt, man durfte frei wählen und man durfte seine Meinung sagen.
Aber eine wirkliche Beteiligung der Bürger, eine wirkliche Streitkultur, eine wirkliche Gleichwertigkeit zwischen politischen Parteien und Bürgerengagement, das hat es überhaupt erst seit Mitte, Ende der 60er-Jahre gegeben und einen riesigen Aufschwung durch die Studentenbewegungen.
von Billerbeck: Ein Kind der Studentenbewegung waren ja auch die Grünen, mit denen Sie ja auch immer so ein bisschen sympathisiert haben.
Hamm-Brücher: Ja, das ist wohl wahr!
von Billerbeck: Hätten Sie nicht auch Mitglied der Grünen werden können?
Hamm-Brücher: Ich muss einfach mal zurückdenken, dass ich die Grünen am Anfang ungemein lebendig und ein bisschen durchlüftend für unseren Parteienmuff gehalten habe. Aber auf der anderen Seite, ich war da schon über 50 oder 60, sodass ich lange Zeit im Bundestag mich damit begnügt habe, dass ich mich mit ein paar Frauen dort sehr gut verstanden habe, und zum Beispiel auch keine Hemmungen hatte, zu klatschen, wenn die Grünen was Vernünftiges gesagt haben.
Auf jeden Fall war das so ein langsamer Annäherungsprozess, und ich finde, dass die Grünen eigentlich das Freiheitserbe des politischen Liberalismus angetreten haben. Und insoweit sympathisiere ich auch heute damit, weil ich ja mein eigenes Motto habe, dass ich eine freischaffende Liberale bin, die überall da, wo vernünftige liberale Politik gemacht wird, das unterstütze. Und das kann auch mal in der FDP sein, es kann mal bei den Grünen sein, es kann auch mal bei den Sozialdemokraten sein. Es ist wunderbar. Jedenfalls war ich nie eine Parteisoldatin. Das war also nicht gerade mein großes Talent.
von Billerbeck: Gerade in Ihrer Partei, aus der Sie ja dann 2002 wegen der antisemitischen Äußerungen Möllemanns nach 54 Jahren Mitgliedschaft ausgetreten sind – gerade Ihre FDP, die schien mir immer aus mindestens zwei Parteien zu bestehen. Da waren einerseits Sie, Frau Hamm-Brücher, da gab es Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und da war aber auch noch eine andere FDP: Alexander von Stahl, Jürgen Möllemann und eben auch die heutigen – wofür steht eigentlich Ihre einstige FDP heute?
Hamm-Brücher: Das ist eine historische Geschichte, das der politische Liberalismus in Deutschland immer zwei Strömungen gehabt hat: die rechte und die linke, sozusagen. Und ich gehörte natürlich der sozial-liberalen FDP an, die mit den Freiburger Thesen und der Beteiligung der Entspannungs- und Ostpolitik der 70er-Jahre eine wirkliche politische Heimat noch hatte, und erst seit dem Kurswechsel, dem Sturz von Helmut Schmidt, den wir verschuldet haben, dann ging eben das rechte Lager sozusagen in die Überhand, und langsam aber sicher war für mich kein Platz mehr in der FDP. Und heute eiert sie ja wieder genauso! Sie können im Grunde den jetzigen Konflikt wieder in rechts und links teilen, und es ist noch gar nicht abzusehen, wie sich die neue FDP mit neuen Leuten positionieren wird.
von Billerbeck: Welchen Rat würden Sie denn einem heutigen FDP-Parteivorsitzenden geben?
Hamm-Brücher: Mal nachzulesen, was die großen Liberalen über den politischen Liberalismus gesagt haben, und da können sie bei Theodor Heuss fündig werden. Sie sollten sich als Partei positionieren der Neuerung des ganzen Gemeinwesens und der Demokratie als Staatsform, aber auch der Bürgerdemokratie als Lebensform. Wenn das die FDP machen würde, bin ich sicher, dass sie auch wieder eine Existenzberechtigung hat.
von Billerbeck: Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?
Hamm-Brücher: Stolz ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, ...
von Billerbeck: Vielleicht froh?
Hamm-Brücher: ... aber ich bin eigentlich relativ glücklich, dass es nach allen schweren Anfängen, nach allen Rückschlägen doch gelungen ist, in der Bundesrepublik eine Demokratie auf den Weg zu bringen, dass die Gleichberechtigung Fortschritte macht, dass das Bürgerinteresse, auch der Bürgerprotest, aber auch die Beteiligung der Bürger an positiven Projekten, dass das große Fortschritte gemacht hat.
Das ist alles noch nicht so fest verankert, wie ich es mir vorstelle. Aber dass das gelungen ist, aus dem Obrigkeitsstaat und dem naziverseuchten Deutschen doch in den neuen Generationen zu entwickeln, das ist etwas, was mich beglückt.
von Billerbeck: Wenn man sich Fotos von Ihnen anguckt, Frau Hamm-Brücher – und ich habe mir viele Fotos angeguckt, in Vorbereitung auf dieses Gespräch –, dann sind Sie immer perfekt. Sie sind so perfekt frisiert, perfekt gekleidet – es ist eine Frau, wo man denkt: Hat die eigentlich auch eine wilde, chaotische Seite? Gab es so eine Frau Hamm-Brücher oder Hildegard Brücher auch?
Hamm-Brücher: Ja, die war wirklich chaotisch und aufsässig und immer entschlossen, auch eben gegen den Strom zu schwimmen. Ich glaube, das erweist sich doch aus meiner Biografie, und da mir der liebe Gott eine gute Haarpracht geschenkt hat, brauchen die Haare nur ordentlich geschnitten zu werden, dann genügt das schon. Da mache ich gar nicht viel Aufsehen drum.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 3.11.2011 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.