Erste US-Gemeinde mit muslimischer Mehrheit
In Hamtramck im US-Bundesstaat Michigan sind Muslime in der Mehrheit. Eine "Sharia City", wie Medien sie nannten, ist die Stadt aber nicht. Sondern ein Ort des kulturellen Nebeneinanders, in der sich die Bewohner darauf geeinigt haben, wie laut der Muezzin sein darf und wer die Papst-Statue restauriert.
Thadeusz Radzilowski ist ein freundlicher älterer Herr mit schlohweißen Haaren, dicker Hornbrille und großkariertem Hemd. Er steht im Flur seines Instituts in Hamtramck und zeigt auf Schwarz-Weiß-Photos an den Wänden, die ihm der Vorbesitzer seines kleinen, einstöckigen Hauses vermacht hat - er war Photograph, der die besseren Tage dieser Gemeinde im Herzen Detroits festgehalten hat.
Damals, in den 1920er bis 1950er Jahren, als Dodge hier noch Autos baute, Tausende von Arbeitern beschäftigte und dafür sorgte, dass auch das Nachtleben brummte. Eine Bar hieß The Bowerie - hier gaben sich alle Stars und Sternchen Amerikas die Klinke in die Hand, sagt Radzilowski. Er zeigt auf eine gelockte Schönheit im Fransenkleidchen mit langer Zigarettenspitze in der Hand.
"Das war Francis Kaye - eine Cousine des großen Entertainers Danny Kaye. Die war gut drauf! Für jeden Skandal zu haben und ihrer Zeit weit voraus: Sie trug grüne Haare und dunkelroten Lidschatten, sie hatte einen Ehemann und zwei Liebhaberinnen."
Und sie sang - wie so viele andere - im Bowerie. Hamtramck war während der Prohibition eine sprudelnde Alkoholquelle. Prostitution. Glücksspiel. Das heißeste Pflaster in Detroit.
Wie wollen wir künftig zusammenleben?
Um diese Zeit waren auch Radzilowskis Eltern aus Polen gekommen - sein Vater fand in einer Reifenfabrik von Dodge Arbeit: wie so viele andere Polen, die schließlich in Hamtramck die Mehrheit stellten. Dodge hat längst dicht gemacht und auch die letzte Fabrik von American Axle hat geschlossen. Seither ist alles anders geworden - seit Mitte der 1990er Jahre sind die katholischen Polen in der Minderheit und die neu eingewanderten Muslime in der Mehrheit. Und seit einem Jahr ist Hamtramck die erste und einzige Gemeinde in den USA, die von einem mehrheitlich muslimischen Stadtrat regiert wird.
Gleich nach der Wahl im November vergangenen Jahres habe er alle muslimischen Gruppierungen der Stadt zu sich eingeladen und die Bangladeshis, Bengalis, Bosnier und Jemeniten gefragt: Ok - wie wollen wir künftig zusammenleben? Mit dem Zusammenleben von Einwanderern kennt sich Thadeusz Radzilowksi aus wie kein Zweiter in Hamtramck: Er ist Historiker und Migrationsforscher, hat hunderte von Büchern, Aufsätzen und Artikel verfasst und sein "Piast"-Institut zu einer bekannten Forschungs- und Begegnungsstätte gemacht. Klar gab es Ängste, sagt Radzilowski - die polnisch-stämmigen Bewohner machten sich Sorgen, dass der muslimische Gemeinderat sofort ein Alkoholverbot verhängen würde.
"Aber dann haben sie gesagt: Ihr lasst uns in Ruhe und wir lassen Euch in Ruhe mit Eurem Alkohol."
Geben und Nehmen
Das war so eine Art Geben und Nehmen, sagt Radzilowski. Denn einen ähnlichen Deal hatte er schon kurz zuvor eingefädelt, als es darum ging, dass die Muslime über die Lautsprecher ihrer Moscheen zum Gebet rufen dürfen - fünf Mal am Tag. Mitten in den USA. Mitten im rust-belt, im heruntergekommenen Rostgürtel des Mittleren Westens. Das gab Ärger, erinnert sich Radzilowski - der wieder alle einlud zu einem Treffen: protestantische Pfarrer, katholische Priester, Rabbis und Imame - just unter der Statue von Papst Johannes Paul II., die zur Erinnerung an dessen Besuch im Jahre 1987 errichtet wurde.
"Und dann sagt mein Freund Abdel von der Al-Islam-Moschee: Die muslimische Gemeinde gibt die erste Spende von 500 Dollar, um die Papststatue zu renovieren. Und dann haben wir alle miteinander gegessen, und das war es dann."
Das heißt: nicht ganz - zuerst musste man sich noch darauf einigen, dass der Ruf des Muezzins die Marke von 100 Dezibel nicht überschreiten darf. Manchmal ist er aber auch lauter, gesteht Kamal Rahman - er ist Moslem aus Bangladesh und lebt mitten im jemenitischen Viertel, in dem der Muezzin zum Abendgebet ruft. Hier sind 90 Prozent Muslime, sagt er.
Kamal ist so etwas wie das kulturelle Gegenstück zu Thadeusz Radzilowski - vielleicht sind die beiden auch deshalb so gut befreundet. Thadeusz, der Katholik, und Kamal, der Moslem aus Bangladesh, könnte man als inoffizielle Moderatoren bezeichnen, die den interkulturellen Frieden in diesem potentiell spannungsgeladenen Ambiente im Blick behalten. Der Gebetsruf von den Minaretten - und die muslimische Mehrheit im Stadtrat: Hamtramck hat als "Shariatown" und "Muslim Ville" landesweit Schlagzeilen gemacht. Das ist Unsinn, sagt Kamal: Der Stadtrat ist nicht nur für die Muslime da, er repräsentiert alle.
Die UNO in klein
Die Zeitungen, die Hamtramck als "Sharia City" apostrophiert hatten, berichteten plötzlich über "Small United Nations in Hamtramck" - über eine kleine UNO mit 40 Prozent Zuwanderern und 65 Prozent fremdsprachigen Neubürgern: 27 Sprachen werden in den Schulen von Hamtramck gesprochen, erzählt die Bürgermeisterin, Karen Majewski.
Sie ist Ethnologin und ebenfalls Migrationsforscherin - und Besitzerin eines Second-Handshops mit Kleidern, Hüten und Schmuck aus den 1950er-Jahren. Es riecht nach Mottenkugeln und Desinfektionsmittel - und die Bürgermeisterin erzählt von ihrer Leidenschaft: Sie habe schon immer nach Dingen gesucht, deren Schönheit und Wert allzu leicht übersehen werden.
Schöne, alte Kleider faszinieren sie. Und alte Städte, auch wenn sie gar nicht so schön sind. Wie Hamtramck. Eine heruntergekommene Gemeinde mit einem Nothaushalt, hoher Arbeitslosigkeit und einer Armutsrate von 50 Prozent. Wir haben viele Probleme in dieser Stadt, sagt die resolute Frau mit dem gescheitelten silbernen Haar: Abwasser, Kanalisation, Kläranlage - alles marode. Aber mit den muslimischen Stadträten hat sie kein Problem.
"Wir arbeiten an denselben Themen wie jeder andere Stadtrat in diesem Land. Wir kämpfen hier nicht gegen den IS - wir kämpfen dagegen, dass unsere Keller volllaufen."
Trump macht hier wohl keinen Stich
Karen Majewski will gar nicht in Abrede stellen, dass es Vorbehalte gegenüber den vielen Muslimen gibt - die Angst vor islamistischem Terror ist groß in den USA. In Hamtramck ist aber noch kein einziger Fall von einem radikalisierten Mitglied in der muslimischen Gemeinde bekanntgeworden, sagt Karen Majewski. Die Eltern und die Nachbarn seien aufmerksam, die Sicherheitskräfte entspannt. Und doch gebe es natürlich Gruppen, die sich schwerer als andere damit tun, die neue Sprache zu lernen und wirklich anzukommen. Doch das sei nichts Neues - vielmehr Teil der American Story, der großen amerikanischen Erzählung von Einwanderung und Eingewöhnung.