Wenn der Verein Insolvenz anmeldet
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Trotz etlicher Jahre Erfahrung: Gerät der Verein ins Schlingern, müssen auch Profis umdenken. Jens Vortmann plante seine Karriere beim Wilhelmshavener HV - der überraschend Insolvenz anmelden musste. Jetzt warten neue Herausforderungen auf den Handballer.
Punktspiel in der 2. Handball-Bundesliga. Tempogegenstoß in der leeren Arena von Wilhelmshaven. Der Torhüter der Heimmannschaft reißt in letzter Sekunde den linken Arm hoch, spektakulär wehrt er den Wurf des Angreifers ab. Die Kommentatoren von Sportdeutschland-TV sind aus dem Häuschen:
"Das ist unfassbar. Unfassbare zweite Halbzeit, was Jens da macht!"
Jens, das ist Jens Vortmann. 33 Jahre alt, mehr als 350 Einsätze in der 1. Liga, dazu noch elf Länderspiele. Ein Spitzentorhüter. Wie landet so einer bei einem Zweitligisten? Im Sommer 2020 unterschreibt Jens Vortmann einen Vierjahresvertrag beim Wilhelmshavener HV. Das Gehalt stimmt, die sportliche Perspektive ebenfalls.
"Mit einem Vierjahresvertrag wäre das genau der Sommer gewesen, wenn unser ältester Sohn eingeschult wird", erzählt Vortmann. Das hätt auch zeitlich gut gepasst, dass man sagt: Bis dahin kann man noch in der Weltgeschichte rumreisen und Handball spielen, aber wenn es dann Richtung Schule für die Kinder geht, dann wollen wir uns an einem Ort niederlassen und dort dann nach Möglichkeit die nächsten 15 oder 20 Jahre verbringen."
Flexibilät gefordert
Dann der Schock: Der Hauptsponsor seines neuen Klubs wird verhaftet. Verdacht auf groß angelegten Anlagebetrug. Der Wilhelmshavener HV muss Insolvenz anmelden. Vortmann erinnert sich:
"Ich bin ja schon ein paar Jahre dabei und habe mittlerweile auch ein relativ großes Netzwerk in der Handballszene, habe mich da auch mal an verschiedenen Stellen erkundigt, was denn allgemein von dem Projekt in Wilhelmshaven, aber auch von dem Geschäftsführer selbst zu halten ist, habe da aber durchweg nur positive Rückmeldungen bekommen, O-Ton: Ist ein Handballverrückter, sehr vermögender Privatmann."
Eigentlich bedeutet ein Antrag auf Insolvenz automatisch Zwangsabstieg. Nicht so in Zeiten von Corona. Der Klub findet einen neuen wirtschaftlichen Träger, die Mannschaft darf in der 2. Liga weiterspielen. Jens Vortmann bleibt: zu deutlich geringeren Bezügen, was immer noch ein paar Tausend Euro im Monat sind. Dafür sichert er sich eine sofortige Ausstiegsoption zu und zieht mit seiner Familie in die Heimat, nach Berlin. Seine Mannschaft in Wilhelmshaven sieht er nur zu den Spielen. Trainieren muss er allein. Mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern ist er wegen des Corona-Kontaktverbots viel zu Hause.
"Sehr, sehr anstrengend", findet Vortmann. "Natürlich verbringt man so viel Zeit mit Kindern wie nie zuvor, was grundsätzlich ja erst mal was sehr Schönes ist, aber man merkt im Alltag, dass ganz vieles, was sonst eigentlich auf der Agenda steht und abgearbeitet werden müsste, liegen bleibt."
Wie zum Beispiel seine Masterarbeit in Wirtschaftsingenieurwesen, die er eigentlich längst geschrieben haben will: "Ich kann jeden verstehen, der sagt: Homeoffice und Kinder sind in keiner Weise kompatibel."
Zurück zu den Wurzeln
Schließlich die vorerst letzte Wendung in seiner Karriere: Jens Vortmann wechselt zum Handballsportverein Hamburg. Gerade eine Woche ist das jetzt her. Der Klub will den Aufstieg in die Bundesliga schaffen, der ehemalige Nationaltorhüter soll dabei helfen. Der neue Vertrag läuft bis Saisonende.
"Ich spiele noch sehr gern Handball, ich bin auch froh, dass meine Frau das so mitträgt, da natürlich ein Großteil der Kinderbetreuung an ihr hängen bleibt, ich habe halt gesagt, ich würde zumindest diese Saison noch gern spielen und schauen, ob sich für die nächste Saison etwas ergibt, wo wir als Familie sagen: Das könnten wir uns vorstellen, das würden wir noch mal machen, oder eben nicht."
Für die neue Saison hat der HSV Hamburg bereits Nationalkeeper Johannes Bitter verpflichtet. Jens Vortmann und er sind gut miteinander befreundet. Vielleicht also wiederholt sich, was Jogi Bitter schon 2014 vorausgesagt hatte:
"Ich glaube, Jens hat noch ein paar gute Jahre vor sich, und was er in den letzten Jahren und speziell auch in diesem Jahr hält, das kriegen wir ja alle mit, das sehen wir ja, und da wird es über kurz oder lang schon noch mal einen Anruf geben."
Schon damals spielten die beiden anschließend eine gemeinsame Saison in Hamburg. Bis der Klub 2015 Insolvenz anmeldete. Aber das ist eine andere Geschichte.