Handbuch für engagierte Patienten

Im Medizinbetrieb läuft vieles falsch. Das ist seit Längerem bekannt und Thema zahlreicher Bücher. Beklagt werden unter anderem die schlechte Versorgung von Patienten, falsche Therapien und Geschäftemacherei mit unwirksamen Mitteln. Einer, der besonders gern und oft den Finger in diese Wunde legt, ist der Mediziner und Journalist Werner Bartens.
Sein neuestes Buch heißt "Sprechstunde. Woran die Medizin krankt. Was Patienten wollen. Wie man einen guten Arzt findet". Und schon beim ersten Durchblättern wird klar: Dies Buch ist eine Art Fortsetzung des Vorgängers "Das Ärztehasserbuch". Das hat sich gut verkauft und dem Autor zahlreiche Leserpost beschert. Warum also Bewährtes ändern? Das Cover von "Sprechstunde" sieht dem letzten zum Verwechseln ähnlich. Dieselben Farben, dasselbe Titelbild. Aber: Auch derselbe Inhalt?

Nein. Zwar ist das Grundthema dasselbe, es geht um Missstände im Medizinbetrieb, doch diesmal sind es nicht persönliche Schauergeschichten aus dem Klinikalltag, über die der Autor schreibt, sondern Berichte über die Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Forschung, Lehre und Heilkunde. Es geht um eine Analyse des Medizinsystems. Der Einzelfall taucht zur Illustration gelegentlich auf, ist aber nicht mehr das Hauptmotiv. Die Fortsetzung ist somit gelungen. Wer das "Ärztehasserbuch" gerne gelesen hat, wird von der "Sprechstunde" nicht enttäuscht sein.

Ausführlich erläutert der Autor neuste Ergebnisse aus internationalen Studien zu modernen Heilverfahren oder zeigt Resultate aus der Versorgungsforschung, die nachdenklich stimmen. Etwa zur Frage, wie hoch die Belastung und Leistung von Klinikpersonal ist. Darüber hinaus hinterfragt Bartens kritisch, ob - wie in vielen Experimenten üblich - ein angemessener Vergleich zwischen Mäusen und Menschen überhaupt möglich ist. Er zitiert zahlreiche Experten, erklärt, welche Interessengruppen hinter medizinischen Leitlinien stecken, und wie viel Sinn moderne bildgebende Verfahren machen, wenn jeder Arzt sie anderes deuten kann. Zudem beschreibt er neueste Studien über die Marketingstrategien von Pharmaunternehmen, die gezielt versuchen, von den Nebenwirkungen ihrer Medikamente abzulenken.

Das Buch bietet damit einen umfangreichen Einblick in den Medizinbetrieb und klärt über die Ursachen von möglichen Behandlungsfehlern auf, und das aus Sicht eines Insiders. Das wird Werner Bartens wieder einigen Ruhm einbringen. Denn neben den vielen spannenden Informationen lässt sich das Buch auch gut lesen.

Und weil Werner Bartens sich immer an den Patienten selbst richtet, an seine Eigenverantwortung appelliert, findet sich am Ende des Buches eine Checkliste, anhand derer man schlechte Ärzte und Kliniken erkennen lernen soll. Die Tipps erfordern allerdings ein gewisses Engagement von Seiten des Patienten. Nicht jedem fällt es leicht, eine Zweitmeinung einzuholen oder seinen Arzt um die schriftlichen Untersuchungsergebnisse zu bitten. Ein paar Seiten darüber, wie Patienten solche Anliegen am besten vorbringen, wären eine hilfreiche Ergänzung gewesen.

Stattdessen verwendet der Autor fünfzig Seiten darauf, Zuschriften seiner Leser auf das "Ärztehasserbuch" zu zitieren. Das ist nicht uninteressant. Doch scheitert der Versuch, die Patienten selbst zu Wort kommen zu lassen, weil Werner Bartens nur die positiven Briefe ausgewählt hat und damit an Glaubwürdigkeit verliert. Trotzdem: Seine Forderung, Patienten als Partner in die Behandlung mit einzubeziehen, auf ihre Nöte und Ängste zu reagieren und sich Zeit für sie zu nehmen, kann man nicht oft genug wiederholen.

Rezensiert von Susanne Nessler

Werner Bartens: Sprechstunde. Woran die Medizin krankt. Was Patienten wollen. Wie man einen guten Arzt erkennt
Droemer und Knaur Taschenbuchverlag, München 2008
256 Seiten, broschiert, EUR 8,95