"Die Verlierer kompensieren"
Rettet Protektionismus á la Trump Jobs? Nein, sagt Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Denn Arbeitsplätze seien weniger von der Globalisierung bedroht als von der Digitalisierung.
Für ein großes Land wie die USA sei es eher zu verkraften, wenn es sich wirtschaftlich abschottet, denn es existiere ein riesiger Binnenmarkt, sagt der Handelsexperte Rolf Langhammer:
"Je kleiner das Land ist, desto problematischer wird das. Ein Land wie Estland zum Beispiel würde vom Protektionismus anderer Länder sehr hart getroffen und würde auch durch einen eigenen Protektionismus getroffen."
Es werde allerdings in der politischen Diskussion immer wieder ausgeblendet, dass etwa auch amerikanische Automobilfirmen unter Strafzöllen gegen Stahl leiden würden:
"Es wird auch nicht der Versuch unternommen zu unterscheiden, ob die Bedrohung von Arbeitsplätzen tatsächlich von der Globalisierung kommt oder vielleicht von Digitalisierung der Produktion."
Langhammer selbst glaubt, dass von der Digitalisierung mittelfristig "eine größere Bedrohung auf die Arbeitsplätze ausgeht als von der Globalisierung."
Stahlarbeiter in Hightech-Unternehmen
Protektionismus würde eine "Spirale von Interventionen und auch Vergeltungsmaßnahmen" nach sich ziehen - "das hilft uns einfach nicht weiter", so Langhammer. Freihandel nütze vor allem frischen Branchen, für die der heimische Markt nicht so wichtig wie der Weltmarkt sei. Die älteren, geschützten Branchen hätten um Arbeitsplätze zu kämpfen. Es müsse deshalb darum gehen, die "Verlierer zu kompensieren" - etwa Stahlarbeiter in Hightech-Unternehmen unterzubringen, was nicht einfach sei:
"Diesen Strukturwandel durch Beihilfen, durch Fortbildung und auch durch finanzielle Mittel zu erleichtern - das ist eigentlich die Hautptaufgabe, um die Verliererposition möglichst klein zu halten."
(bth)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Ich hab ja vorhin schon mit einem Spruch angefangen, ich fange jetzt auch mit einem an: "Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht." Kennen Sie sicher. Aber stimmt er auch, wenn wir auf den Welthandel schauen? Die letzten Jahre waren ja bestimmt von Bemühungen um mehr Freihandel, denken wir nur an die verschiedenen Freihandelsabkommen. Aber mit einem Präsidenten Trump im Weißen Haus hat sich das drastisch geändert. Jetzt gilt "America First". Und auch, wenn die Mächtigen jetzt zum Weltwirtschaftsforum in Davos zusammenkommen, dann geht es um die Art der Wirtschaftsbeziehungen.
Und gerade jetzt kündigen die USA neue Strafzölle an, auf Solarpaneele oder auf Waschmaschinen, und alles immer zum Schutz der heimischen Wirtschaft. Wem nutzt er, der Protektionismus, und ist Freihandel wirklich die bessere Alternative? Das wollen wir Professor Rolf Langhammer fragen vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Schönen guten Morgen!
Rolf Langhammer: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Trumps Entscheidung für hohe Einfuhrzölle, die wird scharf kritisiert. China und auch Südkorea wollen das nicht hinnehmen. Aber ist Protektionismus tatsächlich so negativ zu bewerten?
Langhammer: Das hängt davon ab, ob Sie ein großes Land sind oder ein kleines Land. Für ein großes Land ist Protektionismus kein so großes Problem. Je kleiner das Land ist, desto problematischer wird das. Ein Land wie Estland beispielsweise würde vom Protektionismus anderer Länder sehr hart getroffen und würde auch durch einen eigenen Protektionismus getroffen. Für die USA, eine große Volkswirtschaft mit einem Riesenbinnenmarkt, da lässt sich das eher verkraften, und deswegen sind da die Proteste gegen Protektionismus auch nicht so hoch.
Die USA können nicht auf Globalisierung verzichten
von Billerbeck: Aber selbst die USA sind eingebunden in die Globalisierung. Können die darauf verzichten?
Langhammer: Nein, natürlich nicht. Aber politisch kann man das bei einem so großen Binnenmarkt immer etwas verdrängen. Natürlich leiden amerikanische Weiterverarbeiter von sagen wir mal Stahl, also die Automobilfirmen, die würden unter Strafzöllen gegen Stahl natürlich leiden. Und genauso würden amerikanische Investitionen im Ausland leiden, denn sie sind ja teilweise an den Unternehmen beteiligt, die dann von diesen Strafzöllen betroffen sind.
Aber das wird in der politischen Diskussion leider immer wieder ausgeblendet. Und es wird auch nicht der Versuch unternommen, zu unterscheiden, ob die Bedrohung von Arbeitsplätze tatsächlich von der Globalisierung kommt, oder vielleicht nicht doch auch von der Technologie, also von der Digitalisierung der Produktion. Ich glaube, dass mittelfristig davon, also von der Digitalisierung, eine größere Bedrohung für die Arbeitsplätze ausgeht, als von der Globalisierung.
von Billerbeck: Das heißt, Freihandel ist die bessere Alternative?
Langhammer: Wir werden nie Freihandel haben. Wir haben immer freieren Handel, das heißt, wir versuchen, bestimmte Barrieren abzubauen. Wir werden nie in eine Situation kommen, in der wir wirklich ausländische Produkte ganz genauso behandeln wie heimische Produkte. Aber es hilft uns eben nicht, mit Protektionismus Probleme zu lösen. Denn diese geschützten Branchen würden dann immer sehr viele Ressourcen an sich ziehen, die fehlen dann den jungen, aufstrebenden Branchen.
Man würde auch wettbewerbsunfähig auf den Auslandsmärkten sein, das ist das große Problem für die kleinen Volkswirtschaften. Und dann würde sofort der Ruf kommen nach Exportsubventionen, um diese Auswüchse des Protektionismus zu korrigieren. Das heißt, wir würden in eine Spirale von Interventionen kommen und auch von Vergeltungsmaßnahmen, und das hilft uns einfach nicht weiter.
Freihandel hilft jungen Branchen
von Billerbeck: Nun erinnern wir uns ja an die massiven Proteste gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada durch die Europäische Union, und wir wissen, dass viele Menschen sich gegen freieren Handel wenden. Auch hier die Frage an Sie: Wem nützt er wirklich?
Langhammer: Er hilft natürlich denjenigen, die ganz junge, frische Branchen haben, für die der heimische Markt gar nicht so wichtig ist wie der Weltmarkt. Und in diesen jungen Branchen sind – nennen wir diese Plattformindustrien in der dienstleistungsorientierten Branche, und das sind natürlich diejenigen, die von freierem Handel gewinnen. Die wollen offene Märkte haben. Die geschützten, also die älteren Branchen, die kämpfen natürlich für den Arbeitsplatz.
Wenn man sich noch erinnert, in den 60er-Jahren, die Bekleidungsindustrie, die dann in Deutschland von Ländern wie Südkorea, Taiwan und Singapur praktisch ausgebootet wurde – heute würde man sagen, na ja, gut, dann hat man eben einen Strukturwandel vorgenommen, und diese Branchen wurden bei uns abgebaut, und neue kamen. Das Problem, und da liegt wirklich die Crux, das Problem ist dieser Übergang. Jeder würde wahrscheinlich sagen, einen schlecht bezahlten Job gebe ich gern auf, wenn ich sofort einen besser bezahlten bekomme. Aber das ist eben nicht so einfach. Und hier liegt im Grunde genommen das Problem für die Verlierer. Je länger man in diesen alten Branchen verharrt, je länger man suchen muss, einen neuen Arbeitsplatz zu finden in einer wettbewerbsfähigeren Branche, desto schwieriger wird es, und da sind dann auch die Verlierer zu verorten.
von Billerbeck: Stichwort Verlierer, da stellt sich natürlich die Frage, ob Freihandel automatisch zu mehr Wohlstand führt. Und schon bei dem Beispiel Textilindustrie fällt mir natürlich sofort ein, dass hier die Textilindustrie zwar nicht mehr existiert oder weit zurückgegangen ist, aber die asiatische Textilindustrie natürlich unter unsäglichen Bedingungen produziert.
Rechte und Pflichten von Unternehmen
Langhammer: Ja, das ist sicherlich in einigen Fällen so. Aber auch da hat es einen Wandel gegeben. China ist kein billiger Standort nur für Textilindustrie, und dann wandert man ab. Hier tritt an sich ein ganz anderes Problem in den Vordergrund. Es ist weniger der Handel als die Produktionsbedingungen, und vor allen Dingen eben auch die Art, wie ausländische Unternehmen Macht ausspielen.
Und Sie erwähnten die Proteste gegen TTIP, und die richteten sich vielleicht weniger gegen den Handel, als vielmehr die starke Stellung von Unternehmen, die, so die Kritiker, eben unsere demokratischen Rechte aushöhlen und praktisch zu Nebenregierungen werden. Und ich glaube, in Zukunft wird es in der Frage der Globalisierung und des Protektionismus eher darum gehen, welche Rechte und Pflichten Unternehmen haben, bis hin zu Situationen wie in Bangladesch, an denen natürlich deutsche Unternehmen nicht unbeteiligt waren. Und auf der anderen Seite eben, wie man Handel mit Nachhaltigkeit verbinden kann. Das heißt, es ist also auch die Frage, wie man dann beispielsweise klimafreundliche Technologien einsetzt.
von Billerbeck: Könnte man denn den Handel wirklich so organisieren, dass es möglichst viele Gewinner und wenige Verlierer gibt?
Langhammer: Ja, das kann man natürlich, indem man versucht, die Verlierer zu kompensieren. Das ist ein uraltes Rezept. Das heißt, man muss ihnen so viel wie möglich Weiterbildungschancen anbieten, damit sie eben in diese jungen, in diese leistungsfähigen Industrien hineinkommen. Und das ist manchmal sehr schwierig, weil diese Industrien ganz woanders sind im Vergleich zu dem, wo man früher gearbeitet hat.
Wenn ein Stahlarbeiter plötzlich in einem Hightech-Unternehmen arbeiten soll, dann geht das nicht so einfach. Diesen Strukturwandel durch Beihilfen, durch Fortbildung und auch durch finanzielle Mittel zu erleichtern, das ist an sich die Hauptaufgabe, um die Verliererposition möglichst klein zu halten.
von Billerbeck: Freierer Handel oder Abschottung – Einschätzungen waren das von Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft. Ich danke Ihnen!
Langhammer: Ich danke Ihnen nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.