Handschrift in digitalen Zeiten

Überflüssig oder wichtiges Kulturgut?

79:37 Minuten
Antike Schreibfeder mit Tintenfässchen auf rosa Hintergrund.
„Handschrift ist Seelenschrift“, sagt die Grafik-Designerin Susanne Dorendorff. „Alle Lebensstufen spiegeln sich in unserer Handschrift.“ © Getty Images
Moderation: Katrin Heise |
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Wir schreiben To-do-Listen, Einkaufszettel, Notizen – das passiert meist per Hand. Doch die Tastatur hat den Stift fast überall verdrängt, auch in der Schule. Hat die Handschrift ausgedient oder ist sie wichtiger Ausdruck unserer Persönlichkeit?
Bei der einen ist sie künstlerisch geschwungen, beim anderen eher zackig, sie ist mal ausholend, mal gedrängt, neigt sich nach links oder nach rechts: Unsere Handschrift ist einzigartig, keine gleicht der anderen. Doch in Zeiten von Laptop, Smartphone & Co schreiben wir immer weniger per Hand – wir tippen. Die Tastatur hat längst den Stift verdrängt, vermehrt auch in der Schule. Was macht das mit unserer Handschrift? Brauchen wir sie überhaupt noch, außer zum Unterschreiben? Und wie sollen Kinder in der Schule schreiben lernen?

Lebensstufen spiegeln sich in der Handschrift

„Handschrift ist Seelenschrift“, sagt die Grafik-Designerin Susanne Dorendorff. „Alle Lebensstufen spiegeln sich in unserer Handschrift.“ Umso bedauerlicher findet die Künstlerin, dass viele Menschen diesen ureigenen Ausdruck nicht kennen und ihre Handschrift eher verkümmert. Als Handschriften-Coach hilft sie Ratsuchenden, ihre persönliche Schrift – besonders auch ihre Unterschrift – zu finden. Sie unterstützt auch Schüler*innen, die Probleme mit dem Schreiben haben.  
Ihre Überzeugung: „Es geht beim Schreiben lernen nicht um 'schön' oder 'Sauklaue', sondern um den Erwerb einer Denktechnik, auf die wir angewiesen sind.“ Denken und Schreiben gehörten untrennbar zusammen, so die Grafik-Künstlerin. Das solle sich auch individuell abbilden. „Wir haben ja auch einen Sprachduktus, der unseren Emotionen ausgeliefert ist. Genauso finden sich Emotionen und Authentizität in der Schreibbewegung wieder. Und es geht um die Fähigkeit, seinen Ausdruck wirklich auszubilden.“ Sie wolle die Freude am Schreiben wecken: „So wie man befreit singt, so soll man auch schreiben.“

Kinder bleiben wegen Handschrift auf der Strecke

„Die Handschrift ist ein Indikator für das, was über die Wupper geht in der Schule“, sagt die Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning. Sie unterrichtet seit fast 30 Jahren Fünft- bis Zehntklässler in Französisch und Kunst an einer Gesamtschule in Hamm und beobachtet seit Langem, dass sich das Schreibvermögen ihrer Schüler zunehmend verschlechtert. „Immer mehr Kinder können nicht leserlich und oft nur mit großer Anstrengung schreiben. Krakelschriften sind keine Einzelfälle mehr, sondern in den Klassenzimmern längst zum Normalfall geworden.“

Der Grund? „Der Kardinalfehler ist, dass die Kinder in der Grundschule zuerst die Druckschrift lernen, beziehungsweise sie sich selbst aneignen sollen. Dabei gewöhnen sie sich falsche Schreibweisen von Buchstaben an. Und wenn sie jeden Buchstaben an jeder beliebigen Stelle verbinden können, kriegen das viele nicht mehr auf die Kette. Das ist abenteuerlich. Und viele Eltern denken: 'Mein Kind hat motorische Probleme'.“ Mehr als 50 Prozent ihrer Fünftklässler hätten keine Ahnung von Schreibschrift und könnten sie auch nicht lesen.
Die Folgen? „Das bedeutet, dass manche Kinder auf der Strecke bleiben, nur wegen der Handschrift, weil die Handschrift für sie eine Qual ist und sie ihre eigene Schrift nicht lesen können“, so die Co-Autorin des Buchs „Wer nicht schreibt, bleibt dumm“.
Das Lernen mit Laptop sei ein wichtiger Bestandteil im Unterricht, ersetze aber nicht die Schreibfähigkeit: „Schreiben ist mehr als Tastaturbedienung. Schrift ist das Medium der Aneignung der Schriftsprache; sie bringt Motorik und Wahrnehmung in Einklang.“
Ihre Forderung: „Jedes Kind muss eine verbundene Handschrift lernen!“ Und egal ob Druck- oder Schreibschrift: „Kinder brauchen eine professionelle Anleitung und gezielte Übung! Wird sie ihnen vorenthalten, leidet nicht nur die Schrift.“

Handschrift in digitalen Zeiten: Überflüssig oder wichtiges Kulturgut?
Darüber diskutiert Katrin Heise am Samstag von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Grafik-Künstlerin Susanne Dorendorff und der Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.

(sus)
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