Wo zu Hause der Hammer hängt
Das digitale Zeitalter verwöhnt uns: Wir müssen kaum noch einen Finger rühren, um unseren Alltag am Laufen zu halten. Doch eine Gegenbewegung formiert sich: die der Selbstmacher und -bastler, die stolz auf ihre Heimwerker-Fähigkeiten sind.
Menschheitsdämmerung - der Griff zum Werkzeug.
Eine wüste Ebene in der afrikanischen Savanne, eine Gruppe affenartiger Vormenschen umkreist einem ebenmäßigen, schwarzen Monolithen, der eines Morgens in dem kleinen Talkessel steht, den die Vormenschen bewohnen.
Die Horde ist aufgeregt - etwas liegt in der Luft. Einer der Vormenschen erhebt sich, klettert auf einen Haufen ausgebleichter Tierskelette. Er greift sich einen massiven Hüftknochen. Mit der ganzen Hand umschließt er das Werkzeug, holt aus und beginnt die Skelette zu zertrümmern. Kurz danach begeht er damit den ersten Mord der Menschheitsgeschichte.
So inszenierte Regisseur Stanley Kubrick 1968 in seinem bildgewaltigen Science-Fiction Klassiker "2001 – Odysee im Weltraum” die Menschheitsdämmerung und die Erfindung des Werkzeugs.
Vom Vormenschen zum "homo faber"
Der Vormensch mutiert zum "homo faber”, zum "schaffenden Menschen”, zum Handwerker. Mit der Erfindung des Werkzeuges überwindet er nach Ansicht der Philosophin Hannah Ahrendt das "animal laborens”, das Tier, dessen Arbeit allein der Existenzsicherung dient. Stattdessen bemisst der "homo faber” seinen Werken und Erzeugnissen einen eigenen Wert bei. Möglich wird der Griff zum Werkzeug durch eine evolutionäre Besonderheit der Primaten. Erst der opponierende Daumen, der sich den anderen Fingern entgegen bewegen kann, taugt dazu, einen festen Griff auszuführen.
Drei Millionen Jahre später: Im Rahmen der digitalen Revolution durchdringt die Virtualität immer weitere Bereiche unserer Lebenswelt. Computer und Smartphone verbinden uns 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche mit Welt. Programme, Apps und Dienstleistungen umgarnen den Alltag, bieten sich an, Werkzeug oder Helfer zu sein, versprechen Annehmlichkeiten, wie die Fernsteuerung für das eigene Heim oder den Kühlschrank, der die Einkaufliste schreibt.
Vielen dieser verführerischen Angebote ist gemein, dass sie uns ein mehr an Freiheit versprechen, die darin bestehen soll, etwas nicht mehr selbst machen zu müssen. Stehen die Menschen der modernen westlichen Welt auf der Schwelle zu einer neuen Epoche? Und was passiert mit den handwerklichen Fertigkeiten, die wir über Jahrhunderte erworben haben, den Kenntnissen über Materialbeschaffenheiten und ihre Bearbeitung?
"Es scheint, als kündigte der Rückgang des Werkzeugeinsatzes eine veränderte Beziehung zu dem an, was wir selbst geschaffen haben - eine Beziehung, die von Passivität und Abhängigkeiten geprägt ist. Und tatsächlich haben wir immer seltener Gelegenheit, jene Art von eigenwilliger Lebendigkeit zu erfahren, die geweckt wird, wenn wir Dinge selbst in die Hand nehmen, sei es, um sie zu reparieren, sei es, um sie herzustellen."
Das beklagt der amerikanische Philosoph, Elektriker und Motorradmechaniker Matthew B. Crawford in seinem 2009 erschienen Buch "Ich schraube, also bin ich - Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen" und fährt fort:
"Was die Menschen einst selber anfertigten, übergeben sie heute einem Fachmann zur Reparatur, wenn sie es nicht überhaupt wegwerfen und neu kaufen. Und eine fachmännische Reparatur besteht heute oft darin, dass ein ganzes System ersetzt wird, obwohl nur irgendein winziges Bauteil defekt ist."
Handarbeit wird durch Industrie 4.0 entwertet
Crawford sieht darin Symptome für die Tendenz der industriellen und postindustriellen Gesellschaft manuelle und intellektuelle Tätigkeiten in der Arbeitswelt immer weiter auseinander zu dividieren und dabei die Handarbeit zu entwerten. Hand- versus Kopfarbeit, für Crawford eine Trennung, die am menschlichen Bedürfnis eines eigenständigen, selbstbestimmten Handelns und Eingreifens in die Welt und die Dinge in ihr vorbei greift: Crawford hat daraus Konsequenzen gezogen.
Er hat den gut dotierten Direktorenposten bei einem New Yorker Think Tank gekündigt und stattdessen eine Werkstatt für alte Motorräder gegründet. Denn im Mechanikerhandwerk findet er eine maßvolle Synthese aus Kopf- und Handarbeit und stellt fest:
"Dass ich in der Motorradwerkstatt mehr nachgedacht habe, als an meinem früheren Arbeitsplatz, dem Think Tank."
Crawford hält es mit der Einsicht des Philosophen Jean Piaget, dass "Begreifen von Greifen kommt”. Wenn er vor einem defekten Motorrad steht, muss der Mechaniker Ursachenforschung betreiben. Seine Erfahrung hilft ihm, mögliche Fehlerquellen und ihre Behebung gedanklich durchzuspielen, bevor er etwa planlos den ganzen Motor zerlegt. Am Ende gibt es ein objektiv fassbares Ergebnis: Das Motorrad läuft wieder – oder eben nicht. In der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft scheint für diese pragmatische Sicht auf die Welt kein Platz mehr zu sein. Der Zugriff auf die Welt der realen Dinge hat sich in die Freizeit verlagert, wie Crawford bedauernd feststellt.
Do it yourself - Handarbeit als Freizeitarbeit.
"Für mich war das immer eine große Belohnung, wenn ich mir dann vorgenommen habe, am Wochenende muss jetzt ein Hochbett für die Kinder gebaut werden oder ein Regal oder irgendetwas in der Form muss wirklich gebaut werden: Mit Holzeinkauf-Planung, Kreissäge-Anschmeißen und das alles zusammenzuschrauben. Das waren für mich immer wichtige Ausgleichsmomente, weil die Uni-Tätigkeit, wie sie dann in ihrer Gesamtheit ausgefalle ist, zu wenig körperliche Betätigung bot."
Golo Föllmer, 52, Privatdozent an der Universität Halle, zweifacher Vater, sitzt in der Laube seines Schrebergartens im Berliner Stadtteil Neukölln.
"An der Laube habe ich viel gemacht: Terrasse gebaut, Pergola, Kinderspielhaus, Vordach, Fenster eingebaut. Nachdem ich eine Wand rausgeschlagen habe."
87 Prozent der Deutschen heimwerken
Mit seiner Neigung zum Heimwerken befindet sich Golo Föllmer in bester Gesellschaft: Einer Umfrage aus dem Jahr 2013 zufolge betätigen sich 87 Prozent der Deutschen regelmäßig als Heimwerker. Oft empfinden Sie dabei die körperliche Handarbeit als Ausgleich zum Erwerbsleben, das immer uniformer als Arbeit am Computer geleistet wird, ganz unabhängig vom jeweiligen Beruf.
"Handwerk geht mir leicht von der Hand, weil es der ersehnte Ausgleich ist. Meine Balance ist das Handwerk, ich brauche die körperliche Betätigung."
Heimwerken und Handarbeit in der Freizeit als Ausgleich für oft als unbefriedigend erlebte Anforderungen der Arbeitswelt? Das hat eine lange Tradition in Deutschland konstatiert der Historiker Jonathan Voges, der im März 2016 an der Leibniz-Universität Hannover seine Dissertation über die Entstehung der DIY-, der Do-it-Yourself Bewegung in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit vorgelegt hat.
"Ein Bereich, der in der Arbeit eine große Rolle spielt, ist die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit: Wenn man sich die klassischen Wertezuschreibungen anschaut, die vielleicht seit dem bürgerlichen 19. Jahrhundert der Arbeit zugeschrieben wurden, dann kann man am Beispiel des Selber-Machens und Heimwerkens meiner Meinung nach nachvollziehen, wie sich ein bestimmter Anteil dieses arbeitsbezogenen Wertehaushalts zunehmend verlagert von der Berufsarbeit in die Freizeit und in meinem Bereich in die Freizeitarbeit und konkret ins Heimwerken."
Historischer Exkurs - wie das Heimwerken Erfüllung bietet, die der Beruf verweigert.
Fleiß, Gründlichkeit Hingabe, Freude am eigenen Tun, Stolz auf ein gelungenes Ergebnis - traditionelle bürgerliche Tugenden, die einst den Wertekatalog des Arbeitens ausmachten: Immer weniger Deutsche erleben seit den 50er Jahren diese Beziehung zur Arbeit im Beruf: "Spurlosigkeit” nennt Jürgen Habermas 1958 die Erfahrung, die immer mehr Bürger am Arbeitsplatz erleben.
Die Ganzheitlichkeit der vorindustriellen Zeit
Etwas selbst herzustellen, ermögliche hingegen, "die Arbeit am ganzen Stück” und führe "zurück zu ganzheitlichen Tätigkeiten vorindustrieller Produktionsstufen”. Bürokratisierung, die Zergliederung von Arbeitsschritten sowie die fortschreitende Automatisierung machen Meinungsumfragen dieser Zeit als Grund dafür aus, dass immer mehr Deutsche eine zufriedenstellende Erfahrung ihrer selbst in der Freizeitaktivität des Heimwerkens suchen.
War das Selbermachen unmittelbar nach dem Krieg noch der wirtschaftlichen Not geschuldet, der Eigenbau oft die einzige Möglichkeit, sich etwa mit Möbeln auszustatten, wandelt sich das Bild in der zweiten Hälfte der 50er Jahre - nach amerikanischem Vorbild. Ausgerechnet 1957, in dem Jahr, das die Konsumforschung als Wendepunkt vom "Selber-Machen” zum Kaufen ausmacht, erlebt auch die deutsche Do-it-Yourself Bewegung einen markanten Durchbruch - so der Historiker Jonathan Voges:
"Denn 1957 kommt die erste Ausgabe der bis heute erscheinenden Zeitschrift 'Selbst ist der Mann' heraus, deswegen würde ich sagen - Mitte bis Ende der 50er Jahre kann man ausmachen, dass dann es in Deutschland losgeht."
Ein Blick auf das Titelbild einer Ausgabe von "Selbst ist der Mann” aus dem Jahr 1958 zeigt, dass der Heimwerker zwar der ungeliebten Arbeitsteiligkeit seines Berufslebens zu entfliehen vermag: Die Zeichnung zeigt einen Mann beim Bau eines Schemels. Aber die heimische Rollenteilung bleibt unangetastet: Die Rolle der Dame des Hauses auf dem Bild beschränkt sich darauf, mit einer Tasse Kaffee die Heimwerkstatt zu betreten.
Die Abgrenzung zur Berufsarbeit einerseits und zur weiblich besetzten Hausarbeit andererseits findet auch Eingang in die Neuschöpfung des Wortes "Heimwerken”. Denn zunächst gib es im Deutschen gar keinen adäquaten Begriff für das englische "Do it yourself”. Eine erste Umfrageerhebung 1961, bezeichnet das Selbermachen noch als "handwerkliche Hausarbeit”.
"Dann kann man in dieser Zeitschrift, 'Selbst ist der Mann' nachlesen, dass man zwar grundsätzlich begrüßt, dass Umfrageforschungen zum Thema gemacht werden, aber wo kritisiert wird, dass genau dieser Begriff der Hausarbeit verwendet wird, weil der selbstbewusste Heimwerker davon ausgeht, dass er alles tut nur nicht Hausarbeit. Denn Hausarbeit ist im Grunde das, was die Frauen tun müssen, davon distanziert man sich dann durch diesen Neologismus 'Heimwerken'."
Die Wirtschaftswunderzeit: Blütezeit des Heimwerkens
In die 60er Jahre hinein entwickelt sich das Heimwerken dann zum Wohlstandsphänomen: Zeitungsartikel, Rundfunk- und Fernsehsendungen widmen sich dem Thema gerne mit dem Beispiel des heimwerkenden Anwalts oder Zahnarztes, also Berufsgruppen, die unverdächtig sind, aus wirtschaftlicher Not etwas selbst machen zu müssen. Außerdem ist der Zugang zur erfüllenden Heimwerkertätigkeit mit beträchtlichen Investitionen verbunden, erläutert Historiker Jonathan Voges:
"Es gibt ja in den 60er Jahren die ersten Berechnungen, die nachweisen, dass die ambitionierten Heimwerker eine Heimwerkstatt zu Hause haben, die sich noch 50 Jahre zuvor nur ein mittelständisches Unternehmen hätte leisten konnte - also einfach von dem Wert der Maschinen her."
Seit Mitte der 50er Jahre kämpfen die Gewerkschaften der Wirtschaftwunder-Republik für die Einführung der Fünf-Tage Woche und einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, ein Ziel das im Laufe der 60er Jahre in den meisten Branchen erreicht wird.
"Es gibt ja die Kampagne des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus den 50er Jahren: 'Am Samstag gehört Vati mir' - Das wird sofort von den Heimwerkerpublikationen aufgegriffen, die machen daraus: 'Samstag ist Basteltag'."
Samstag = Heimwerkertag
Von da an entwickelt sich der freie Samstag zu dem Heimwerkertag schlechthin. Neben der Überwindung der Nachkriegsnot und wachsenden Freizeit fördert auch vermehrtes Wohneigentum den Trend des Selbst-Handanlegens. In den 70er und 80er Jahren erreicht die Do-it-Yourself Bewegung dann die Mitte der Gesellschaft:
"Vor allem in den 70er Jahren beginnt das Heimwerken dann auch im Fernsehen anzukommen, dass dann auch Heimwerker-Fernsehsendungen produziert werden und heute ist natürlich 'Do-it-Yourself' - ich weiß gar nicht wieviele Einträge das bei Google ergeben würde, wenn man das googeln würde, aber ich denke, dass das Internet heute die wichtigste Plattform für Do-it-Yourself oder fürs Heimwerken generell ist."
243 Millionen Einträge sind es, die die Suchmaschine unter dem Begriff Do-it-Yourself anbietet - Stand September 2016. Mittlerweile schwingt beim Selbermachen aber auch noch eine andere Bedeutung mit als zu Beginn des Phänomens vor fast 60 Jahren, denn die Netz-Community hat das Selber-Machen …
"... wiederum mit anderen Werten aufgeladen, vielleicht sogar mit politischen oder gesellschaftspolitischen Ambitionen dahinter, der Industrie- und Konsumgesellschaft etwas entgegenzusetzen, dadurch das man Dinge selber tut."
So erläutert Jonathan Voges. Ein Rückgriff auf das alternative Milieu der 70er und 80er Jahre. Brot selber backen, den Pulli stricken, das heruntergekommene Haus instand besetzen: Mit der Praxis der Handarbeit glaubte die alternative Szene, die kapitalistische Industrie-, Konsum- und Arbeitswelt überwinden zu können. Auch wenn die utopischen Ansprüche mittlerweile gesunken sind, als kritische Praxis taugt die Do-it-Yourself Strategie immer noch:
Reparieren statt wegwerfen - Handarbeit als Möglichkeit, Ressourcen und Rohstoffe zu schonen und als Technik der Konsumkritik.
Der Hinterhof eines Gründerzeitbaus in Berlin-Kreuzberg. Hinter einem geöffneten Garagentor befinden sich zwei geräumige Atelierräume, Tischplatten auf Holzböcken, darauf Lötkolben und -zinn, Schraubendreher sowie elektrische Messgeräte. Jeden ersten Montag im Monat lädt das Repair-Café dazu ein, den Versuch zu unternehmen, defekte Elektrokonsumartikel wieder in Stand zu setzen. Zum ersten Mal dabei: Mion, zehn Jahre alt, in der Hand ein zerlegtes Spielzeug:
"Ein Roboter, wo man Geld reinmachen kann - also eine Spardose quasi. Der zählt halt nicht mehr, hier wird also nichts angezeigt und hier kann man nicht mehr drücken."
Adam, ein Rentner mit polnischen Wurzeln, misst die Spannung des funktionsuntüchtigen Spielzeugs. Er hat dreißig Jahre als Elektroniker gearbeitet und stellt wie die anderen Helfer im Repair-Café auch seine Erfahrung als Freiwiliger zur Verfügung.
Die Batterien zu wechseln, löst das Problem nicht. Adam legt die Platine im Inneren des kleinen Roboters frei und beginnt sie durch zu messen, sein Fazit:
"Das Gerät ist wahrscheinlich wirklich kaputt und zwar ist da ein Bauteil, ein Flip-Chip, und wenn es zwischen dem Bauteil und der Leiterplatte eine Bruchstelle gibt, kann man es nicht reparieren."
Allenfalls der Versuch, in China eine neue Platine zu beschaffen, könnte die Roboter-Spardose wiederbeleben. Auch wenn Mion heute keinen Erfolg hatte, beim nächsten Termin will er mit seinem defekten Gameboy wiederkommen.
Am Nachbartisch rücken Frau Steinhäuser im hellen Sommerkleid und ihr Helfer, Herr Kemper, dem zerlegten Objektiv einer Digitalkamera mit einem kleinen Schraubendreher und einer Pinzette zu Leibe.
"Die Kultur ist ja ganz schön schlimm geworden – die Wegwerfkultur. Ich finde es toll, wenn man Sachen selber reparieren kann."
Eine Dreiviertelstunde benötigen Teilnehmerin und Helfer, dann sind Kamera und Objektiv wieder zusammengeschraubt.
"Echt? Mal sehen, hier geht’s noch weiter? Funktioniert echt! Das ist ja echt krass. Daran lag's also, dass da drin was war?"
Billigware aus Fernost schreit geradezu nach Reparatur
Reparieren statt wegwerfen. Das Repair-Café wird organisiert vom Berliner Verein Kunst-stoffe, der sich seit 2006 mit kreativen Strategien der Müllvermeidung und Wieder- und Weiterverwendung von Ressourcen beschäftigt. Rund 25 Kilogramm Elektroschrott kommen in Deutschland pro Kopf und Jahr zusammen. Oft scheint sich eine Reparatur nicht zu lohnen. Zudem verleiten die Hersteller mit größeren Bildschirmen, schnelleren und leistungsfähigeren Geräten zur Neuanschaffung.
Schließlich lädt insbesondere Billigware aus Fernost nicht gerade zur Reparatur ein. Gehäuse, die zusammen geklemmt statt verschraubt sind, gehen beim Öffnen leicht kaputt. Schaltpläne, die auch Aufschluss über die verbauten Teile geben - Fehlanzeige. Außerdem wird häufig Spezialwerkzeug benötigt. Die aus Valencia in Spanien stammende Bildhauerin Elisa Garotte Gasch leitet das Repair-Café und wünscht sich ein Reparatur-Siegel für Elektro- und Elektronikgeräte:
"Da ist an drei Punkte gedacht. Zum einen, ob das Gerät aufmachbar ist, dann, ob es einen Schaltplan gibt, und das Dritte, ob es Ersatzteile zu kaufen gibt."
Im Repair-Café machen viele Teilnehmer die Erfahrung, hinter die Kulissen der glatten Oberflächen ihrer Elektronikgeräte zu schauen. Ein Blick, der von den Herstellern in der Regel nicht vorgesehen ist. Die Repair-Café-Bewegung sieht darin einen Akt der Wiederaneignung von gesellschaftspolitischem Rang: In der Reparatur macht man sich wieder zum Herrn der Dinge, anstatt auf einen Defekt ohnmächtig mit Wegwerfen und Neukauf zu reagieren. Letztlich führe dies auch zu einem veränderten Blick auf die Welt der Dinge: Faire Bedingungen bei der Herstellung, schonender Umgang mit wertvollen Rohstoffen sowie Klima- und Umweltbilanz rücken so in den Blickwinkel und fördern eine Eigenverantwortung in diesem Zusammenhang.
Paradoxe Situation
Reparieren - selber bauen als Plädoyer für einen schonenden Umgang mit Rohstoffen und Ressourcen, als Selbstermächtigung, mit den Dingen auch die Welt wieder handhabbar zu machen, als Kritik an der postindustriellen, globalen, Konsum- und Arbeitsgesellschaft?
Die Situation ist allerdings paradox: So wird der Berliner Verein zur Müllvermeidung von der Stiftung eines namhaften Schwedischen Anbieters von Möbeln zur Selbstmontage gefördert – fängt mit "I" an und endet "ea". Der Blick auf die Bau- und Heimwerkermärkte, deren Verkaufsfläche mittlerweile die Größe von Fußballstadien erreicht hat, zeigt: Das Geschäft mit den Selbermachern boomt, im europäischen Vergleich liegt Deutschland vorn: Aus dem Land der "Dichter und Denker” ist längst ein Land der "Bohrer und Bastler” geworden.
Es gibt immer was zu tun! Mach Dein Ding! Sei Du selbst! Hier hilft man sich! Es ist Dein Projekt.
Schweiß in Supernahaufnahme, Staub und Dreck, eine suggestive Stimme, eine gehörige Portion Selbstironie, etwa, wenn die geliebte Arbeitshose von der Gattin in den Müll geworfen wurde und vom heimwerkenden Mann auf der Deponie wieder ausgegraben wird, gepaart mit einer geradezu archaisch inszenierten Männlichkeit - so blasen die großen Bau- und Heimwerkermärkte in ihren Fernsehwerbespots seit Jahren zur Frühjahrsoffensive.
"Dieser Kernmarkt hat im Jahr 2015 18 Milliarden Euro umfasst. Der Markt selber, wie wir ihn auch mit den Wettbewerbsstrukturen definieren. In dieser Definition liegen wir eigentlich bei 44 Milliarden in Deutschland."
Dr. Peter Wüst, Geschäftsführer des Handelsverbandes Heimwerken, Bauen und Garten ist zufrieden mit den Zahlen des Jahres 2015. Das erste Halbjahr 2016 verzeichnet trotz durchwachsener Wetterlage einen leichten Zuwachs von 1,6 Prozent. Es sind vor allem zwei Faktoren, die das Branchenplus bewegen. Zunächst das gewachsene Sortiment.
"Dann wachsen aber auch Sortimente zunehmend wie im Bereich Heimtextilien. Sie können in den großen Märkten ihre Bilder rahmen lassen. Sie können Acrylfarben für ihre Freizeitaktivitäten erwerben inklusive der dazugehörigen Kurse."
Außerdem konzentrieren sich Marketingstrategien wie Kurse und Workshops in den Verkaufsflächen auch auf Zielgruppen, die Wachstum verheißen, erläutert BHB-Geschäftsführer Dr. Peter Wüst.
"Das Klientel hat sich mit den Sortimenten und den Nachfragen und den Wünschen der Kunden geändert. Sie haben heute schon einen Prozentsatz an weiblichen Kunden, der von 40 bis 55 Prozent, je nach Unternehmensform geht."
Unter den Workshops der Do-it-Yourself Akademie für Endverbraucher, gibt es einen ganz klaren Favoriten:
"Der am besten laufende Teil der Kurse ist nach fünf Jahren ist tatsächlich Heimwerken, Do-it-Yourself für Frauen. Frauen schätzen es sehr, dass an diesen Formaten in der Regel keine Männer teilnehmen."
Wahl zur "Miss Do-it-Yourself"
Die heimwerkende Kundin bewirbt auch eine andere Marketingstrategie der Do-it Yourself Akademie. Dr. Peter Wüst kommt gerade von der Fachmesse für Sport-, Camping- und Gartenartikel "spoga / gafa” in Köln. An einem "Tag des Gartens” öffnet sie auch für Endverbraucher - und Endverbraucherinnen:
"Im Rahmen des 'Tags des Gartens' haben wir die neue Miss Do-it-Yourself gewählt. Die Frau ist immer drei Jahre bei uns aktiv. Wir nutzen die Dame für drei Jahre als Botschafterin für das Do-it-Yourself, für das Heimwerken, für das Kreativ-Sein für Frauen."
Die Siegerin 2016 ist eine 40jährige Juristin aus Potsdam, die in ihrer Bewerbung gleich einen schlagkräftigen Werbeslogan mitlieferte:
"Ich verzichte auch mal auf einen Klienten, um mein Projekt weiter zu bringen - und das ist ein geniales Motto."
44 Milliarden Euro Umsatz, da bleibt für Kapitalismuskritik eher wenig Spielraum. Ein weiterer Ansatz, Ressourcen durch Umwidmung wieder zu verwenden verbirgt sich hinter dem Konzept des "Upcycling”.
Berlin-Kreuzberg: Auf dem Hohenstaufenplatz ist Öko-Markt, Straßenmusiker spielen auf. Wenige Meter entfernt ein Souterrain-Ladenlokal, in dem Beate Brosig und Christiane Köhler kurz vor der Eröffnung ihres Ladens "Schön, schön” mit angeschlossener Upycycling-Werkstatt stehen.
"Wen ich heute erlebe, wie wenig in meiner Altersklasse oder auch jünger - wie wenig die Leute nur noch selber machen können - ich bin manchmal echt erstaunt und sage dann immer: So schwer ist das doch nicht: Mach doch mal. Nein, die können das wirklich nicht. Die wissen ganz genau am Computer, mit welchem Programm sie da was bearbeiten können - aber das ist dann echt Schluss. Und trauen sich dann nicht, weil sie Angst haben, dass was schief geht und können das auch ihren Kindern nicht mehr beibringen."
Christine Köhler ist Tischlermeisterin und verfügt über Kenntnisse in der Metallverarbeitung, außerdem hat sie als Zweiradmechanikerin gearbeitet. Die Idee von Upcycling ist, gebrauchte Gegenstände, etwa aus dem Sperrmüll einer neuen Verwendung zuzuführen, anstatt den Ressourcenverbrauch durch Neuware zu steigern:
"Alles, was hier im Laden steht, sind geschenkte Sachen. Das ist auch das Konzept: Sachen, die wir auf der Straße finden oder uns geschenkt werden - oder übers Internet verschenkt werden - daraus wollen wir Neues machen."
Aus dem alten Kinderwagen entsteht ein geländetauglicher Servierwagen für den Garten, der alte Spielautomat wird zur schicken Hausbar, individuell, nach Kundenwünschen gestaltet mit dem handwerklichen Wissen darum, wie man es herstellen kann. Eine Anlaufstelle im Kiez möchte der Laden sein, wo man auch um Rat und Tat für eigene Projekte nachfragen oder sich inspirieren lassen kann. Die Macherinnen versprechen sich von ihrem Projekt einen Mehrwert jenseits der reinen Kommerzabsicht:
"Es ist ja dann auch mehr als ein Job, es ist ja dann ein Stück Leben - und das dann auch ein Stück weit zu transportieren vor die Tür - und wenn die Leute nur vorbeikommen und sagen "Sieht ja wieder super aus!”, da auch eine Anerkennung zu kriegen, für das, was man macht und nicht nur das monetäre, was dann rein kommt."
Anerkennung ist wichtig
Anerkennung ist ein wichtiger Aspekt in dem, was die Lernpsychologie unter dem Begriff der Selbstwirksamkeit kennt: Die Selbstzuschreibung der Fähigkeit und die tatsächliche Fähigkeit, praktische aber auch emotionale Probleme lösen zu können, erklärt der Diplom Psychologe Claus Spies:
"Das Konzept der Selbstwirksamkeit wird in der frühen Entwicklung geprägt: Kinder die zum Beispiel etwas mit Lego bauen merken, ich habe etwas geschafft aber auch: Ich kann Probleme lösen, eigene Schwierigkeiten bewältigen. Da bietet sich ein handwerkliches Vorgehen gut an: Ich baue mir eine Hütte oder setze ein Puzzle zusammen."
Neben der Selbsteinschätzung und Selbstzuschreibung spielt aber auch die Umwelt eine maßgebliche Rolle im Konzept der Selbstwirksamkeit, sei es durch Anerkennung, Zutrauen oder Anleitung:
"Selbstwirksamkeit kommt zunächst einmal von meinen eigenen Erfahrungen, Probleme bewältigen zu können, aber auf der anderen Seite, ob mir die Umwelt bestimmte Fähigkeiten zu schreibt. Zum Beispiel: 'Das schaffst Du schon.' Oder: 'Ich zeige es dir, dann kannst du es auch selbst.'"
Ein menschliches Grundbedürfnis
Handarbeit scheint einem menschlichen Grundbedürfnis Rechnung zu tragen. Sie setzt uns in eine sinnstiftende Beziehung zu den Dingen und der Welt. Die Veränderungen und technischen Innovationen der Arbeitswelt liefern diese Sinnzusammenhänge nicht mehr und Handarbeit taugt außerhalb des traditionellen Handwerks kaum noch als Lebensgrundlage: Christine Köhler und Beate Borsig werden ihren Upcycling Laden auch weiterhin durch andere Jobs gegenfinanzieren müssen.
Matthew B. Crawford kommt nur deshalb über die Runden, weil er in seiner Werkstatt typenoffen auch alte Motorräder in Auftrag nimmt, die andere Werkstätten ablehnen. Ein selbstbestimmtes Handwerkerleben unter den Maßgaben der Grenzen, die Material und Physik definieren, im lebendigen Austausch mit Gleichgesinnten und einem wachsenden Erfahrungsschatz - sind derzeit wohl nur noch als Nischendasein erhältlich.
Ob die postindustrielle Gesellschaft ein Interesse daran hat, allen ein solches Nischendasein zur Überwindung der Kluft von Kopf und Hand bereitzustellen, darf an dieser Stelle bezweifelt werden - aber vielleicht will das ja auch gar nicht jeder.