Tradition muss Bauvorhaben weichen
06:27 Minuten
Shoppingmalls und teure Eigentumswohnungen verdrängen nicht nur kleine Läden und einkommensschwache Mieter aus den Innenstädten. Auch alteingesessene Handwerksbetriebe müssen weichen, weil die Miete zu hoch oder der Platz zu knapp wird.
Zentraler kann ein Handwerksbetrieb kaum liegen. Direkt an einer viel befahrenen Straße, neben der Bonner Altstadt. Gleich gegenüber ein spanischer Tapasladen, ein paar Häuser weiter ein indisches Restaurant.
Zehn Minuten sind es von hier zu Fuß bis zum Hauptbahnhof. Es ist ein belebtes Viertel, in dem die Firma Stuck-Belz seit 40 Jahren ihrem Handwerk nachgeht. Nur: Um sie herum ist es einsam geworden.
"Viele kleinere Handwerksbetriebe sind hier schon verschwunden", sagt Michael Christmann. "Viele Betriebe, mit denen wir auch, ich sage mal, natürlich durch die Nachbarschaft Hand in Hand gearbeitet haben, sind schon nicht mehr da. Bei einem Schreiner, der direkt nebenan ist oder bei einem Fliesenleger: Die haben halt einfach den Platz auch nicht und sind dann irgendwann gezwungen, deswegen rauszugehen aus dem Zentrum."
Viele alte Fassaden im Zentrum
Michael Christmann wirkt nicht wie jemand, der schnell herummeckert. Kurzgeraspelte Haare, ein grauer Sieben-Tage-Bart, breite Schultern. Der Stuckateurmeister führt den Familienbetrieb mit seinen rund 30 Angestellten seit zehn Jahren. Eigentlich ist der Standort optimal, denn historische Gebäude, deren Fassaden saniert werden müssen, gibt es hier zuhauf.
Im Umkreis von zwei, drei Kilometern stößt man immer wieder auf Baustellen mit dem Logo der Firma. Und doch wird es langsam eng für den Betrieb, sagt Christmann. "Wir haben hier auf der Rückseite einen Lagerplatz für die Abfallentsorgung. Die Gewerbeabfallverordnung schreibt mir vor, dass ich alle Materialien getrennt entsorgen muss. Das heißt, ich muss mindestens fünf Abfallbehälter in einer gewissen Größe vorhalten und brauche dadurch eben auch schon mal sehr viel Platz – nur dafür."
Lagerräume müssen Bauland weichen
Michael Christmann führt durch eine Lagerhalle mit Säcken voller Mörtel und einem roten Gabelstapler hindurch. Eine kleine Tür führt nach draußen.
"Wir stehen jetzt hier auf diesem Innenhof. Wir haben hier die unterschiedlichen Abfallbehälter, die, wenn sie denn zugeklappt sind, auch entsprechend gekennzeichnet sind für Papier, für Mischmüll", erklärt er. "Dann haben wir hier Abfälle, die besonders entsorgt werden müssen: Also, einmal in sich geschlossen und dann noch einmal extra in Tüten verpackt. Dann haben wir Holz als Abfall, Altmetallreste und auch noch ein bisschen Außenlagerfläche für Gerüstbauteile. Und das wird perspektivisch nachher nicht mehr alles in unserer Halle unterzubringen sein."
"Wir stehen jetzt hier auf diesem Innenhof. Wir haben hier die unterschiedlichen Abfallbehälter, die, wenn sie denn zugeklappt sind, auch entsprechend gekennzeichnet sind für Papier, für Mischmüll", erklärt er. "Dann haben wir hier Abfälle, die besonders entsorgt werden müssen: Also, einmal in sich geschlossen und dann noch einmal extra in Tüten verpackt. Dann haben wir Holz als Abfall, Altmetallreste und auch noch ein bisschen Außenlagerfläche für Gerüstbauteile. Und das wird perspektivisch nachher nicht mehr alles in unserer Halle unterzubringen sein."
Zu hohe Gewerbemieten
So wie dem Bonner Stuckateur geht es vielen: Die Innenstädte wachsen, doch die Handwerksbetriebe im Zentrum verschwinden. Und nicht nur in Bonn. Stephanie Bargfrede ist Geschäftsführerin der Handwerkskammer im benachbarten Köln.
Sie berichtet von weiteren Problemen für Handwerkerinnen und Handwerker in den Innenstädten: "Neben der fehlenden Möglichkeit, zu expandieren, sind es vor allen Dingen die Mieten. Das können Betriebe dann einfach nicht mehr stemmen, wenn die Mieten so in die Höhe gehen. Das ist ja nun auch gezielt, um sie da eben entsprechend rauszubekommen. Eigentümer kündigen, weil sie die kurzfristigen Gewinnaussichten natürlich vor Augen haben, mit einer anderen Nutzung, wenn sie da mehrere Wohnungen hinstellen.
Ein Gebäude mit mehreren Wohnungen ist natürlich gewinnträchtiger. Und wir haben den indirekten Druck durch die heranrückende Wohnbebauung, also durch Lärmproblem und Emissionen, die früher immer selbstverständlich toleriert worden sind. Wenn im Innenhof mal eine Kreissäge läuft – dieser permanente Ärger mit der Nachbarschaft führt natürlich bei vielen dazu, dass sie aufgeben."
Von der Innenstadt raus ins Gewerbegebiet
Laut einer Umfrage des Spitzenverbands des deutschen Handwerks hat jeder fünfte Betrieb vor, aufgrund dieses Drucks den Standort zu wechseln. Von der Innenstadt raus in Gewerbegebiete. Und das hat Konsequenzen.
"Wir bekommen ein echtes Problem in der Grundversorgung, und wir bekommen oder haben ein großes ökologisches Problem", sagt Bargfrede. "Das heißt, die Fachkräfte fahren, die Kunden fahren. Wir haben viel mehr Lieferverkehr, also, der Verkehr wird zunehmen. Und man muss sich auch klarmachen, dass das, wofür die Menschen in bestimmte Viertel ja ziehen wollen, es dann nicht mehr geben wird: nämlich die Mischung, die Vielfalt, dieses leichte urbane Lebensgefühl, die Stadt der kurzen Wege.
"Wir bekommen ein echtes Problem in der Grundversorgung, und wir bekommen oder haben ein großes ökologisches Problem", sagt Bargfrede. "Das heißt, die Fachkräfte fahren, die Kunden fahren. Wir haben viel mehr Lieferverkehr, also, der Verkehr wird zunehmen. Und man muss sich auch klarmachen, dass das, wofür die Menschen in bestimmte Viertel ja ziehen wollen, es dann nicht mehr geben wird: nämlich die Mischung, die Vielfalt, dieses leichte urbane Lebensgefühl, die Stadt der kurzen Wege.
Statt vor die Tür zu treten – und Sie haben ein Kino und Sie haben eine Bäckerei – setzen Sie sich ins Auto und holen ein Brötchen und finden hinterher keinen Parkplatz mehr. Und für uns heißt das, Handwerk gehört in die Viertel und muss entsprechende Rahmenbedingungen vorfinden."
Es braucht eine neue Stadtpolitik
Stephanie Bargfrede wünscht sich eine neue Stadtpolitik. Eine, die Leerstände bekämpft. Die auf moderne Bürobauten und Edelquartiere verzichtet und stattdessen Gewerbeflächen sichert.
Der Bonner Stuckateur Michael Christmann wünscht sich das ebenfalls – aber seine Hoffnung hält sich in Grenzen: "Ich denke, mehr Gewerbeflächen in der Stadt zu schaffen, in der unmittelbaren Innenstadt, das ist ein Wunsch, ein Ruf, der irgendwo direkt verhallen wird."
Die jetzige Lage wird Stuckateurmeister Christmann auf jeden Fall vermissen. Und die Bonner Innenstadt wird wieder um einen Handwerksbetrieb ärmer sein.