Gott ruft an
Vom Turm einer Kirche im Schweizer Luzern schallt dieser Tage Handy-Geklingel, statt Glockengeläut. Ist das Smartphone zum modernen Gott geworden? Das fragen sich die Künstlerinnen, die hinter dieser Aktion stecken.
Chinesen, Japaner, Amerikaner – dicht an dicht drängen sich dieser Tage die Touristen in Luzern. Jeder von ihnen will einmal über die berühmte überdachte, mittelalterliche Holzbrücke laufen. Für überraschte Gesichter sorgen allerdings merkwürdigen Töne, die derzeit ab und an von der ältesten Kirche der Stadt schallen, der St. Peters-Kapelle, direkt gegenüber des nördlichen Brückenportals.
Handy-Geklingel statt Glockengeläut tönt herunter vom kleinen Kirchturm. Hinter den Klängen stecken zwei junge Künstlerinnen aus Luzern: Klarissa Flückiger, 23 Jahre alt und Mahtola Wittmer, 25. Das Mobiltelefon sei im Alltag oft so präsent, dass es schon fast zu einem Gott geworden ist, sagt Klarissa Flückiger:
"Heute vertrauen wir dem Handy alles an, wir kommunizieren mit ihm, wenn wir alleine sind, wir fragen darin um Rat, alles Aufgaben, die eigentlich den Göttern zugesprochen werden."
Neuer Diskurs zwischen Kunst und Kirche
Wie selbstbestimmt sind wir in unserem Alltag? An was orientieren wir uns? Was bestimmt unseren Tagesrhythmus? Das Handygeräusch vom Kirchturm soll zum Nachdenken anregen, sagt Künstlerkollegin Mathola Wittmer:
"Also wir wollten auch ein bisschen Zündstoff bieten, damit wir neuen Diskurs zwischen Kunst und Kirche führen können."
Die Künstlerinnen wollen anregen zum Nachdenken: Wie selbstbestimmt sind wir in unserem Alltag? An was orientieren wir uns? Was bestimmt unseren Tagesrhythmus?
Die Aktion namens "Zeitzeichen" ist überhaupt nur möglich, weil die Peters-Kapelle gerade renoviert wird. Gleich mehrere Kunstprojekte wurden initiiert, erklärt Florian Flohr von der katholischen Gemeinde Luzern.
"Wir wollten eigentlich den Umbau nutzen, um auf eine neue Art mit Künstlerinnen und Künstlern in Dialog zu kommen. Hier gibt es eine Hochschule für Design und Kunst. Und wir haben mit denen und den Studentinnen und Studenten wie eine Art Wettbewerb abgemacht und daraus sind sechs Projekte hervorgegangen, die in verschiedenster Art mit diesem Umbau gespielt haben. Und das ist das letzte von diesen sechs."
Wann und wie lange die elektronischen Töne erklingen, bestimmen die Künstlerinnen selbst, via Smartphone. Allerdings hat die Stadt Luzern einen engen Rahmen gesetzt, sagt Klarissa Flückiger.
"Wir haben gewisse Vorgaben von der Stadt, wie oft wir klingeln lassen dürfen. Wir dürfen zehn Mal pro Tag. Nachts leider nicht und auch zu Randzeiten nicht, weil wir haben da schon Vorgaben, die wir einhalten müssen, aber ich denke es macht auch am meisten Sinn, dann zu klingeln, wenn die Leute hier sind."
Enttäuschte Touristen
"God is calling" – "Gott ruft an" – sollen Touristen aus den USA gerufen haben, als sie das Handy-Läuten gehört haben. Andere schütteln skeptisch mit dem Kopf und wiederum andere fangen an zu lachen.
"Die Idee find ich sehr gut!" / "Ich bin aus Australien in die Schweiz gekommen, um Kirchenglocken zu hören und Kuhglocken. Nein, das hier mag ich nicht." / "Es kann mal ein kurzes Projekt sein. Ich bewundere diese zwei jungen Frauen, aber ich meine, das Handy, es läutet ja eh schon zu viel." / "Ja warum nicht. Es weckt die Aufmerksamkeit. Natürlich alle blicken nach oben. Während einen normalen Kirchenschlag keiner beachten würde, nehme ich an."
Das Kunstprojekt ist befristet. Insgesamt zwei Wochen lang soll das Handy-Geklingel vom Kirchturm erschallen.