Kinder und Smartphones
Bald auch in Deutschland? In mehreren europäischen Ländern bestehen in Schulen Handyverbote. © picture alliance / Florian Gaertner / photothek.de
Wie sinnvoll ist ein Handyverbot an Grundschulen?
Spätestens seit den Ergebnissen der letzten PISA-Studie wird in ganz Europa über Handyverbote diskutiert. In Schweden und Frankreich gibt es sie bereits. Wie lauten die Argumente dafür und dagegen?
Während es in einigen europäischen Ländern schon flächendeckende Handyverbote gibt, wird das Thema in Deutschland bisher je nach Schule unterschiedlich behandelt. Laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom ist die private Nutzung von Smartphones an über der Hälfte aller deutschen Schulen verboten. Eltern, Politik und zahlreiche Bildungsexpertinnen und -experten fordern verbindliche Regelungen. Zuletzt hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ein Verbot von Smartphones an Grundschulen gefordert.
Bei einem Handyverbot geht es ausschließlich um die Nutzung des Geräts. Das Mitbringen der Smartphones kann wegen der grundgesetzlich festgeschriebenen Handlungsfreiheit nicht verboten werden. Rund 30 Prozent der Dritt- und Viertklässler bringen ihr Smartphone mit in die Schule. Vor allem die Lehrerverbände in Deutschland sprechen sich gegen flächendeckende Verbote aus.
Inhalt
Wie argumentieren die Befürworter eines Handyverbots?
Die Ergebnisse der letzten PISA-Studie waren desaströs – auch für jene Länder in Europa, die in vorangegangenen Jahren besser abgeschnitten hatten, beispielsweise Schweden: Bei schwedischen Schulkindern hat vor allem die Lesefähigkeit nachgelassen.
Bildungsexperten führen das auf ein Nachlassen der Konzentration zurück, ausgelöst durch die intensive Nutzung von digitalen Geräten wie Smartphones, Tablets und Smartwatches. Bei Tests in den Niederlanden schnitten Schülerinnen und Schüler mit hoher Bildschirmzeit in Sachen Leseverständnis und Sprachfertigkeiten einen bis anderthalb Punkte schlechter ab als Kinder, die weniger Zeit an Handy und Tablet verbringen.
Gefährliche Challenges auf TikTok
Neben den vielen Problemen, die durch Cybermobbing oder Cybergrooming entstehen, sind auch TikTok-Challenges ein wachsendes Problem: Laut einer aktuellen Studie der Landesmedienanstalt NRW ist ein Drittel der digitalen Mutproben physisch und psychisch potenziell schädlich, ein Prozent sogar potenziell tödlich.
Die Befürworter flächendeckender Handyverbote an Schulen fordern einheitliche Regeln, und dass die Kinder ihre Geräte vor dem Unterricht abgeben. Das würde die Kontrolle wesentlich erleichtern, sagen sie. Dort, wo es schon länger Verbote gibt, wie an einigen niederländischen Schulen, sind die Ergebnisse positiv: Es herrscht deutlich mehr Ruhe im Unterricht. Und die Kinder haben sich deutlich schneller daran gewöhnt als gedacht.
Was sagen die Gegner eines Handyverbots?
Zu den größten Gegnern eines flächendeckenden Handyverbots gehören die Lehrkräfte. Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass ein absolutes Verbot für alle Altersgruppen und den gesamten Schulbereich nicht durchzusetzen sei. Viele Eltern wollen, dass sich ihre Kinder im Fall von Unterrichtsausfällen bei ihnen melden können.
Düll räumte ein, dass das Störungspotenzial durch Smartphones groß sei, aber auch in der analogen Zeit habe es viel Ablenkung gegeben. Gegen digitales Mobbing helfe ein Handyverbot außerdem kaum.
Schweden setzt auf Bücher statt Tablets im Klassenzimmer
In Schweden wird nach großflächiger digitaler Aufrüstung der Klassenzimmer seit 2023 zurückgerudert: Tablets in Vor- und Grundschulen werden wieder durch Bücher ersetzt. Hier sollen Schüler bis zur Jahrgangsstufe 9 in Zukunft ihre Handys vor dem Unterricht abgeben. Das betrifft alle Schulkinder zwischen drei und 15 Jahren.
Vor allem Jugendliche reagieren mit Unverständnis auf die geplante Regelung: Erwachsene verstünden nicht, wie die junge Generation kommuniziere, man sei durch Smartphone-Nutzung nicht gleich weniger sozial. Angesichts von Künstlicher Intelligenz sei der richtige Umgang mit Smartphones auch „Lernen für die Zukunft“, wie ein schwedischer Schüler im Deutschlandfunk betont. Auch viele schwedische Lehrerinnen und Lehrer sprechen sich gegen die neuen Regeln aus.
Gibt es einen Mittelweg?
Silke Müller ist Schulleiterin in Oldenburg und Autorin des Buchs „Wir verlieren unsere Kinder! Gewalt, Missbrauch, Rassismus – Der verstörende Alltag im Klassen-Chat“. Sie spricht sich für ein Handyverbot an Grundschulen aus. Müller sagte im Deutschlandfunk: "Das Netz kennt keine Altersbegrenzung. Das, was bei TikTok viral geht, macht keine Grenzen vor Acht- oder Neunjährigen. Sie sehen dasselbe wie wir Erwachsenen.“ Die Folge sei eine Verrohung, nicht nur der Sprache.
Gemeinsames Handeln von Eltern und Schule
Gleichzeitig warnt die Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen aber davor, dass ein Handyverbot die Probleme nur verlagert und die Eltern aus der Pflicht nimmt. Müller fordert darum, dass „Eltern und Schule gemeinsam agieren.“
Kinder müssten lernen, Smartphones richtig und konstruktiv zu nutzen. Eltern und Lehrkräfte sollten sich gleichermaßen den sozialen Medien öffnen und den Kindern entsprechende Kompetenzen vermitteln. Es brauche eine „Begleitkultur“ statt Verbote. So findet an ihrer Schule eine Social Media-Sprechstunde für Schulkinder statt.
Müller schlägt vor, dass Eltern mit ihren Kindern klare Regeln für den Umgang mit dem Smartphone festlegen. Kinder bräuchten zudem Ansprechpartner bei Problemen. Auch die Gefahren von Cybergrooming sollten Eltern mit ihren Kindern besprechen, also die Gefahr durch pädophile Nutzer.
Gefahren von Cybergrooming besprechen
Müllers Kollege Timo Off, Schulleiter im schleswig-holsteinischen Nortorf, ist ebenfalls davon überzeugt, dass man stärker auf die tieferlegenden Bedürfnisse der Kinder schauen muss. Bei der Nutzung des Smartphones geht es ihnen um Gemeinschaft, Kompetenzen zeigen und um das Austesten von Grenzen. „Jedes Kind möchte gesehen werden.“ Das sollten Eltern wie Lehrer beachten.
Tatsächlich spricht vieles für die Ideen der beiden Schulleiter. In Schweden hat kürzlich eine Forscherin herausgefunden, dass die Lernergebnisse an den Schulen besser sind, die eine offene Einstellung gegenüber Smartphones pflegen, und an denen eine sinnvolle Nutzung digitaler Geräte im Vordergrund steht.
pj