Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert
Deutsches Historisches Museum, Berlin
Ab 11. Mai 2020 geöffnet
Streitbar, kontrovers, eigensinnig
04:50 Minuten
"Denken ohne Geländer" nannte Hannah Arendt einmal ihre Art, auch unpopuläre Positionen zu formulieren. Wie dieses Denken auch in Deutschland öffentliche Debatten auslöste, zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin in einer großen Ausstellung.
Für Hannah Arendt war nach dem Holocaust eine Rückkehr und ein Leben in Deutschland undenkbar. Das hielt sie nicht davon ab, an den großen politischen Debatten in Nachkriegsdeutschland teilzunehmen – streitbar, kontrovers, eigensinnig. Das Urteilen aus dem eigenen Denken heraus war für sie ein wichtiger politischer Akt – ein Wagnis mit offenem Ausgang.
Kraft und Mut zur Kontroverse
Insofern ist die Hannah-Arendt-Ausstellung, die das Deutsche Historische Museum jetzt mit coronabedingter Verzögerung am Montag eröffnet, auch ein persönliches Projekt von Museumsdirektor Raphael Gross.
Der betont seit seiner Amtsübernahme vor vier Jahren immer wieder, die wichtigste Aufgaben seines Hauses sei es, die historische Urteilskraft der Menschen zu schulen, damit sie die Gegenwart besser verstehen können. Und an wem könnte man Kraft und Mut zur Kontroverse besser demonstrieren als an Hannah Arendt?
"Denken ohne Geländer", nannte Arendt einmal selbst ihre Art, auch unpopuläre Positionen zu formulieren. "Sie ist sehr mutig, sie hat sehr unangepasste, starke Urteile, und sie stellt sich damit in eine Öffentlichkeit hinein. Sie hat keine Scheu davor, ganz im Gegenteil, sie ist ganz bewusst eine politische Denkerin, die im öffentlichen Raum agiert, und für sie ist diese Form der Öffentlichkeit ganz zentral", erklärt Museumschef Raphael Gross.
Wichtige Debatten des 20. Jahrhunderts
"Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen" – mit diesem Arendt-Zitat ist die Ausstellung überschrieben. Und es ist passend gewählt. Bewusst stellt das Museum nicht Biografie oder ihre politische Theorie in den Vordergrund, sondern es blickt mit Hannah Arendts Augen auf die wichtigen politischen Ereignisse und Debatten des 20. Jahrhunderts.
Und kaum ein Thema, zu dem sie sich nicht äußerte – etwa über die Geschichtsvergessenheit und Verdrängung im Wirtschaftswunderdeutschland:
"Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern, dann begreift man, dass die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist", schrieb sie 1950.
Geschrieben und geurteilt hat sie über den Eichmann-Prozess, den Ungarn-Aufstand, Rolf Hochhuths "Stellvertreter", die politischen Protestbewegungen der 68er, Feminismus, oder Rassentrennung in den Vereinigten Staaten. Einflussreich war sie immer, unwidersprochen selten.
Mal geirrt, mal verrannt
"Oft haben schon Zeitgenossen, etwa aus meiner Sicht in Bezug auf dieses Banalität des Bösen-Themas, berechtigterweise gesagt, dass man damit eigentlich das Phänomen gerade nicht trifft. Weil etwa Eichmann oder viele der Täter, auch viele der befreundeten Philosophen von Arendt, waren durchaus nicht banal, sondern sie waren überzeugte Nationalsozialisten", so Gross.
Dabei hat sie durchaus auch mal geirrt und sich manchmal auch verrannt – etwa, als sie während der Little-Rock-Debatte um die ersten gemischtrassigen Schulen in den USA die Position einnahm, auch Diskriminierung sei ein Recht, wenn sie auf die Gesellschaft beschränkt bleibe, und nicht vom Staat ausgeübt werde.
"Das war mal eine Debatte, wo sie in die Falle ihrer eigenen Theorie gegangen ist. Das ist ja etwas, was sie sonst Intellektuellen vorwirft, dass sie dazu tendieren. Da finde ich, wird das Kontroverse von Arendt besonders gut zu greifen und es macht auch Spaß, ihren Argumenten, die natürlich auch Gewicht haben, hinterherzudenken", erklärt Kuratorin Monika Boll.
Zu den Filmdokumenten, Fernsehinterviews, Sitznischen mit Hörstationen, kommen Briefwechsel, Fotografien, Notizbücher, und auch persönliche Gegenstände, die das öffentliche Bild Hannah Arendts geprägt haben - wie das Zigarettenetui der Dauerraucherin und ihre berühmte schwarze Handtasche.
Die private Hannah Arendt
Im letzten Raum schließlich wird es noch einmal privat. Hier wird die kleine Minox-Kamera gezeigt, die sich Arendt in den 60er Jahren zugelegt hatte – eine Schenkung ihrer Großnichte Edna Brocke an das Museum extra für diese Ausstellung.
Darauf fanden sich überraschend vor allem Porträts, die Arendt von ihren Freundinnen und Freunden gemacht hatte. Freundschaft war für sie zeitlebens wichtig - auch als Netzwerk noch aus der Zeit von Flucht und Exil.
"Zum Beispiel zwei Männer, die sehr wichtig in ihrem Leben waren, neben ihrem zweiten Ehemann Heinrich Blücher, waren Karl Jaspers, ihr Doktorvater, und ihr ehemaliger Lehrer und Geliebter Martin Heidegger. Und da sieht man, dass sie richtige Fotoserien von denen gemacht hat, so richtige Sessions, und von denen sieht man da auch einige", so Boll.
So wendet die Ausstellung am Ende noch einmal den Blick Arendts auf ihre Freundinnen und Freunde, wie sie selber sie sah. Hannah Arendts politisches Denken, das zeigt diese Schau eindrücklich, ließ sich nie in eine Schule oder eine Partei einordnen. Doch ihre Urteile blieben bis heute prägend.