Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein.
Mit einem Nachwort von Thomas Meyer. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andreas Wirthensohn
DTV, München 2018
61 Seiten, 8.- EUR
Ihre Freiheit kennt weder Not noch Furcht
Vor mehr als 50 Jahren schrieb Hannah Arendt über Freiheit, Befreiung und Revolution. Danach gab es noch viele Revolutionen, viele davon scheiterten. Doch auch dann, so die Philosophin in der Schrift aus dem Nachlass, bleibe die Sehnsucht nach Freiheit.
Es ist schwer zu entscheiden, so formuliert es Hannah Arendt in ihrem im Nachlass gefundenen Essay "Die Freiheit, frei zu sein", "wo der Wunsch nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen beginnt."
Der 1967 fertiggestellte Text der 1906 in Hannover geborenen Philosophin ist im vergangenen Jahr zunächst im amerikanischen Original online erschienen, jetzt liegt er erstmals in deutscher Übersetzung vor.
Freiheit und Revolution
Das Nachdenken über Freiheit war für Arendt mehr als eine akademische Herausforderung. Denn "die Ideen von Freiheit und Revolution und ihre grausamen Missbräuche", so formuliert es Thomas Meyer in seinem instruktiven Nachwort, besaßen für die deutsche Jüdin stets auch eine Bedeutung in existentieller Hinsicht.
Arendt verhandelt den Freiheitsbegriff sowohl in einem realpolitischen als auch in einem konkret historischen Kontext, wenn sie nach der Bedeutung und dem Verlauf von Revolutionen am Beispiel der Französischen und der Amerikanischen Revolution fragt.
Dem Essay – der im Umfeld ihres Buches "Über die Revolution" entstanden ist (1965 in deutscher Fassung erschienen) – liegt als Ausgangspunkt die damals aktuelle These zugrunde, dass sich der Wettstreit zwischen den beiden politischen Systemen nicht durch Kriege lösen ließe. Vielmehr würde von entscheidender Bedeutung sein, welche Seite besser begreife, was Revolutionen sind und was bei revolutionären Umbrüchen stets auf dem Spiel stünde.
Der Unterschied zwischen Freiheit und Befreiung
Arendt leitet den im Zentrum ihres Essays stehenden Freiheitsbegriff aus ihren Überlegungen zur Revolutionsidee her, wobei sie zwischen Freiheit und Befreiung unterscheidet. In der Befreiung aus Unterdrückungsverhältnissen erkennt sie die wesentliche Voraussetzung, um wirklich frei sein zu können.
Freiheit – wie sie von Arendt verstanden wird – kennt weder Not noch Furcht. Doch wirklich frei ist für die stets in politischen Kategorien denkende Arendt erst, wer als Gleicher unter Gleichen am öffentlichen politischen Leben teilnehmen kann.
Arendts kleine, erhellend zu lesende Schrift, die vor mehr als fünfzig Jahren geschrieben wurde, ist von erstaunlicher Aktualität. Damals kritisierte sie in ihrem Essay die amerikanische Außenpolitik, weil man nach dem Vorfall in der Schweinebucht (Kuba-Krise) keine Ahnung hatte, wie eine revolutionäre Situation einzuschätzen sei.
Nach Revolutionen bleibt die Sehnsucht nach Freiheit
In den folgenden Jahren haben sich zahllose Revolutionen ereignet, von denen viele als gescheitert angesehen werden müssen. Doch selbst wenn Revolutionen in der Tyrannei enden, geht etwas nicht verloren. Es erhält sich die Sehnsucht nach Freiheit und die Überzeugung, dass erst ein Leben ohne Not und Furcht ein wirkliches freies Leben ist. Dieses Wissen, darauf verweist Arendt, indem sie Kant zitiert, "vergißt sich nicht mehr."