Hannah-Arendt-Texte in Mode

Die Denkerin des Nicht-Harmonischen

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Eine Portrait Zeichnung von Hannah Arendt.
Der Mensch entstehe mit jeder Geburt neu, schrieb Hannah Arendt. Sie selbst und ihre Werke werden alle Jahre wieder neu entdeckt. © imago / Alessandro Lonati / Leemage
Catherine Newmark im Gespräch mit Frank Meyer |
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Texte von Hannah Arendt sind wieder populär. Die Gesamtausgabe sei deswegen überfällig, findet unsere Redakteurin Catherine Newmark, und erklärt, was Arendt lesenswert macht.
Eine Welle von Veröffentlichungen der Philosophin Hannah Arendt erreicht gerade den Buchmarkt. Von einem Hannah-Arendt-Hype würde sie aber dennoch nicht sprechen, sagt Redakteurin Catherine Newmark im Deutschlandfunk Kultur. Es sei mehr ein "Arendt-Moment". Aber die seit Anfang des Jahres erscheinende Gesamtausgabe sei längst überfällig gewesen, schließlich sei Arendt die einzige große Denkerin ihrer Generation, von der eine solche Ausgabe gefehlt habe, so Newmark.
Veröffentlichungswellen ihrer Texte habe es aber schon häufiger gegeben, etwa 1964, nachdem ihr Buch "Eichmann in Jerusalem" erschienen und in Deutschland noch einmal neu über Formen des Bösen und die Zeit des Nationalsozialismus nachgedacht worden sei.

Konjunktur in politisch bewegten Zeiten

Nach 1989 habe es erneut Interesse an der Denkerin gegeben, was die Vermutung nahelege, dass Hannah Arendts Bücher besonders in politisch bewegten Zeiten Konjunktur habe. Und 2015 mit der Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland sei ihr Essay "Wir Flüchtlinge" wieder vermehrt gelesen worden. Dies markiere den Beginn der aktuellen Welle.
Hannah Arendts Bücher erfreuten sich einer anhaltenden Beliebtheit und auch als Person sei sie interessant. "Sie ist einfach eine ganz coole Denkerin mit Zigarette, eine deutsche Jüdin, die international unterwegs ist", sagt Newmark. Das ungebrochene Interesse an ihr liege aber auch daran, dass sie immer wieder die Möglichkeiten des Handelns betone, so Newmark. Bei ihr sei nichts alternativlos. Man komme nie an den Punkt der Resignation.

Der Mensch ist nicht nur, er wird geboren

Arendt sei keine feministische Philosophin, sie habe sich nicht einmal als Philosophin, sondern als "politische Theoretikerin" verstanden. Ein zentraler Begriff sei bei ihr die Gebürtigkeit. "Sie hat darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass der Mensch nicht einfach nur ist, sondern geboren wird", sagt Newmark und betont, dass dieses Element in der Philosophiegeschichte nur ganz selten zum Thema wird. Mit jeder Geburt käme ein neuer Mensch auf die Welt, der etwas verändern könne.
Ganz konkret sei das an ihren politischen Schriften zu sehen. Arendt habe intensiv darüber nachgedacht, wie wir als Bürger Verantwortung für das Allgemeinwesen übernehmen. Und gerade heute in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung seien ihre Gedanken interessant, weil Arendt schreibt, dass Politik im Streit und im Konflikt entstehe. "Sie ist auch die Denkerin des Nicht-Harmonischen", sagt Newmark, und das mache sie heute so interessant.
(nis)

Bereits erschienen:
Hannah Arendt: "The Modern Challenge to Tradition: Fragmente eines Buchs"
in: Barbara Hahn und James McFarland (Hrsg.): "Kritische Gesamtausgabe / Complete Works, Critical Edition", Band 6
Wallstein Verlag, Göttingen 2018
924 Seiten, 49,00 Euro

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