Cornelia Schleime: "Ein Wimpernschlag"
Ausstellung in der Berlinischen Galerie
25.11.2016 - 24.4.2017
Von Froschfrauen und Käfermännern
Die poetischen und surrealen Bilder der Malerin Cornelia Schleime sind in der Berlinischen Galerie in der Hauptstadt zu sehen. Die 63-Jährige wurde mit dem Hannah-Höch-Preis für ihr Lebenswerk geehrt. In der DDR wurde sie bespitzelt und mit Ausstellungsverbot belegt.
Den Blick in die Ferne schweifend, schaut ein blondes Mädchen durch ein offenes Fenster hinaus ins Freie. Sonnenlicht fällt in den dunklen Raum hinein und lässt ihr weißes Sommerkleid leuchten. Genauso wie das Weiß im Gefieder der Möwen, die nah am Fenster vorbeifliegen – so nah, dass es scheint, als würden manche von ihnen im Zimmer umherfliegen, grenzenlos zwischen drin und draußen unterwegs. Eine surreale Szenerie, die den Moment festhält, in dem Wirklichkeit zum Traum wird. Ein Moment, vielleicht einen Wimpernschlag lang, wie der Titel des Gemäldes es poetisch benennt:
"Die Motivation kommt ja oft aus dieser Traumphase, wo sich ja Dinge auf irrationale Weise… man weiß es ja, wenn man sich mal hinlegt, für eine halbe Stunde, dass es da Verknüpfungen gibt, die manchmal düster und Albtraumhaft aber auch ganz beflügelnd sein können. Ich glaube, aus dieser Kraft des Unterbewussten, das ist mein eigentlicher Motor. Manchmal denke ich auch, die Malerei, das ist mein eigener Stummfilm. Ich bin auch eine Figur in diesem Film, die nicht reden muß. Ich beginne ein Bild, ich höre irgendwann auf und das ist meine Entscheidung. Niemand quatscht mir rein, niemand instrumentalisiert mich. Und das ist eigentlich da, wo ich glücklich bin."
So schöpft Schleime gern aus den Eindrücken, die sie auf ihren zahlreichen Reisen gewonnen hat und aus dem Reich der Fantasie. Sie malt etwa ein hasenköpfiges Mädchen im knallroten Kleid vor einem dichten Wald als merkwürdige Mixtur aus Alice und dem weißen Kaninchen, dem die Protagonistin aus Lewis Carrolls Geschichte ins Wunderland folgt.
Ein anderes Portrait zeigt unter dem Titel "Eisvögelin" eine junge Frau, aus deren golden schimmernden Kragen sich der Vogel zum Flug aufschwingt. In zarten Aquarellen begegnen dem Betrachter dann schräge Mutationen wie Froschfrauen und Käfermänner. Das Ganze wirkt eher bezaubernd als verstörend, denn Cornelia Schleime scheut sich nicht, dem schönen Schein zu frönen:
"Es spielt mit der Oberfläche. Es ist ja so wie: eine hübsche Puppe ist nicht hübsch. Ne Frau findet man schön und interessant, wo da plötzlich eine Falte ist, die da nicht hingehört. Ich spiele mit der Oberfläche und der Vergänglichkeit. Aber die Oberfläche ist ja bei mir sehr schrundig. Wenn ich in die Malerei gehe, brauche ich auch dick die Farbe. Und dann mache ich einen Cut und gehe ins Aquarell und das muß ganz leicht von der Hand gehen. In diesen zwei Polen bewege ich mich: dieses eher schrundige in der Malerei, wo ich mit Schönheitsklischees spiele, aber alles wirkt ein wenig angefressen. Aber bin ich ja selbst auch, ich bin ja auch oft ein wenig angefressen, von da her hat ja vieles auch mit mir zu tun."
Das hat zu tun mit ihr und mit ihrer Leidenschaft für die Malerei, mit der sie schon als Mädchen eigene Welten erschuf. Und auch mit Cornelia Schleimes bewegter deutsch-deutscher Biografie. So zeigt man in der Berlinischen Galerie ihre mit fotografischen Inszenierungen ironisch kommentierten Stasiakten, eine Verarbeitung des Verrats, den Sascha Anderson als enger Vertrauter beging, indem er die Künstlerin jahrelang bespitzelte.
Statt einer Ausstellung der eigene Körper als Leinwand
Dazu kommen Fotos aus Schleimes Studienzeit an der Dresdner Kunsthochschule, als sie, Anfang der 80er mit Ausstellungsverbot belegt, statt der Leinwand ihren Körper bemalte. Auf der Suche nach Wegen jenseits der offiziellen Kunstdoktrin entstanden auch experimentelle Super 8 Filme. Sie gehören zu den wenigen Arbeiten, die Cornelia Schleime mitnehmen konnte, als 1984 von einen Tag auf den anderen die immer wieder beantragte Ausreise genehmigt wurde. Der Rest ihres Frühwerks ging fast vollständig verloren. Dennoch ist die Schau retrospektiv angelegt. Zumal die Berlinische Galerie aus eigenen Sammlungsbeständen schöpfen kann. Gegen den Trend zum Konzeptionellen kaufte ihr Gründer Eberhard Roters in den 1980er Jahren einige Gemälde an.
"Sie ist eine eigenwillige Künstlerin. Und eine interessante Künstlerin von ihrer Malerei her. Weil sie eine Vollblutmalerin ist. Wenn man sich ihre Bilder anschaut, die sind malerisch unglaublich differenziert und sehr spannend angelegt und technisch interessant. Sie arbeitet ja immer mit den großen eingängigen Motiven und da legt sie diese Farblandschaft drunter, die auch so einen Abstraktionsgrad mit sich bringt, den man erst auf den zweiten Blick entdeckt", sagt Kuratorin Stefanie Heckmann.
So ist Cornelia Schleimes Kunst tatsächlich auf den ersten Blick eher gefällig denn aufwühlend. Ihre Motive sind fantasievoll, aber kaum revolutionär. Und doch: Entlang der vermeintlich ästhetisch glatten Oberfläche gelingt es ihr, eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Eine Atmosphäre, die jedes Bild auf neue Weise faszinierend und die diese Retrospektive anläßlich des Hannah-Höch-Preises absolut sehenswert macht.