Hanno Rauterberg: Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine
Suhrkamp, Berlin 2021
195 Seiten, 16 Euro
Sind Maschinen kreativ?
06:39 Minuten
Künstliche Intelligenz kann auch Kunstwerke erschaffen. Trotzdem wird sie nicht einem menschlichen Künstler ebenbürtig sein, glaubt der Kunstkritiker Hanno Rauterberg. Aber ihr Einsatz stellt unsere Kunstkriterien infrage.
Ein schwarz gekleideter Mann mit verwischten Gesichtszügen. Das unscheinbare "Porträt von Edmond de Belamy", welches das Auktionshaus Christie‘s 2018 für 400.000 Euro versteigerte, hatte es in sich. Es sah aus wie ein Werk aus dem 19. Jahrhundert. Geschaffen hatte es jedoch ein Algorithmus.
Aus 15.000 Porträts, die das Künstlerkollektiv "Obvious" in ein Computerprogramm eingespeist hatte, generierte dieses eine Folge von Bildern. Statt einer Künstlersignatur prangte in der rechten unteren Ecke des Werks eine komplizierte mathematische Formel.
Kann künstliche Intelligenz wirklich Kunst?
Künstliche Intelligenz (KI), das zeigt Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der Wochenzeitung "Die Zeit" in seinem jüngsten Buch, ist heute zu Erstaunlichem imstande. Sie kann Bilder wie Munch malen, die Gemälde von Rembrandt täuschend echt kopieren oder Beethovens nie fertig gewordene 10. Symphonie vollenden.
Angst davor, dass sie dem Menschen ebenbürtig werden, hat der Journalist dennoch nicht. Die Alarmisten verweist er auf die Künstler, die sich selbst immer wieder als "Maschinisten" (George Grosz) imaginierten, weil sie sich dadurch die Befreiung vom Mythos des Künstlers als Genie erhofften.
Trotz immer wahnwitzigerer Rechentechniken und Anzeichen von "schwacher Kreativität" besitzen die Programme für Rauterberg aber keine soziale Intelligenz oder Urteilskraft. Und ihnen fehlen weitere wesentliche Kennzeichen der menschlichen Intelligenz: Neugier und die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Die Auflösung im Digitalen
Die eigentliche Gefahr sieht Rauterberg darin, dass KI einen fundamentalen Strukturwandel der Öffentlichkeit bewirkt. Indem sich in dem Malstrom des Digitalen Kategorien wie Original, Autonomie, freier Wille und Authentizität auflösten, sieht er eine "Gesellschaft ohne Dualitäten" heraufdämmern.
Insbesondere durch die Immersion, die die Körperlichkeit der Kunst zum Verschwinden bringe und auf unmittelbares Erleben im entgrenzten Raum setze, sieht Rauterberg das Prinzip der "kritischen Resonanz" durch das "kybernetische Prinzip der Zirkularität" abgelöst. Sinnbild dafür sei der "absolutistische Ring" des gläsernen Apple-Hauptquartiers im kalifornischen Cupertino.
Rauterbergs Buch ist mehr als nur ein informatives Sachbuch über einen neuen Trend. Wenn er als Impetus hinter der KI den "Traum vom anderen Menschen" ausmacht, der auf einen "digitalen Pantheismus" ziele, in dem Natur und Technik in einer "dritten Natur" verschmelzen.
Wenn er die digitalisierte Kunst als "doppelt unwirkliche Wirklichkeit" definiert, weitet sich sein glänzend geschriebener Essay auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion zu einer Philosophie des Digitalen.
Kritik am Überwachungskapitalismus
Der Band kommt auch zur rechten Zeit. Denn gegen die von Rauterberg beschriebene "globale Umformatierung" wirken die zyklisch beschworenen Gefahren für die Kunst – Kunstdiebstahl, die Macht des großen Geldes oder der autoritären Institutionen – wie Kinkerlitzchen.
In seinem 2018 erschienenen Essay "Wie frei ist die Kunst" hatte sich Rauterberg noch aufseiten der Gegner dessen positioniert, was zu Unrecht als "Cancel Culture" geschmäht wird. In seinem neuen Band zeigt er sich als Kritiker des "Überwachungskapitalismus".
So beklemmend sein Szenario womöglich wirken mag: Dass die kritische Kraft der Kunst im System der neuen Einvernehmlichkeit obsolet werden könnte, fürchtet der Autor nicht.
Zu Recht sieht er ihr Zukunftspotenzial in der "Offenheit des Indeterminierten" gegen die "schließende Macht der künstlichen Intelligenz"; darin, dass sie an Verletzlichkeit und Unzulänglichkeit erinnert.