Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus
Suhrkamp, 2018, 145 Seiten, 14 Euro
Wie die Konsensgesellschaft Kunst kaputt macht
Vorbei scheinen die Zeiten, in denen das linksliberale Milieu für die Freiheit der Kunst auf die Barrikaden ging. Hanno Rauterberg analysiert in seinem Essay, wie politische Korrektheit diese Freiheit zerstört. Es hätte ruhig noch etwas schärfer ausfallen dürfen.
Dürfen weiße Künstlerinnen das Leid von Schwarzen thematisieren? Soll ein Kunstwerk für die Verfehlungen des Künstlers büßen? Müssen Museen ihre Besucher vor den Zumutungen der Kunst beschützen?
"Wie frei ist die Kunst?" ist eine große Frage in gegenwärtigen Kulturkämpfen. Sie ist zugleich der Titel eines Essays von Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der "Zeit", in dem es um die Politisierung der Kunst in der Digitalmoderne geht.
Auf 145 Seiten lässt Rauterberg die Streitfälle noch einmal Revue passieren, die in den letzten Jahren die Kunstwelt in Atem gehalten haben: von der Ausstellung eines erotisch tendenziösen Balthus-Gemäldes über die - vor allem in den USA - heftig diskutierte Frage der "Cultural Appropriation" bis zum übermalten Gomringer-Gedicht in Berlin.
Politisierung der Kunst
Wie Rauterberg in seiner Einleitung schreibt, möchte er "Hintergründe ausleuchten", "Motive und Mechanismen begreifen" und verstehen, "was die Kunstdebatten über die Welt verraten". Diese reflektierende Haltung prägt den Text.
Daran, dass die neue Politisierung der Kunst auf Kosten ihrer Freiheit geht, lässt Rauterberg keinen Zweifel. Im Internet finden sich "Affektgemeinschaften", eine Demokratisierung der Kunstdebatten, in denen nun auch Laien Gehör finden: Museen müssen jederzeit mit einem Shitstorm der "sich selbst hysterisierenden Öffentlichkeit der Digitalmoderne" rechnen.
Der Trend gehe "weg von der Ästhetik hin zur Ethik": Statt über ästhetische Prinzipien – Form, Komposition, Originalität – drehen sich diese Diskussionen etwa darum, ob ein Werk die Gefühle einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe verletzen könnte.
Rauterberg: "Unter dem Regime der unguten Gefühle soll die Kunst gute Gefühle mobilisieren."
Auch in den Kunstdebatten geht es nicht mehr um Fakten und Argumente, sondern um Gefühle. Hinter diesen Kulturkämpfen sieht Hanno Rauterberg einen gesellschaftlichen Wandel: die Krise des Liberalismus. Just jenes linksliberale Milieu, das früher für die Freiheit der Kunst auf die Barrikaden ging, ist nun bereit, die Freiheit der Kunst dem politischen Anliegen der Gerechtigkeit zu opfern.
Messerscharfe Analyse
In seiner Analyse ist Rauterberg messerscharf, sein kompakter Essay liefert alle wichtigen Argumente zur Verteidigung der Kunstfreiheit. Wenn die "Verträglichkeit" zum einzigen Kriterium werde, ersetze "wohliges Einverstandensein" die Sehnsucht "nach dem ganz Anderen", heißt es etwa. Wo die Kunst ihre Autonomie verliere, gerate sie womöglich "zur bloßen Illustration biografischer Befindlichkeiten". Und das Museum verliere "als Ort der Selbstbefragung und Selbstbefremdung" an Bedeutung.
Diagnosen, die es an Deutlichkeit nicht missen lassen. Doch obwohl Rauterberg unzweifelhaft zu den Verfechtern der Freiheit der Kunst gehört, lässt er sich nicht wirklich zu einer beherzten Verteidigung hinreißen. Statt den neuen Bilderstürmern einen Fehdehandschuh hinzuwerfen, behält er beim Schreiben die Samthandschuhe an.
Und damit ist sein Essay Teil des Problems, das er so luzide beschreibt: Es ist, als wolle auch Rauterberg darauf achten, niemandem zu nahe zu treten, und so schreibt er letztlich an jenen Empfindlichkeiten entlang, die der Kunst ihre Autonomie und damit die Freiheit nehmen.