Erst auf der Flucht, jetzt auf der Bühne
Sie kommen aus Syrien, Guinea oder Afghanistan, jetzt entdecken sie die Welt des Theaters. Mit dem Projekt "Tor zur Freiheit" holt das Schauspiel Hannover jugendliche Flüchtlinge auf die Bühne. Und manche finden hier sogar ein Stück Heimat wieder.
"Mein Name ist Alfa, ich bin 17 Jahre alt und komme aus Guinea."
"Ich heiße Joanna. Ich komme aus Bulgarien."
"Ich heiße Marvan und ich bin 18 Jahre alt. Ich bin aus Syrien, aber Kurde. Jeside. Andere Religion ist das."
Drei Länder. Drei Flüchtlinge. Drei Biografien. Hier finden sie zusammen – im Ballhof, der Spielstätte des jungen Schauspiels Hannover. Diese drei haben sich heute für die Tanzstunde entschieden. Sie folgen Asu, der Choreografin, in einen etwas heruntergekommenen Tanzsaal ohne Spiegel, dafür mit vielen Fenstern.
Turnschuhe und bequeme Klamotten – das trägt auch Asu. Einige Schritte gibt die quirlige kleine Frau vor, dann sind die Jugendlichen dran: Jeder darf sich im Kreis tänzerisch austoben. Alfa und Marvan nehmen das wörtlich, lachen wie Kinder, wenn sich ihre Beine zu Hip Hop-Schritten verknoten. Die junge Bulgarin dagegen zögert.
Asu: "Die haben so was vielleicht vorher noch nie in dieser Form gemacht. Ich versuche wirklich viel von denen selbst mit einzubringen, hier geht's darum, dass man sich, auch wenn man sich sprachlich nicht so gut verständigen kann, anhand der Körpersprache verständigt und gemeinsam etwas auf die Beine bringt. Und jeder lernt von jedem – das ist entscheidend."
Marvan: "Wie gesagt, keine Sprache, das ist nur Tanzen. Bewegung. Man muss mit Gefühl tanzen."
Marvan und seine Familie sind bereits vor vier Jahren aus Syrien geflüchtet. Die anderen Teilnehmer des Projekts – die Iraner, Iraker, die Afrikaner aus Ghana, Togo oder Eritrea – leben dagegen erst seit wenigen Wochen oder Monaten in Deutschland. Die meisten von ihnen allein. Der 17-jährige Achmed aus Afghanistan zum Beispiel.
"Ja, ich komme alleine, ganz alleine mit einem anderen Jungen. Aber meine Familie lebt jetzt in Afghanistan."
Die Jugendlichen lernen alle Bereiche des Schauspielhauses kennen
Ein bisschen Heimat kann Achmed heute wenigstens schnuppern und schmecken: Zwei seiner Landsleute hantieren in der kleinen Theaterküche gerade mit Messern, Kellen und einem riesigen Topf.
Mariam: "Wir kochen ein afghanisches Reisgericht. Da sind ganz viele leckere Sachen drin: Lammfleisch und Rosinen und Mandelstifte und Möhren. Mal gucken, die Jungs kochen ganz fleißig – wird bestimmt lecker."
Mariams Vater ist Iraner, deshalb spricht die ehrenamtliche Helferin perfekt Persisch und kann für den 18-jährigen Küchen-Chef Assad übersetzen. Mit ihrer liebenswerten Art ist sie für die Gruppe unersetzlich geworden.
Kochen ist Teil des Projekts "Tor zur Freiheit". Es war ein Wunsch der jungen Zuwanderer, nicht nur gemeinsam Theater zu spielen, sondern auch den Alltag zu teilen. Schauspiel, Gesang, Tanz, Tontechnik, Bühnenbild, Kostüme – die Jugendlichen lernen alle Bereiche des Schauspielhauses kennen und werden im September vor zahlendem Publikum auf der Bühne stehen. Für die Flüchtlinge ist die Theaterwerkstatt kostenlos und freiwillig. Manchmal finden sich sehr viele von ihnen im Ballhof ein, an anderen Tagen ist es gerade mal eine Hand voll.
"Es gibt halt keine Kontinuität", sagt Anna Horn, die Regisseurin. "Das ist manchmal ein bisschen schwierig, weil man natürlich bei Proben, beim Tanzen, im Theater Sachen oft wiederholen möchte, um dann ein Ergebnis zu haben und hier müssen wir einfach gucken, wie wir auf Ergebnisse kommen, obwohl sie mal da sind und mal nicht da sind und ständig andere Gesichter vor einem stehen."
Auf den Tischen im Foyer des Ballhofs stapeln sich unzählige Bilder von Hannover, aber auch von Ufos und futuristischen Bauten. Die Köpfe der Jugendlichen verschwinden in großen Papp-Kartons – darin kreieren sie ihre Stadt der Zukunft. Voller Konzentration wird geschnippelt und geklebt. So, als wären die Flüchtlinge gar nicht 17, sondern zehn Jahre jünger.
Autobahn-Brücken in schwindelerregender Höhe, eine aerodynamisch geformte Straßenbahn, Menschen, denen die Haare zu Berg stehen – nur das Rathaus scheint sich nicht verändert zu haben.
Zhaki, ein großgewachsener junger Mann aus Afghanistan, war in seiner Heimat lediglich zwei Jahre auf einer Koran-Schule. In Hannover besucht er die Berufsbildende Schule, macht parallel ein Praktikum als Autotechniker, ist im Leichtathletikverein, spielt Fußball. Seine visionäre Stadt verfügt über die modernste Technik. Die privaten Wünsche der jungen Flüchtlinge drehen sich dagegen nicht um schnelle Fahrzeuge und spektakuläre Bauten, sondern sind sehr einfach:
"Deutsch lernen und eine Ausbildung machen, das ist sehr wichtig für mich."
So oft er kann, kommt Zhaki zum Ballhof. Hier hat er neue Freunde gefunden, mit denen er nun an der Zukunft bastelt. Für den Anfang an einer Zukunft aus Pappe und Klebestreifen.