Traurige Klänge gegen das Vietnam-Trauma
Jahrzehnte nach dem Ende des Vietnam-Krieges geht es dem Land wirtschaftlich und kulturell wieder besser. Geblieben sind jedoch Traumata und seelische Schäden. Das zeigt auch die CD "War is a Wound, Peace is a Scar", die sich mit den Folgen für die vietnamesische Musikszene beschäftigt.
"For the Fallen" - für die Gefallenen, so heißt dieses Lied des vietnamesischen Sängers Pham Mong Hai. Es erinnert an die mehr als zwei Millionen Opfer, die der Vietnamkrieg gefordert hat, einer der blutigsten und grausamsten Konflikte des 20. Jahrhunderts.
Kommunisten aus dem Norden des Landes starben genauso wie Antikommunisten aus dem Süden, es traf Frauen genauso wie Männer, Junge wie Alte. Auch heute noch gibt es kaum einen Menschen in Vietnam, der in dieser Zeit keinen Angehörigen verloren hat, der nicht - auf die eine oder andere Art - unter den Spätfolgen des Krieges leidet.
Wie sich dieses Leid in der vietnamesischen Alltagskultur manifestiert, darüber ist bei uns im Westen nur wenig bekannt. Zu wenig, fand der amerikanische Musikethnologe Ian Brennan - und machte sich zusammen mit seiner Ehefrau auf den Weg nach Hanoi, um die Musik der Hanoi Masters aufzunehmen: Einer Gruppe lokaler Folksänger, die sich mit dem traurigen Erbe des Vietnamkriegs auseinandersetzen.
Brennan: "2014 haben wir das erste Mal von den Hanoi Masters gehört. Viele von Ihnen sind Veteranen des Vietnamkriegs, die Zeit ihres Lebens Musik gemacht haben. Da gab es zum Beispiel einen Mann, der schon mit 13 Jahren zwangsrekrutiert wurde, weil er so eine schöne Stimme hatte.
Oder eine Frau, die eigentlich Maschinengewehr-Schützin war an der AK47, die aber immer während der Kämpfe gesungen hat, um die Moral der Soldaten zu stärken und ihnen Trost zu spenden. Die meisten von ihnen arbeiten mittlerweile als Instrumenten- Bauer, aber sie sind nach wie vor verwurzelt in den musikalischen Traditionen ihrer Region."
Traurig, verzweifelt, manchmal geradezu entrückt - so klingt die Musik der Hanoi Masters. Das hat nichts zu tun mit dem südostasiatischen Retorten-Pop, wie er einem sonst auf den Basaren von Hanoi bis Saigon entgegenschallt.
Die Sängerinnen und Sänger der Hanoi Masters beziehen sich in ihrer Musik auf jahrhundertalte Volksmusiktraditionen und sie spielen Instrumente, die auch in Vietnam nur noch selten zu hören sind. Beispielsweise die vietnamesische Zither, eine Art Hackbrett, bei dem man über einen seitlich angebrachten Hebel die Tonhöhen beliebig verändern kann.
Ein US-Label lehnte das Album ab
Brennan: "Die Tremolo–Effekte, die man so erzielen kann, gehen bis ins 9. Jahrhundert zurück. Das gibt diesen Musikern natürlich einen deutlichen Vorsprung gegenüber den Hollywood- Epigonen, die heutzutage die vietnamesische Musikszene dominieren.
Was mich aber noch mehr fasziniert hat, ist die K'ni - ein Instrument mit nur einer Saite, die der Sänger mit den Zähnen festhält und durch die er auch singt. Das klingt so ein bisschen wie ein Theremin, wie Musik aus einer anderen Welt."
Dass sich ausgerechnet ein US- Amerikaner für ihre Musik interessierte, war für die vietnamesischen Musiker kein Problem. Sie waren froh, dass überhaupt mal jemand ihre Lieder aufnimmt, bevor sie in Vergessenheit geraten. Trotzdem waren die Aufnahme-Sessions in Hanoi nicht ganz einfach, erzählt Ian Brennan.
Brennan: "Wir haben die Musik mit mobilen Aufnahmegeräten aufgenommen, so wie wir das eigentlich immer machen. Das Problem dabei war, dass es in Hanoi sehr laut ist: Man hört überall den Straßenlärm, die Motorräder und das ständige Hupen.
Dazu kam noch, dass wir das Album im Juli aufgenommen haben, wo es sehr heiß und sehr feucht ist. Das heißt, wir mussten die Klimaanlagen ständig ein- und ausschalten, damit es den Musikern nicht zu warm wurde und wir trotzdem das Rauschen nicht mit auf dem Band hatten."
Als das Album fertig war, bot Brennan es mehreren US- Labels an. Die aber lehnten dankend ab: Schließlich ist der Vietnamkrieg in den USA ein heikles Thema, auch heute noch, 40 Jahre nach dem Abflug des letzten Helikopters vom Dach der US- Botschaft in Saigon.
"War is a wound, peace is a scar" - der Krieg ist eine Wunde, der Friede eine Narbe - das gilt auch für die US- Amerikaner. Stattdessen ist nun mit glitterbeat ein deutsches Label in die Bresche gesprungen – und Ian Brennan hofft, dass die Botschaft der CD zumindest auf Umwegen doch noch in seine Heimat gelangt.
Brennan: "Natürlich hoffen wir darauf, dass auch in den USA möglichst viele Menschen das Album hören. Bei den Oscar-Nominierungen in diesem Jahr war auch ein Dokumentarfilm über die letzten Tage des Vietnam- Kriegs dabei.
Also es scheint so, als ob das Thema wieder stärker wahrgenommen wird. Und das ist ja auch gut so, in einer Zeit, wo wir schon längst wieder in den nächsten Kriegen stecken, in Afghanistan oder im Irak."