Hans Christoph Buch: "Tunnel über der Spree. Traumpfade der Literatur"
Frankfurter Verlagsanstalt
Frankfurt am Main 2019
251 Seiten, 20 Euro
Fundgrube voller Anekdoten
06:59 Minuten
Zu seinem 75. Geburtstag hat sich Hans Christoph Buch selbst ein Geschenk gemacht: "Tunnel über der Spree" ist gespickt mit Anekdoten, Porträts und Erinnerungen. Es liefert einen Insider-Blick in die deutsche Literaturszene der 60er- und 70er-Jahre.
Hans Christoph Buch war früh dabei: Als 19-Jähriger las er bereits auf dem berüchtigten "elektrischen Stuhl" der Gruppe 47, im Jahr 1963 in Saulgau, und fast gleichzeitig gehörte er zu dem mittlerweile in die Literaturgeschichte eingegangenen Seminar "Prosaschreiben" des neugegründeten Literarischen Colloquiums in Berlin.
Die Umstände seines katapultartigen Einstiegs in die Literarturszene beschreibt Buch nun in einem Porträt- und Erinnerungsband, den er sich selbst zu seinem 75. Geburtstag zum Geschenk macht: Er hatte nämlich unverlangt Manuskripte an den Suhrkamp-Verlag eingesandt, und prompt wählte Martin Walser etwas daraus aus, für eine Anthologie junger Autoren unter dem Titel "Vorzeichen".
Flugs wurde Buch zum Suhrkamp-Autor, Siegfried Unseld köderte ihn mit einem monatlichen Salär von 100 DM, damals ein recht beträchtlicher Betrag in diesem Zusammenhang, und 1966 erschien dort Buchs Debüt "Unerhörte Begebenheiten".
Die Porträts aus diesen ersten Jahren gehören zum Interessantesten dieses mit vielen Anekdoten gespickten Bandes. Martin Walser wird, wohl aus besagten nachvollziehbaren Gründen, recht milde behandelt, ebenso Marcel Reich-Ranicki, der Buch gelegentlich Gedichte für seine "Frankfurter Anthologie" besprechen ließ – drei Beispiele davon (zu Walter Höllerer, Gert Loschütz und Gerd-Peter Eigner) sind im vorliegenden Band wieder abgedruckt.
Grass hat keine Kritik ertragen
Vergleichsweise spitz behandelt Buch Günter Grass, dessen Einfluss und Bedeutung allerdings trotzdem herausgestellt werden: Grass habe sich eigentlich nur mit "subalternen Höflingen" umgeben und habe keine Kritik ertragen. Da wirkt wohl noch ein Generationenkonflikt nach, dessen Höhepunkt ins Jahr 1968 fällt: Buch war mittendrin in dieser Revolte, die zu einem beträchtlichen Teil gerade auch von jüngeren Schriftstellern getragen wurde.
Sehr souverän, zum Teil auch angenehm selbstironisch, aber in der antiautoritären Haltung bis heute unbestechlich, schildert Buch die Atmosphäre dieser Zeit des Aufbruchs.
Hier gibt es lesenswerte Vignetten: Die Skizzen der Freundschaften mit Christoph Meckel, Nicolas Born oder Peter Schneider enthalten viel Zeitkolorit, und die kurz existierende "Assoziation revolutionärer Schriftsteller" ("Arsch") in der Kreuzberger Naunynstraße zerbrach interessanterweise ausgerechnet an ästhetischen Grundsatzdebatten wie "Flaubert oder Zola?".
Subversive Ost-West-Schriftstellertreffen
Im Porträt Klaus Schlesingers wird die Bedeutung der subversiven Ost-West-Schriftstellertreffen Mitte der 70er-Jahre hervorgehoben: In Westberlin kannte man die DDR viel besser als in Westdeutschland, und im Aufeinandertreffen von westlichen 68ern und DDR-Dissidenten taucht schon sehr viel von späteren Konflikten auf.
Buchs Buch (der Name des Autors ist kein Pseudonym!) ist keine durchgeschriebene Autobiographie, an manchen Stellen bricht er ab, wo man eigentlich noch viel mehr und Genaueres wissen möchte. Dennoch ist dieser, lustvoll Fontane zitierender, "Tunnel über der Spree" eine richtige Fundgrube.