Hans Fallada: "Kleiner Mann - was nun?"

Pinneberg und Lämmchen im Original

Von Elke Schlingsog |
Zum ersten Mal erscheint die ungekürzte Originalversion von Hans Falladas Erfolgsroman "Kleiner Mann – was nun?“. Fast ein Viertel des Textes fehlte in bisherigen Ausgaben, politische Äußerungen waren abgeschwächt worden – nun zeigt sich der authentische Fallada.
Es geht um mehr, als einfach nur längst vergessene Bücher in prächtiger Aufmachung neu herauszugegeben. Den Anfang machte vor fünf Jahren der Aufbau Verlag – und das mit einem Buch, das schon mehr als 60 Jahre alt war: "Jeder stirbt für sich allein", geschrieben von Rudolf Diezen, alias Hans Fallada. Das Besondere: Zum ersten Mal hatte der Verlag das Originalmanuskript Falladas veröffentlicht, das wesentlich ausführlicher war und authentischer im Ton als die zuvor im Rowohlt Verlag veröffentlichte Ausgabe.
Nun bringt der Aufbau Verlag auch seinen Erfolgstitel "Kleiner Mann – was nun?" von 1932 neu heraus und scheut dabei keine Superlative: Eine "Sensation" steht auf dem Buchcover – und der "Weltbestseller erstmals so, wie Fallada ihn schrieb".

Der Roman traf 1932 den Nerv der Zeit

Auf jeden Fall ist es großartig, dass das Original jetzt zu haben ist. Nicht nur ein schöner Anlass, den längst vernachlässigten Stoff neu zu lesen, auch der Spaß an der Spurensuche ist inbegriffen: Bei der Lektüre des nunmehr um 100 Seiten längeren Textes beginnt man sofort zu rätseln und zu spekulieren, was neu dazugekommen ist. Als der Roman 1932 erschien, traf der Stoff den Nerv der Zeit: Mitten in der Wirtschaftskrise erzählt Fallada von dem sympathischen jungen Paar Johannes Pinneberg und seiner Frau Emma, genannt Lämmchen, und ihrem Kampf ums nackte finanzielle Überleben. "Dies ist so rührend, so lustig in seiner bitteren Lebenswahrheit, dass ihm der Erfolg nur so zufliegen müsste" schwärmte einst Thomas Mann.
Kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlicht, musste bereits zwei Jahre später eine redigierte Fassung erscheinen, weitere Kürzungen folgten nach dem Krieg in den 50er-Jahren. In seinem kundigen und lesenswerten Nachwort der Neuausgabe gibt der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel einen Überblick, was alles gestrichen wurde. Das waren zum Beispiel die politischen Äußerungen, die in der alten Druckfassung abgeschwächt, manchmal sogar ins Gegenteil verkehrt wurden.
So wurde eine Aussage Johannes Pinnebergs, eine positive Äußerung über Juden so eingekürzt, dass am Ende eine negative Aussage entstand: "Feine Kerls sind das, kann ich dir nur sagen, richtige anständige Kerls." Entfällt dieser eine Satz, erhält die Stelle einen tendenziell antisemitischen Zungenschlag, obwohl im Original genau das Gegenteil intendiert ist.

Details aus der Berliner Subkultur

Aber nicht nur einzelne Sätze fehlten. Fast ein Viertel des Originalmanuskriptes tauchte in der Nachkriegsausgabe nicht mehr auf. Auch die Passage mit Charlie Chaplin fehlte oder ganze Kapitel, wie jenes, das die beiden Helden Lämmchen und Pinneberg in das Berliner Nachleben mit ihren anrüchigen Ballhäusern führt – beschrieben als "richtiger Berliner Bums", mit erotischen Anspielungen und Details aus der Berliner Subkultur. Schon allein für dieses neue Kapitel, über 20 Seiten lang, hat sich die Neuauflage gelohnt.
Er solle "schreiben, wie ihm der Schnabel gewachsen ist", hatte der Verleger Ernst Rowohlt Fallada beim Schreiben geraten. Wie sehr er das beherzigte, erleben wir jetzt in der ungekürzten Originalfassung um so deutlicher: authentisch und hart im Ton, beherzt in den politischen Äußerungen seiner Figuren und schärfer in der Zeichnung seines Zeitportraits des Berliner Submilieu mit allem "Tingeltangel und bums fallera".

Hans Fallada: "Kleiner Mann - was nun?"
Aufbau Verlag, Berlin 2016
448 Seiten, 22,95 Euro

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