"Was uns verbindet, ist größer als das, was uns trennt"
Das "Europäische Haus der Geschichte" wird heute Abend in Brüssel eröffnet. Es geht auf eine Idee des christdemokratischen Europa-Politikers Hans-Gert Pöttering zurück und soll an die Überwindung der Kriege auf dem Kontinent erinnern.
Liane von Billerbeck: Es war eine Idee, die kann man visionär nennen oder tollkühn: Ein Haus der europäischen Geschichte wolle er bauen, das hatte der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering bei seiner Antrittsrede als Präsident des Europäischen Parlaments gesagt am 13. Februar 2007. Zehn Jahre her, die Welt hat sich gedreht, auch die europäische – Brexit sage ich nur. Und wo schon die Gegenwart nicht eben leicht zu bewältigen ist, wie dann die Geschichte? Auf die hat ja jeder auch einen anderen Blick. Immerhin – heute Abend wird das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel eröffnet, sein Haus. Und der Ideengeber, Hans-Gert Pöttering, dessen Herzensangelegenheit es ist, der hat es schon gesehen. Schönen guten Morgen!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Billerbeck!
von Billerbeck: Ein Haus im schönsten Brüsseler Jugendstil – wie war Ihr Rundgang durch das neue Haus der Europäischen Geschichte?
Pöttering: Ich war sehr beeindruckt gestern, die Ausstellung zu sehen, unsere europäische Geschichte mit ihren kulturellen und ideellen Höhepunkten, aber auch mit den Tragödien und den Kriegen und den Konsequenzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg daraus gezogen wurden. Es ist ein Haus geworden, das sich sehen lassen kann und dem ich viele Besucherinnen und Besucher wünsche in den Tagen und Jahren, die vor uns liegen.
von Billerbeck: Nun heißt es Haus der Europäischen Geschichte, nicht Museum – warum?
"Dieses Haus der Europäischen Geschichte ist zukunftsoffen"
Pöttering: Weil es nicht ein klassisches Museum sein soll, sondern dieses Haus der Europäischen Geschichte ist zukunftsoffen. Es soll auch ein Haus sein, in dem die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union und darüber hinaus auch ihre Meinung sagen können. Es gibt also einen ganz bestimmten Raum, in dem die Besucherinnen und Besucher sagen können, wie sie dieses Haus selbst erlebt haben, welche Vorschläge sie machen möchten. Also es ist nicht nur etwas zum Anschauen, sondern es gibt auch Hinweise darauf, wie man vieles korrigieren und auch besser machen kann.
von Billerbeck: Nun ist ja die Darstellung europäischer Geschichte beileibe keine leichte Aufgabe. Mit Geschichte wird auch in Europa nur zu gern nationale Politik gemacht. Wie sind Sie denn diesem Dilemma entkommen?
Pöttering: Es wird sicher auch Diskussionen und auch Kritik geben, dass das eine oder andere nicht hinreichend dargestellt ist. Aber dieses Haus der Europäischen Geschichte stellt die Zusammenhänge her, auch wenn man an die Kriege denkt, den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, welche Katastrophen das hervorgerufen hat in den einzelnen Nationalstaaten, aber auch auf dem europäischen Kontinent insgesamt. Und dass dann durch die Gründerväter Europas, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi, Robert Schumann und andere die Konsequenzen gezogen wurden, dass man aus dieser Spirale der ewigen Kriege heraus muss, aus dem Immer-wieder-Aufrüsten, und dass man Europa zusammenführen muss, versöhnen muss und eine Zusammenarbeit, eine Einigung dieses Kontinents beginnen muss. Das ist das Verbindende, und ich hoffe, dass dies auch erkannt wird, gerade in einer Zeit heute, in der der Nationalismus ja wieder wächst. Es müssen die Proeuropäer, die für Europa sind, die müssen sich jetzt zu Wort melden. Und das Haus der Europäischen Geschichte ist dafür ein Element.
Die Kriege in Europa gehören in den Geschichtsunterricht
von Billerbeck: Genau das wäre meine Frage jetzt: Derzeit spüren wir ja große Fliehkräfte. Die Briten verlassen die Europäische Union, und auch in anderen Staaten gibt es sehr viele sehr laute EU-kritische Stimmen. Lassen sich denn derlei Gegenwartsprobleme mittels Geschichtsblick einfangen?
Pöttering: Das ist unsere große Hoffnung. Natürlich kann das Haus der Europäischen Geschichte dies nicht allein erreichen, sondern wir brauchen auch eine Vermittlung der europäischen Geschichte mit den Kriegen, was die Europäer sich gegenseitig Schlimmes angetan haben, im Geschichtsunterricht in unseren Schulen. Das ist ganz wichtig. Das alles gehört zusammen, und das Haus der Europäischen Geschichte soll ein Mittel sein, hier in die Zukunft zu blicken auf einer besseren Grundlage und indem wir die Lehren aus unserer Geschichte in Europa ziehen. Und die Besucher und Besucherinnen, die ins Europäische Parlament kommen – es sind ja 300.000, 400.000 im Jahr –, die sollen, das ist unsere Empfehlung, sich auch das Haus der Europäischen Geschichte anschauen, wenn sie es denn wollen. Und wir rechnen damit, dass der Besucherzuspruch noch größer wird in den kommenden Jahren, und dann kann ein solches Haus der Europäischen Geschichte sehr viel vermitteln.
von Billerbeck: Sie haben vor zehn Jahren, Herr Pöttering, als Sie das angeregt haben, dieses Haus zu bauen, vermutlich nicht gedacht, dass es so lange dauern wird. Gab es in diesem Jahrzehnt mal einen Moment, wo Sie gedacht haben, ich schmeiße hin?
Pöttering: Ich habe nie den Moment gehabt, dass ich sage, ich schmeiße hin, aber, Frau Billerbeck, Sie haben völlig recht, wenn Sie in Ihrer Frage andeuten, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren. Es war ein wirklich gewaltiger Marathonlauf, und es gab manchmal Situationen, dass ich dachte 'Na, wir schaffen es vielleicht doch nicht'. Aber wir haben es geschafft. Man darf nie die Hoffnung aufgeben. Das Glas ist immer halb voll und nicht halb leer. Wenn man pessimistisch ist, dann ist man schon gescheitert, und deswegen braucht man sehr viel Mut und Entschlossenheit, aber auch die Unterstützung vieler, ein solches Projekt mit zu gestalten. Es war meine Idee, das zu machen, aber ich habe es ja nicht allein verwirklicht. Wir haben ein wunderbares Aufbauteam, das die inhaltliche Gestaltung gemacht hat. Wir haben eine Sachverständigenbeirat, einen wissenschaftlichen Beirat. Und diese vielen, die geholfen haben, sind am Ende auch diejenigen, denen wir dieses Projekt, das ich wirklich für die Zukunft für wichtig halte, dass wir dies verwirklichen konnten.
von Billerbeck: Sie haben ja sehr für dieses Haus der Europäischen Geschichte gekämpft und geworben. So was kostet ja auch. Wie begründet man am Ende solche Ausgaben in Zeiten knapper Kassen und großer Kritik an der Europäischen Union und auch am Parlament?
"Zukunft auf der Grundlage des Friedens, der Freiheit, der Demokratie, des Rechts"
Pöttering: Ja, zunächst einmal muss ich sagen, Frau Billerbeck, dass wir im Finanzrahmen geblieben sind. Es sind also keine zusätzlichen Beträge notwendig geworden. Der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments, das Parlament insgesamt hat ja diese Mittel genehmigt. Unsere gemeinsame Zukunft auf der Grundlage des Friedens, der Freiheit, der Demokratie, des Rechts ist auch eine Basis dafür, dass ein solches Projekt gerechtfertigt ist. Und es ist ganz wichtig, dass wir den Menschen vermitteln, gerade in einer schwierigen Zeit des Populismus, des wieder entstehenden Nationalismus in der Europäischen Union, dass das, was uns verbindet, größer ist als das, was uns trennt, und dass es nicht nur ideell von großer Bedeutung ist, dass wir zusammenbleiben, sondern dass es auch am Ende den Menschen materiell, wirtschaftlich dient. Und das kommt in diesem Haus der Europäischen Geschichte zum Ausdruck. Und ich hoffe, dass die Menschen es auch so verstehen.
von Billerbeck: Der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, heute Vorstandschef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Heute wird sein Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel eingeweiht. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Herr Pöttering, und danke für das Gespräch!
Pöttering: Danke Ihnen sehr, ich danke Ihnen auch, Frau Billerbeck, danke schön!
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