Pegida auf der Couch: Eine konservative APO?
Der Psychiater und Buchautor Hans-Joachim Maaz kritisiert den öffentlichen Umgang mit Pegida. Er sagt: Der Protest der Anhänger sei eine konservative "außerparlamentarische Opposition" aus Ostdeutschland.
Es habe ihn sehr geärgert, dass Pegida von der Öffentlichkeit und insbesondere den Medien von vornherein abgelehnt würde und man nicht versuche zu verstehen, um welche Inhalte es bei diesem Protest geht, sagte Maaz. So drehe er sich schon längst nicht mehr um Islamisierung, sondern um andere Verunsicherungen und Ängste. Diese beträfen vor allem die Menschen in Ostdeutschland, so Maaz: "Es gibt viel Ernüchterung, viel Enttäuschung nach der großen Euphorie der Vereinigung."
Bisher habe sich der Protest gegen die "Verwestlichung" im Osten allerdings noch nicht formulieren können. "Ich denke oft daran, ob es nicht so was Ähnliches ist wie 68 in der Bundesrepublik, also die Studentenrevolte, die sich gegen die autoritären Verhältnisse aus dem Nazireich, diese Elterngeneration, gerichtet hat", sagte Maaz.
Er habe Interviews gehört, in denen Menschen sagten, sie würden von der Politik nicht gehört und nicht verstanden und ihre Sorgen würden nicht ernst genommen. "Und das verstehe ich nun wieder als ein tatsächlich ostdeutsches Problem, wenn man bedenkt, dass alle Ostler im Grunde genommen nach der Wende ja ihr Leben grundsätzlich verändern mussten." Diese Veränderungen hätten sehr viele Menschen überfordert. Hinzu kämen neue Probleme, etwa in der Finanzpolitik.
Das vollständige Interview:
Liane von Billerbeck: Das Glück, in Dresden aufgewachsen zu sein, wie es Erich Kästner, den jeder Dresdner gern zitiert, gesagt hat, das war für einige Bürger der Elbestadt in der letzten Zeit arg getrübt, weil da plötzlich eine vorurteilsbeladene Bewegung Bürger gegen den Islam auf die Straße brachte und eben auch den schönen Canaletto-Blick trübte. Immer wieder haben wir in den letzten Tagen versucht zu verstehen, warum gerade in Dresden so viele Menschen mit diffusen Ängsten demonstrieren gehen. Und wir sind nicht allein, besonders in Dresden selbst machen sich Menschen Sorgen, wenn sie da die Pegida-Losungen lesen, wie diese Dresdnerin in einer öffentlichen Diskussion:
O-Ton Dresdnerin: Rassismus ist eine Realität in Dresden. Ich erfahre das jeden Tag. Und niemand fragt uns: Was wollen wir?
von Billerbeck: Eine Kanadierin diese Woche in einer Diskussion in der Dresdner Frauenkirche. Warum eine Bewegung wie Pegida gerade dort, in Dresden, so viele Leute mobilisiert, darüber will ich jetzt mit Hans-Joachim Maaz sprechen. Er ist Psychotherapeut in Halle und Sie kennen ihn ganz sicher durch seine Bücher: den "Gefühlsstau", so hieß das bekannteste, das war ein Psychogramm der DDR und ihrer Bürger, den er verfasst hat. Hans-Joachim Maaz ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Hans-Joachim Maaz: Guten Morgen!
von Billerbeck: In Dresden gehen tausende Menschen auf die Straße, weil sie eine islamistische Bedrohung fürchten. Warum gerade in Dresden?
Maaz: Auch das ist wirklich für mich schwierig zu erklären. Für mich ist es in erster Linie ein Protest, der aus dem Osten kommt. Ich bin weder Pegida-Anhänger noch vor allen Dingen kein Gegner, kein ... Ich gehöre nicht zu denen, die das demagogisieren wollen. Für mich ist es ein Protest, der konservativ ist, eine außerparlamentarische Opposition. Und wenn ich ... Ich bin ja in der Dresdner Gegend auch aufgewachsen. Ich kenne das sächsische Gemüt, ich weiß auch, dass, ja, so ein großer Unterschied zu den westlichen Lebensformen und Verhalten ist. Also, der Sachse ist weniger arrogant, der ist natürlicher, der ist direkter, geselliger, ohne großes Gewese und Gehabe.
Und der Protest gegen die Verwestlichung, gegen eine westliche Lebensform, letztlich gegen auch kapitalistische Probleme, die ja nach der Wende für viele Ostdeutsche eine große Rolle gespielt haben, der hat sich ja noch nie im Osten formulieren können. Es gibt viel Ernüchterung, viel Enttäuschung nach der großen Euphorie der Vereinigung. Vielleicht, ich denke oft daran, ob es nicht so was Ähnliches ist wie 68 in der Bundesrepublik. Also die Studentenrevolte, die sich gegen die autoritären Verhältnisse aus dem Nazi-Reich, diese Elterngeneration noch gerichtet hat. Ob jetzt ein solcher Protest auch mal kommt, der diese veränderte Lebensform zum Ziel hat, die viele Menschen labilisiert und verunsichert hat.
Also, meiner Beobachtung nach ist ja auch sehr viel zu differenzieren, wer da bei Pegida mitläuft. Das ist schon längst kein Problem mehr gegen Islamisierung, es sind sehr viel andere Verunsicherungen und Ängste. Und das ist wichtig und das hat mich in der letzten Zeit immer sehr geärgert, dass von vornherein da nur eine Ablehnung von der Seite der Medien, aber auch von den Gegendemonstrationen ... dass nicht versucht wird, tiefer zu verstehen, was da eigentlich protestiert wird, um welche Verunsicherung, welche Inhalte es geht.
von Billerbeck: Das Verrückte ist ja nur, Sie habe einerseits von dem sächsischen Gemüt gesprochen, andererseits gesagt, das ist eine ostdeutsche Bewegung, die sich da Bahn bricht. Das Verrückte ist ja nur, dass dann eben gegen den Islam demonstriert wird. Nun haben Sie ja in Ihrem Buch "Der Gefühlsstau", vor über 20 Jahren erschienen, die Mentalität der Ostdeutschen beschrieben. Könnte man sagen, was wir da bei diesen Demonstrationen erleben, das sind die Nachwehen einer enttäuschten Nachwende-Euphorie und Ausdruck dieser gefühlten Bedrohung und Überforderung?
Maaz: Also, ich glaube, man muss auch da schon wieder differenzieren: Es geht nicht gegen den Islam, es geht gegen eine Islamisierung oder es geht gegen islamistische Bedrohung, die es ja auch tatsächlich real gibt. Seit dem 11. September ist in der ganzen Welt ja immer wieder große berechtigte Angst und Sorge, was da alles im Namen des Islam geschieht.
von Billerbeck: Ja, es gab auch Plakate: "Islam gleich Karzinom".
Maaz: Okay, also, ich will das auch nicht verteidigen. Also, ich gehöre zu denen, die versuchen, auch zu verstehen und vor allen Dingen auch berechtigte Befürchtungen oder Themen aufzugreifen. Für mich ist ein Protest, der immer ein Ausdruck ist, ist irgendwas nicht mehr in Ordnung in dieser Gesellschaft. Und ich habe davon gehört und auch Interviews gehört, wo es darum geht, was Menschen sagen: Wir werden von der Politik nicht mehr mitgenommen, wir werden nicht gehört, wir werden nicht verstanden, unsere Sorgen werden nicht ernst genommen.
Und das verstehe ich nun wieder als ein tatsächlich ostdeutsches Problem, wenn man bedenkt, dass alle Ostler im Grunde genommen nach der Wende ja ihr Leben grundsätzlich verändern mussten. Bei vielen auch mit Verlusten an Bedeutung, an Einfluss, an beruflichen Chancen. Also, da ist etwas an Veränderung geschehen, was sehr viele Menschen auch überfordert, verständlicherweise überfordert. Und jetzt gibt es erneut Probleme in unserem Leben, wenn ich nur an die Finanzpolitik denke, an die Euro-Geschichte, was wir gestern wieder gehört haben, ja, bis hin zu den Dingen, wie geht man mit Flüchtlingen um, mit Asylbewerbern um.
Die Politik hat im Grunde genommen versäumt auch, Menschen zu helfen, wie kann die Integration gut gelingen. Also, wenn man Flüchtlinge in, sagen wir mal, kasernenähnlichen Gebäuden unterbringt, dann kann das ja auf Dauer nicht gutgehen. Also, diese ganz individuellen Dinge, die Menschen belasten und verunsichern, die sind versäumt worden. Und das wird im Moment auf die Straße gebracht letztlich, um auch die Politiker zu erinnern, wo da noch Lücken sind der Entscheidung, der Hilfen. Also, ich glaube, das ist ganz wichtig zu verstehen.
von Billerbeck: Es ist also eine Frage einer ostdeutschen Mentalität, die da in diesen Demos spürbar wird?
Maaz: Also ...
von Billerbeck: Wenn das nicht zu platt klingt.
Maaz: Wenn man das so formuliert, ist es immer etwas zu platt. Aber wenn man bedenkt, dass die Prozesse der letzten Jahrzehnte, also seit der Vereinigung und auch die Verhältnisse der DDR, dass das alles noch keinen, sagen wir mal, richtigen Ausdruck, eine innerseelische Verarbeitung hat finden können, dass so viele Veränderung stattgefunden hat, dass es auch verständlich wird, dass Menschen nach Orientierung suchen, nach Halt suchen, die nicht ständig neuen Verunsicherungen ausgesetzt sein wollen, also, das sehe ich durchaus auch für ein positives Bemühen, nicht ständig wieder labilisiert zu werden. Dass man an etwas Halt findet. Und ich weiß, in Sachsen, in Ostdeutschland, ist Gemeinschaft, ist Verbundenheit, ist, ja, soziale Sicherheit, das sind hohe Werte. Davon hat man auch in der DDR gelebt. Und das ist für viele auch verloren gegangen.
von Billerbeck: Der Hallenser Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz war das. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Analyse!
Maaz: Danke, ja, okay.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.