Hans Pleschinski: Am Götterbaum
Verlag C.H. Beck, München 2021
280 Seiten, 23 Euro
Ortstermin in der Villa eines Dichterfürsten
06:51 Minuten
Den Schriftsteller Paul Heyse kennen nur noch Eingeweihte. Dabei gehörte der Wahlmünchner aus Berlin zu den beliebtesten Autoren des 19. Jahrhunderts. Hans Pleschinski setzt dem vergessenen Nobelpreisträger mit einem humoristischen Roman ein Denkmal.
Hans Pleschinski hat sich in den vergangenen Jahren – in "Wiesenstein" und "Königsallee" – mit den Großliteraten Gerhart Hauptmann und Thomas Mann beschäftigt. In seinem neuen Roman "Am Götterbaum" beleuchtet er nun Leben und Werk von Paul Heyse, der 1910 den Nobelpreis für Literatur bekommen hat.
Die Schriften des einstigen Dichterfürsten sind heute weitgehend unbekannt, aus dem Leistungskurs Deutsch ist höchstens noch seine Novellentheorie – abgeleitet von Boccaccios Falken-Novelle – in Erinnerung.
Verwunschene Dichter-Villa
Der Berliner wurde 1854 vom bayerischen König Maximilian II. an die Isar gelockt, wo er neben Novellen Theaterstücke und Gedichte schrieb und die Gesellschaft mit seiner wallenden Haarpracht und seinem schneidigen Auftreten begeisterte. In der repräsentativen "Maxvorstadt" ließ der attraktive Star-Autor sich eine Villa bauen, die zu einem Fixpunkt für die kulturaffinen Münchener wurde.
Um das heute stark vernachlässigte Gebäude, dessen Garten von einem uralten Baum dominiert wird, ist in den vergangenen Jahren ein realer Streit zwischen Denkmalschützern und Immobilienentwicklern entbrannt, den Pleschinski im Roman Buch aufgreift.
Drei Frauen – die fiktive Baustadträtin, die Leiterin des Literaturarchivs und eine mittelerfolgreiche Schriftstellerin – spazieren durch die Münchner Innenstadt zu einem Ortstermin in der Villa Heyse. Sie wollen erkunden, wie man aus dem Haus eine repräsentative literarische Begegnungsstätte nach dem Vorbild des Literarischen Colloquiums in Berlin-Wannsee oder der Villa Massimo in Rom machen könnte.
Heiter-humoristisches Geplauder
Unterwegs trifft das illustre Trio auf einen Heyse-Experten, der zusammen mit seinem aus Hongkong stammenden jugendlichen Ehegatten angereist ist. Zwischen diesen fünf Figuren entspinnt sich ein lockeres Geplauder über das Gestern und Heute, in das immer wieder Zitate Paul Heyses und literaturhistorische Bemerkungen eingestreut werden.
Dieses Szenario soll auf heiter-humoristische Weise die Bedeutung Heyses vor 100 Jahren hervorheben. Das Geplänkel der Spaziergänger entwickelt eine starke Eigendynamik. Manche Dialoge lassen sich den Personen nur mühsam zuordnen, sodass die Lektüre stellenweise nicht ganz so geschmeidig wird.
Heyse-Reminiszenz und satirische Anmerkungen
Pleschinski wollte, so scheint es, bewusst keinen biografisierenden Roman schreiben, sondern das Phänomen Heyse aus der heutigen Perspektive einer Stadt schildern, die nicht so recht weiß, wie sie mit dem einstmals großen Namen und der baulichen Hinterlassenschaft umgehen soll. Die alte Villa wird darin zum Symbol, ganz im Sinne von Heyses Novellen-Theorie.
Trotz zahlreicher Originalpassagen erfährt man letztlich aber erstaunlich wenig über die Schriften und das Leben Paul Heyses. Ein längerer Exkurs nach Italien, wo der Schriftsteller und sein Verleger Adolf von Kröner sich am heiteren Gardasee begegnen, ragt monolithisch aus dem Text hervor, ohne ihn voranzutreiben. Und die satirischen Anmerkungen zu den Wendungen der Münchener Kultur- und Mietenpolitik wirken eher zufällig und reichen nicht aus, um von einem zeitgenössischen München-Roman zu sprechen.
Das Buch wirkt dadurch etwas fragmentarisch und halbherzig. Hans Pleschinski hat schon packendere Romane geschrieben.