Bahnbrecher der Moderne
Hans-Ulrich Wehler gehörte nicht zu denen, die literarisches Talent hatten. Die Lektüre seiner großen Werke – voran seiner 4.900 Seiten umfassenden Deutschen Gesellschaftsgeschichte – ist kein Genuss, sondern anstrengend. Gewinnbringend für den, der sich dieser Anstrengung unterzieht. Aber nichts für ein großes Publikum.
Und doch gilt Hans-Ulrich Wehler, der am vergangenen Wochenende im Alter von 82 Jahren gestorben ist, heute als der einflussreichste deutsche Historiker. Ein erstaunliches Phänomen, wenn man seine mangelnden Erzählqualitäten ansieht – und noch erstaunlicher, wenn man auf seine Karriere als Wissenschaftler schaut.
"Mit Hans-Ulrich Wehlers Tod hat sich ein großes Gelehrtenleben vollendet", schreibt die Tageszeitung "Die Welt", und nennt ihn einen "Bahnbrecher der Moderne". Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung steht "staunend und nachdenklich .. vor dem Werk des großen Historikers". Die einhellige Würdigung auch in der konservativen Presse wäre vor Jahrzehnten, als er in Bielefeld lehrte und die verzopfte Historikerzunft aufmischte, schwer vorstellbar gewesen. An Wehlers Werdegang kann man ablesen, wie sehr sich die Bundesrepublik entwickelt hat. In welcher geistigen Enge sie nach 1949 befangen war. Die Geschichtswissenschaft – das Feld, auf dem er stritt – war symptomatisch für die bundesdeutsche Gesellschaft.