Meinung

Populisten sind erfolgreich, weil sie Gemeinschaft versprechen

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Eine Frau hält auf einer Demonstration ein Plakat in den Händen, auf dem steht: "Die AfD macht keine Politik sondern Populismus."
Das Stiften von Zugehörigkeit, das Bilden von Gemeinden, ist das politische Angebot des Populismus, meint der Soziologe Harald Welzer. © picture alliance / Chromorange / Michael Bihlmayer
Gedanken von Harald Welzer |
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Der Absturz der bürgerlichen Parteien lässt sich durch Entfremdung der Menschen erklären. Dem Populismus gelingt es, das Gefühl von Zugehörigkeit über Gemeinsamkeiten zu stiften. Daten und Fakten rücken für ihre Anhänger deshalb in den Hintergrund.
Warum haben die demokratischen Parteien dem Aufstieg der Populisten, von Ostdeutschland über Frankreich bis in die USA, kaum etwas entgegenzusetzen? Offenbar sind die Politikangebote, mit denen sie irgendwann in ihrer Geschichte mal gut gefahren sind, zu anderen Zeiten für anders strukturierte Bevölkerungen vor dem Hintergrund anderer Aufgaben entworfen worden. Zu dem, was nicht wenige Menschen heute als Defizit empfinden oder als Verlust befürchten, passen sie nicht mehr.
Die klassischen Erklärungen für den Rechtsruck haben sich weitgehend als untauglich erwiesen. Denn es sind ja keineswegs nur „die Abgehängten“, die populistische Parteien wählen, sondern die Zustimmung geht bis weit in die bürgerliche Mitte.

Schwindendes Gefühl von Lebenssicherheit ist zentrales Problem westlicher Demokratien 

Es gibt in den westlichen Demokratien ein zentrales lebensweltliches Problem, das neu ist und ein ganz anderes, als von klassischen Politikfeldern adressiert wird: Die Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger wird nicht nur durch große Krisenereignisse wie die Pandemie, den Ukrainekrieg oder die inzwischen jährlichen Jahrhundertfluten getriggert, sondern durch das schwindende Grundgefühl von Lebenssicherheit.
Denn Menschen, die in einem reichen Land wie Deutschland aufgewachsen sind oder schon lange hier leben, haben den selbstverständlichen Erwartungshorizont, dass ihnen im Leben außer vielleicht einer Krankheit, einem Unfall oder einem anderen schicksalhaften persönlichen Ereignis nichts Schwerwiegendes widerfahren wird.
Sie gingen bislang ganz selbstverständlich davon aus, dass sie weder Spielball von Systembrüchen noch von Kriegen noch von Verfolgung werden und dass ihre Kinder Biographien entwerfen können wie sie selbst. Historische Kontingenzerfahrungen, gar fundamentale individuelle Verarmung oder Vertreibung, kollektives Leiden und Perspektivlosigkeit kennt man hier kaum noch.

Wirtschaft ankurbeln, Konsum steigern: Was früher geholfen hat, funktioniert nicht mehr

Aber die sich an vielen Stellen zeigende Dysfunktionalität, in Gestalt kaputter Infrastrukturen und blockierter Handlungsvollzüge, erschüttert zusammen mit Dingen wie dem tiefgehenden Strukturwandel und auch der Möglichkeit eines kommenden Krieges die psychosoziale Grundsicherheit, auf deren ewigen Besitz man doch ein selbstverständliches Recht zu haben glaubte.
Wenn ältere Leute heute sagen, „ich bin zum ersten Mal froh, dass ich schon so alt bin“, dann spricht das eine Wahrheit über den Verlust von für gewiss gehaltener Lebenssicherheit aus. Und die Verunsicherung betrifft ja nicht nur die je eigenen Leben, sondern besonders auch die der eigenen Kinder und Enkel. Die Versicherung von Seiten der Politik, man habe schon alles im Griff, wirkt nicht, wenn offenbar ist, dass außer dem, was früher mal geholfen hat – Wirtschaft ankurbeln, Konsum steigern – nichts im politischen Angebot ist, was Aussicht auf eine nachhaltige Wiederherstellung alter Sicherheiten liefern würde.

Das Gefühl von Zugehörigkeit ist mächtiger als rationale Argumente

Es ist dieses zweifelhaft gewordene Glücksversprechen, das Menschen zunehmend von der etablierten Politik und übrigens auch von den etablierten Medien entfremdet und andere Heimaten suchen lässt, in denen sie sich aufgehoben und zugehörig fühlen können. Es herrscht so etwas wie politische Heimatlosigkeit. Und ein verbreitetes Gefühl von Heimatlosigkeit, darauf hat schon Hannah Arendt hingewiesen, ist die eigentliche Erfolgsvoraussetzung für rechtspopulistische und faschistische Parteien. Weil dieses Gefühl nicht durch Daten, Fakten und Belehrungen verschwindet, sondern nur durch Zugehörigkeit.
Das Stiften von Zugehörigkeit, das Bilden von Gemeinden, ist das politische Angebot des Populismus. Dessen Anhänger können den Programmen ihrer Heldinnen und Helden gegenüber durchaus kritisch eingestellt sein, folgen ihnen aber, weil sie damit Teil einer Gruppe sein können, mit der sie gemeinsam für und gegen dieselben Dinge sind.
Zugehörigkeit ist ein sozialer Wert an sich, der viel wirkmächtiger ist als rationale Argumente oder Diagramme voller Zahlen. Das ist die eigentliche Chance der Populisten. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die demokratische Politik das schlafwandelnd übersieht.

Der Soziologe und Bestsellerautor Harald Welzer ist Mitbegründer und Direktor der Stiftung Futurzwei und Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg.

Harald Welzer, ein älterer Mann mit Brille, sitzt vor einem Studiomikrofon und guckt in die Kamera.
© Deutschlandradio / Tarik Ahmia
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