Harald Welzer ist Direktor von "Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit" und Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg.
"Das ist gute alte obrigkeitsstaatliche Haltung"
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Anderswo werden bereits Lockerungen der Alltagsbeschränkungen angekündigt. In Deutschland verweigert die Regierung sogar den Exit-Diskurs. Damit die Menschen nicht übermütig werden, vermutet Harald Welzer. Doch die seien in der Krise erstaunlich rational.
Stellt euch vor, es ist Krise und alle bleiben cool. Etwas Derartiges erleben wir derzeit in Deutschland, wo große Teile des öffentlichen Lebens coronabedingt stillstehen.
Der Sozialpsychologe Harald Welzer jedenfalls lobt die Gelassenheit und Disziplin, mit denen die Deutschen die Veränderungen ihres Alltags hinnehmen. Wo ist die Hysterie geblieben, die noch vor Kurzem den öffentlichen Diskurs beherrschte?
"Diese ganze Dauererregung über: Der Staat funktioniert nicht, und Kontrollverlust und gespaltene Gesellschaft. Damit werden wir jetzt nicht behelligt, und insofern würde ich sagen, das ist schon ein erstaunlich rationaler, abgewogener Umgang", so Welzer.
Dass wir derzeit gewissermaßen in der Gegenwart gefangen sind und nicht wissen, wie es weitergeht, ist dem Sozialpsychologen zufolge allerdings schwer auszuhalten. "Man kann gar keine Erwartungen bilden, das ist psychologisch schwierig."
Die Weigerung der Bundesregierung, mögliche Exitstrategien aus dem Shutdown auch nur zu diskutieren, interpretiert Welzer als Ausdruck der "guten alten obrigkeitsstaatlichen Haltung in Deutschland", wie er sagt. "Man sagt jetzt erstmal den Untertanen nicht, was man vielleicht sich überlegt hat, damit die nicht übermütig werden. So eine Art von Volkspsychologie liegt dem, glaube ich, gerade zugrunde."
Ist der Boom der Kreuzfahrtindustrie vorbei?
Inwieweit die Coronakrise die Gesellschaft nachhaltig verändern wird, ist derzeit schwer einzuschätzen, so Welzer weiter. Vermutlich werde es im Alltag deutliche Veränderungen geben, etwa dass das Tragen eines Mundschutzes normaler werde. Möglich seien auch Veränderungen im Tourismus. "Also, ich könnte mir vorstellen, dass der Boom der Kreuzfahrtindustrie vorbei ist, weil man das nicht attraktiv findet, sozusagen eingeschlossen zu sein mit so vielen anderen Menschen."
Wenig Hoffnungen macht der Sozialpsychologe allerdings denen, die jetzt davon träumen, dass infolge von Corona der Klimaschutz einen Durchbruch erleben wird: Die zarten Pflänzchen oder Blütenträume, wie die Ökos sie jetzt hegten, würden sich ziemlich schnell in Luft auflösen, vermutet Welzer. Es könne sogar dazu kommen, dass man nach der Krise sage: "Naja, das mit dem Klimawandel müssen wir jetzt erstmal nach hinten stellen. Jetzt kommt es darauf an, die Autoindustrie wieder zum Laufen zu bringen und so weiter."
Gegen große Veränderungen spricht Welzer zufolge auch das "ganz starke Beharrungsvermögen", das Gesellschaften eigen ist. "Das setzt man nicht außer Kraft durch eine Ausnahmesituation von acht Wochen."
(uko)