Hardy Ostry: Libyscher Übergangsrat noch nicht repräsentativ

Hardy Ostry im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Damit Libyen sich in einem demokratischen Sinne entwickeln könne, müsse der Übergangsrat zunächst Ziele formulieren, sagt der Teamleiter Afrika und Naher Osten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hardy Ostry. Er sieht keine große Gefahr durch Islamisten.
Jan-Christoph Kitzler: Die Schlacht ist noch nicht ganz geschlagen, aber sie ist wohl entschieden: In Libyen ist zurzeit zwar noch nicht ganz klar, wie viel Kontrolle die Aufständischen haben, aber das Hauptquartier von Muammar al-Gaddafi in Tripolis ist eingenommen, seine Truppen scheinen in Auflösung. Aber auch, wenn das alte Regime in Libyen noch letzten Widerstand leistet, propagandistisch und mit Waffen: Es ist schon an der Zeit, an die Zukunft des Landes zu denken. Wie geht es weiter mit Libyen nach Gaddafi? Darüber spreche ich jetzt mit Hardy Ostry, er ist Teamleiter für Afrika und den Nahen Osten in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Schönen guten Morgen, Herr Ostry!

Hardy Ostry: Guten Morgen!

Kitzler: Die Lage in Libyen ist ja immer noch ziemlich unübersichtlich um nicht zu sagen chaotisch. Kann man denn in so einer Situation anfangen schon, ein Land aufzubauen, oder geht das erst, wenn die Kämpfe ganz vorbei sind?

Ostry: Na, ich denke in der Tat, es ist im Moment ein bisschen verfrüht, schon über konkrete Schritte darüber nachzudenken, wie man das Land aufbauen kann. Der Eroberung des Lagers von Gaddafi ist sicherlich mehr als eine symbolische Bedeutung, die dem zukommt. Nichts desto trotz wird man sich in Europa, in den USA sicherlich bereits erste Gedanken darüber machen, was man überhaupt tun kann. Entscheidend ist sicherlich, dass der nationale Übergangsrat zunächst einmal versuchen muss und wird, wirklich repräsentativ zu werden, denn das ist bislang ja noch nicht der Fall. Er hat angekündigt, sein Lager von Bengasi nach Tripolis zu verlegen, und die Internationale Gemeinschaft hat ja schon für die nächsten Tage eine Konferenz, eine Libyen-Konferenz angekündigt, wo man sich konkrete Gedanken darüber machen will.

Kitzler: Die Hoffnung ist ja, dass sich Libyen in einem demokratischen Sinne entwickelt, das hoffen wir im Westen natürlich, das hoffen aber auch viele Menschen in Libyen. Was kann man eigentlich tun, damit das auch passiert? Was kann und was muss Deutschland tun?

Ostry: Ja, zunächst denke ich ist es ganz entscheidend, dass erst einmal die Libyer selber – und da ist natürlich vor allem erst mal der Übergangsrat gefragt inklusive der Stämme, der Stammesvertreter, die sicherlich da noch hinzukommen werden, auch aus dem östlichen Teil – zunächst einmal formulieren, was ihre Ziele sind. Es gab im April diesen Jahres ja schon eine erste Erklärung, wo Mustafa Abdel Dschalil, der Sprecher und Leiter des Übergangsrates, deutlich gemacht hat, dass sie wirklich ein rechtsstaatliches, demokratisches Staatswesen anstreben. In Libyen sind die Herausforderungen ungleich größer als zum Beispiel in Tunesien oder in Ägypten, weil man ja weitgehend gar keine staatlichen Strukturen hat. Es gibt noch nicht mal eine Verfassung, es gibt keine politischen Parteien. Auch die Infrastruktur ist in weiten Teilen gar nicht so entwickelt, wie man das vielleicht von außen von einem erdölreichen Staat vielleicht den Eindruck haben könnte.

Kitzler: Und es gibt natürlich auch ein kompliziertes Gewirr von Clans, von Stämmen, von Ethnien. Steht das auch einer demokratischen Entwicklung sehr im Wege?

Ostry: Das Stammeswesen wird gerade in den letzten Tagen immer wieder von Kommentatoren quasi de facto und a priori als ein Grund angeführt, dass es schwierig sei, ein demokratisches oder rechtsstaatliches Staatswesen aufzubauen. Ich wäre da erst mal vorsichtig und würde erst mal abwarten. Also bislang ist es so gewesen, dass Gaddafi es immer geschafft hat, durch eine geschickte Verteilung von Macht und Repression die unterschiedlichen Interessen der Stämme auszutarieren. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass es sicherlich im Interesse der Stämme ist, die ja alle auch vom Reichtum und von den Ressourcen des Landes profitieren wollen, in einem geordneten Übergang hier wirklich Einigung herbeizuführen und eben nicht gleich auf Konfrontation zu schalten.

Kitzler: Die Frage ist ja auch: Wer sind am Ende die Ansprechpartner? Im Übergangsrat sitzen ja auch frühere Vertreter des Gaddafi-Regimes. Und dann gibt es ja auch noch die Islamisten, die werden möglicherweise wieder eine stärkere Rolle spielen. Was ist Ihr Rat? Muss man die einbinden, kann man die überhaupt einbinden?

Ostry: Also zum einen ist es in der Tat so, dass zahlreiche Mitläufer oder auch Diener des alten Regimes auch im Übergangsrat sind, unter denen allerdings einige wirklich autarke und authentische Kräfte repräsentiert sind. Was die Islamisten angeht, hat die Geschichte Libyens gezeigt, dass Gaddafi es bis 2010 geschafft hat, nach einer heftigen internen Auseinandersetzung, diese zu domestizieren und stillzuhalten. Ich sehe jetzt mit Blick auf Libyen die islamistische Gefahr a) als erstes nicht so bedrohlich und so groß an, b) glaube ich, wenn man denn wirklich ein demokratisches und rechtsstaatliches Staatswesen aufbauen will, was sich dann auch durch Wahlen legitimieren muss, dass man nicht darum herumkommt, mit diesen Kräften zumindest zu reden auf der Grundlage von klarer Wertvorstellung und klarer Kriterien.

Kitzler: Was wird denn die Konrad-Adenauer-Stiftung vor Ort tun?

Ostry: Wir beobachten im Moment natürlich die Situation sehr intensiv, auch unser Kollege, der im Moment in Tunis stationiert ist, und Tunesien ist ja auch berührt von den Entwicklungen in Libyen, ist in Kontakt mit einigen Vertretern. Sollte die Situation es erlauben und sollten wir als Stiftung wirklich vor Ort sinnvollerweise tätig werden können, werden wir das tun, und da werden wir natürlich in den Stärken und in den Bereichen tätig sein wie in anderen Ländern auch, das heißt helfen, dass sich wirklich rechtsstaatliche Institutionen entwickeln, dass sich mitunter politische Parteien entwickeln und vor allem die Zivilgesellschaft, denn die gab es de facto kaum, die war von Gaddafi kooptiert. Und ich glaube, das ist ganz entscheidend, dass die Leute, die jetzt auf die Straße gegangen sind – und das ist halt das Momentum des Arabischen Frühlings, wenngleich er hier in Libyen mit viel Gewalt und leider mit viel Blutvergießen sich zum Durchbruch verhelfen musste –, dass wir diesen Menschen einfach durch politische Bildung und Vermittlung von demokratischen Werten helfen, ihr Land aufzubauen.

Kitzler: Libyen ist ja sehr reich an Öl und Gas, das ist bekannt, das ist vielleicht auch eine gute Voraussetzung, und es ist aber auch ein wichtiger Grund, warum viele Staaten jetzt ein Interesse haben, sich dort einzumischen. Erhöht dieser Reichtum Libyens die Chance auf eine gute Entwicklung, oder steht er dem vielleicht sogar eher entgegen?

Ostry: Na ja, das ist die alte klassische Frage, ob der Reichtum an Erdöl- oder Erdgasressourcen eher ein Segen oder ein Fluch ist. Ich glaube, ganz entscheidend kommt es darauf an, wie die Libyer selber die Verteilung dieser Ressourcen definieren und ob es wirklich gelingt, die im Interesse des gesamten Landes einzusetzen. Dann bin ich davon überzeugt, dass das sicherlich ein sehr, sehr positiver Effekt sein kann. Es wurde ja schon immer wieder deutlich, dass aufgrund dieses Reichtums man Libyen nicht als ein klassisches Entwicklungsland bezeichnen kann. Hinzu kommt, dass die Libyer selber auch sehr überzeugt und sehr stolz über ihre Geschichte sind, und ich glaube, dass das eine gute Voraussetzung ist für eine – wie man oft so schön sagt, aber ich glaube, in diesem Falle es auch Realität werden kann –, für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das heißt, Europa und der Westen hat sicherlich sehr klar definierte Interessen in Libyen, die weit über das Öl hinausgehen, über das Erdgas, es geht hier auch um geostrategische Fragen, um Stabilität im Mittelmeerraum. Auf der anderen Seite hat Libyen sicherlich Interesse daran, aus dem Westen und aus Europa ausreichend Hilfe zu bekommen im Bereich Infrastruktur, im Bereich von Beratungseinsätzen. Also ich denke, dass das wirklich eine, langfristig gesehen auch eine Win-win-Situation werden kann.

Kitzler: Libyen hat also möglicherweise gute Entwicklungschancen, so sieht es Hardy Ostry, er ist bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Teamleiter für den Bereich Afrika und den Nahen Osten. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Ostry: Ich danke Ihnen!

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