„Er wäre allerdings lieber gestorben, als miterleben zu müssen, dass ein Sohn seiner Lenden sich mit dem zufriedengab, was er selbst erreicht hatte.“
Autorinnen der Harlem Renaissance
Die "bekannteste unbekannte Autorin" der Harlem Renaissance: die US-Schriftstellerin Dorothy West © Getty Images / Sygma / Brooks Kraft
Eigensinnig und beunruhigend
32:01 Minuten
Seit der Wiederentdeckung und Neuübersetzung des Gesamtwerks von James Baldwin ist das Interesse hierzulande an afroamerikanischer Literatur des 20. Jahrhunderts groß. Und endlich gilt es auch den Frauen dieser Bewegung.
1974 erschien in den USA der Roman „Oreo“ von Frances Dolores, genannt Fran Ross, die mit nur 50 Jahren in New York verstarb. Auf dem Höhepunkt der Black Power Bewegung hatte sie mit ihrer komischen Romanheldin Christine etwas vollkommen Neuartiges geschaffen. Es war das Werk einer doppelten Außenseiterin: einer schwarz-jüdischen Autorin.
„Sie ist immer beides“, sagt Pieke Biermann, die für die Übersetzung des Romans 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet wurde: „Und das macht die Sache natürlich kompliziert. Aber macht es ihr möglich, mit allem Scherz und Frohsinn zu treiben. Und überall dahin zu stechen, wo es wehtut.“
Außen schwarz, innen weiß
Oreo ist der Spitzname des Mädchens Christine. Und er ist nach der bekannten US-amerikanischen Kekssorte gewählt: außen schwarz, innen weiß. Oreo ist die Tochter einer schwarzen Mutter und eines jüdischen Vaters, der bezeichnenderweise den Nachnamen Schwartz hat.
Der Roman entlarvt die Identitätsdebatten der Gegenwart als rhetorische Scharmützel und bietet dafür Sinn für die absurde Komik des Rassendenkens an.
Als der Roman „Oreo“ 2015 in afrofeministischen Kreisen wiederentdeckt wird, schlägt er ein wie eine Bombe. Seine Autorin hatte man da längst vergessen.
Fran Ross, 1935 in Philadelphia geboren, lässt sich als Missing Link sehen - zwischen den Anfängen der afroamerikanischen Literatur und der heutigen Black Lives Matter-Bewegung. Sie scheint uns sagen zu wollen: Nehmt Euch auf den Arm und in den Arm! Überwindet Eure Kleinlichkeit!
Die Harlem Renaissance
Dabei blickt Fran Ross selbst auf eine nicht sehr alte Tradition schwarzer Literatur in den Vereinigten Staaten zurück.
Noch die Großeltern einiger der berühmtesten afroamerikanischen Autorinnen und Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts waren in der Sklaverei geboren worden. Viele von ihnen machten sich nach deren Abschaffung im Jahr 1885 auf in den Norden, um die verhassten Plantagen der Südstaaten hinter sich zu lassen.
Einer dieser befreiten Sklaven ist Preacher, eine Figur aus dem gerade ins Deutsche übersetzten Roman „Die Hochzeit“ von Dorothy West. Preachers Fähigkeiten als Heiler werden allgemein geschätzt. Im Roman heißt es:
Preachers Sohn wird an einer nordamerikanischen Ivy League Universität studieren und dann Karriere als Arzt machen. Sein Sohn wird ebenfalls Karriere als Arzt machen und eine weiße Frau heiraten, die er nicht wirklich liebt, weil er – ohne es zu merken – auf dem Weg nach oben begonnen hat, seine Herkunft zu verleugnen.
Der Aufstieg der schwarzen Mittelschicht ist erschütternd oft auch ein Prozess der Weißwaschung gewesen. Von ihm handelt Dorothy Wests Familienepos. Im Nachwort der Neuausgabe ihres Romans wird diese Autorin als „die bekannteste unbekannte Autorin“ jener Zeit – der Zeit der Harlem Renaissance bezeichnet.
Schwarze Avantgarde in New York
In Harlem verkehrte damals die schwarze Bohème. Hier wollten junge Musiker, Literaten und Künstler endlich das Stigma der geschundenen Sklavenrasse hinter sich lassen. In Abgrenzung zum weißen Kulturestablishment hatte man sich hierfür ein eigenes Programm gegeben.
Pieke Biermann erzählt: „The New Negro, wurde das genannt. Negro war in den Vereinigten Staaten lange Zeit überhaupt kein diskriminierendes Wort, sondern einfach ein beschreibendes Wort, auch von Schwarzen selber benutzt. Und dieser New Negro, den es zu schaffen galt, der hat die Harlem Renaissance dann begründet und auch getragen. Und da war richtig was los in Amerika, also in New York muss man sagen.“
Dorothy West und Zora Neale Hurston waren Teil der schwarzen literarischen Avantgarde der Zwanzigerjahre. Hinzu kommen noch Nella Larsen und Ann Petry, die erste Afroamerikanerin, die einen Millionenbestseller landete.
Auffällig ist: In ihren Büchern geht es oft nur noch am Rande um Slave Narratives. Also um Bücher, die die Unterdrückung der Schwarzen thematisierten. Denn das weiße Kulturestablishment schien das inzwischen von schwarzen Autorinnen und Autoren zu erwarten. Zora Hurston kritisierte diese weiße Lust am schwarzen Elend als Erste.
Ein Spiel mit dem Feuer
Viele Bücher aus der Zeit der Harlem Renaissance handeln entsprechend selbstbewusst nicht mehr ausschließlich vom Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen, sondern von den Konflikten der Schwarzen untereinander.
Das Thema Rassismus ist damit allerdings keineswegs erledigt. Noch in den Fünfzigerjahren ist eine schwarze Familie dann am höchsten angesehen, wenn sie sich durch kluge Heiratspolitik so weit wie möglich vom afrikanischen Erbe entfernt hat. Gleichzeitig steht sie damit immer unter dem Verdacht, sich in betrügerischer Absicht unter die Weißen zu schmuggeln.
Auch die 1891 in Chicago geborene Nella Larsen setzt sich in ihrem Roman „Seitenwechsel“ damit auseinander. Die Hauptfigur des Romans begegnet zufällig einer Freundin aus Harlemer Kindertagen. Doch sie erkennt diese nicht gleich. Denn die Frau hat elfenbeinweiße Haut und starrt sie unablässig an. So durchdringend, als würde sie jeden Augenblick das Geheimnis der anderen lüften können.
Es wird klar, was das magische Band zwischen den beiden Frauen gewesen ist: zwei hellhäutige Afroamerikanerinnen, die sich auf einer weißen Hotelterrasse bewegen, jedoch jederzeit auffliegen könnten. Während Irene weiterhin als Schwarze in Harlem lebt, hat Clare Kendry inzwischen die Seiten gewechselt. Mehr noch: Sie ist mit einem weißen Rassisten verheiratet. Ein Spiel mit dem Feuer:
Rassistisches Spaltungsprinzip
„Das ist ein Spaltungsprinzip natürlich“, sagt Pieke Biermann: „Was aber nicht Schwarze erfunden haben, sondern das durch die Geschichte der weißen Herrschaft über Schwarze entstanden ist. Damit haben wir heute alle immer noch zu kämpfen.“
Mit diesem rassistischen Spaltungsprinzip beschäftigt sich auch Marion Kraft seit Jahrzehnten. Als Afrodeutsche hat sie selbst eine komplizierte Beziehung zur Kultur des Landes, in dem sie 1946 als Tochter einer Deutschen und eines amerikanischen Soldaten geboren wurde. Die aktuelle Renaissance der Harlem Renaissance, also die Wiederentdeckung afroamerikanischer Literatur in Deutschland, weckt in ihr Erinnerungen an eine Zeit, in der Professoren in Deutschland die Literatur aus Harlem noch unter „N-Literatur“ führten.
Sie erzählt: „Es gab für meine Generation eben nicht die entsprechenden Vorbilder. Eben weil es ja diese Verankerung in einer Gemeinschaft nicht gab und natürlich auch in kultureller Hinsicht. Wir sind ja alle so richtig deutsch sozialisiert worden. Es gab ja keinen eigenen kulturellen Rahmen, den man sich hätte beschaffen können. Und da ist auch wieder viel in der Auseinandersetzung eben mit Literatur passiert. Und das war natürlich der Blick auf die USA. Den Referenzrahmen, den man hatte, das war spätestens seit der Bürgerrechtsbewegung natürlich die USA.“
Afrodeutsche Frauen in Berlin
1982 macht sich eine junge Afroamerikanerin auf den Weg nach Berlin. Sie heißt Audre Lorde. Sie ist Essayistin, Frauenrechtsaktivistin und Dichterin und beschreibt sich selbst in einer berühmt gewordenen Formel als „Schwarze, Lesbe, Mutter, Kriegerin und Poetin“.
Für viele afrodeutsche Frauen wird die Begegnung mit Audre Lorde zu einer Offenbarung. Denn Audre Lorde macht die afroamerikanische Erfahrung zu einer deutschen Erfahrung. Für deutsche Frauen mit dunkler Haut war das eine vollkommen neue Möglichkeit, sich zu identifizieren.
Veröffentlichen wird Audre Lorde ihre Essays und Gedichte im Verlag der Berliner Frauenrechtsaktivistin und Pädagogin Dagmar Schultz. Mit Freundinnen gründet Schultz schon Mitte der 70er-Jahre eine Vorform des Orlanda Frauenverlags, der heute – unter ganz neuer Leitung – die publizistische Heimat der Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga ist.
(DW)
Sprecherinnen: Cathlen Gawlich und Lisa Hrdina
Regie: Beatrix Ackers
Ton: Thomas Monnerjahn
Redaktion: Dorothea Westphal
Regie: Beatrix Ackers
Ton: Thomas Monnerjahn
Redaktion: Dorothea Westphal