Harmloser Kitsch
Der Roman "Das Juwel von Medina" wird keinen Muslim sonderlich aufregen, glaubt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner. Die Autorin Sherry Jones zitiere nur die im Islam weithin bekannten Quellen und schmücke die Geschichte der jüngsten Ehefrau Mohammeds ein wenig aus. Das Buch sei eher kitschig und harmlos, tauge aber als Einführung für westliche Leser in die islamische Geschichtenwelt.
Dieter Kassel: "Das Juwel von Medina", ein Roman der US-Amerikanerin Sherry Jones, schildert die Geschichte von Aisha, der jüngsten Frau des Propheten Mohammed. Erscheinen sollte das Buch eigentlich bei dem weltgrößten Verlag, Random House. Es gab schon einen festen Vertrag zwischen dem Verlag und der Autorin. Da bekam Random House Angst vor der möglichen Reaktion militanter Muslime und gab die Rechte an dem Roman zurück. Das ist nicht das Ende der Geschichte. In den USA fand sich schließlich ein kleinerer Verlag, der das Buch veröffentlichte, ebenfalls in England, und auch in Deutschland, wo das Buch heute im Pendo Verlag erscheint. Der Islamwissenschaftler, Autor und Übersetzer Stefan Weidner hat "Das Juwel von Medina" für uns gelesen. Schönen guten Tag, Herr Weidner!
Stefan Weidner: Guten Tag!
Kassel: Gehen wir mal auf die konkreten Vorwürfe, die es zwischendurch in den USA gegeben hat, ein. Ist dieser Roman pornografisch und islamfeindlich?
Weidner: Nein, er ist nicht pornografisch, er ist nicht einmal, wie es gesagt wurde, softpornografisch. Es ist ein Roman, der über vereinzelte Küsschen usw. nicht hinausgeht. Islamfeindlich kann man ihn eigentlich auch nicht nennen, es sei denn, man sagt, dass jeder Abendländer, der über den Islam oder über Mohammed redet und ihn womöglich in einer Fiktion vorkommen lässt, der würde sich islamfeindlich äußern. Das Buch ist harmlos, es fasst Mohammed geradezu mit Samthandschuhen an, sodass man sich zwischendurch fragt, ob die Autorin nicht eventuell selber eine Muslima gewesen ist.
Kassel: Was für eine Geschichte erzählt sie denn genau?
Weidner: Ja, sie erzählt die Geschichte der jüngsten und angeblich liebsten Ehefrau von Mohammed, nämlich der kleinen Aisha, die im Alter von sechs Jahren oder, ich meine, die Angaben schwanken, manche sagen im Alter von neun Jahren mit Mohammed verheiratet worden ist. Das war alles am Anfang des siebten Jahrhunderts in Mekka. Und diese Aisha ist dann mit Mohammed nach Medina gegangen, Mohammed wurde vertrieben aus Mekka von seinen Gegnern, und hat in Medina sozusagen die erste islamische Gemeinde gegründet.
Und das Buch erzählt nun aus der Sicht dieser kleinen Aisha, die dann im Laufe des Buches aufwächst, ihre Geschichte mit Mohammed, wobei wichtig ist, die wichtigste Geschichte ist eigentlich die des Verdachts des Ehebruchs. Und zwar hatte sie wohl einen Jugendfreund, zumindest wird es von der Autorin so dargestellt. Es kam zu einer berühmten Affäre, der sogenannten Halsband-Affäre, als Aisha auf einem Feldzug mit Mohammed wegzog in die Wüste hinein, und dann verlor sie den Kontakt zu der Karawane, angeblich, weil sie ihr Halsband verloren hatte.
Sie wurde später zurückgebracht von einem jungen Mann, einem Krieger, namens Saphuan, und sie wurde des Ehebruchs mit diesem Krieger verdächtigt. Das ist sozusagen das zentrale Thema. Und dieser Ehebruch hat sogar ein paar Koranverse hervorgebracht. Mohammed musste also Aisha verteidigen, indem er einige Koranverse zu ihrer Verteidigung vorbrachte.
Und um diese Geschichte dreht sich das Buch. Im Weiteren handelt es aber im Grunde von den Haremsintrigen im Harem von Mohammed, der immer wieder neue Frauen heiratete, nicht wohl nur aus sexueller Begierde, sondern vor allen Dingen auch, um seine Gemeinde zusammenzuhalten. Es waren oft Witwen und Ähnliches.
Kassel: Nun haben natürlich manche Leute diesen Vorwurf der Islamfeindlichkeit, der ja gekommen ist von Menschen - mit Ausnahmen - aber oft auch von Menschen, die das Buch nicht gelesen haben, auch daran festgemacht, dass sich die Autorin nun ausgerechnet diese jüngste Ehefrau Mohammeds als Hauptfigur ausgesucht hat. Sie haben es gesagt, je nach Quellen war die sechs, sieben oder neun Jahre alt, Mohammed ein erwachsener Mann. Und echte Islamfeinde in Europa, es gab in den Niederlanden ein Filmchen vor wenigen Monaten, nutzten diese Tatsache ja wirklich zu islamfeindlichen Äußerungen. Wie geht sie denn mit diesem heiklen Thema "kleines Mädchen, erwachsener Mann" um in dem Buch?
Weidner: Das ist eigentlich sehr spannend, denn Mohammed wird in dem Buch als Edelmann geschildert, eine Lesart, die durchaus in den islamischen Quellen auch angelegt ist als Edelmann, der Aisha zwar heiratet, sie ist die Tochter eines seiner besten Freunde, des ersten Kalifen im Islam später, der diese Aisha heiratet, aber sie nicht anrührt. Sie überhaupt nicht anrührt, selbst dann, als sie schon ihre Periode bekommt und sozusagen nach dem damaligen Gesetz eine vollwertige Frau ist. Selbst dann rührt Mohammed sie nicht an, was Aisha besonders eifersüchtig macht, und dann wieder, so jedenfalls in der Darstellung von Sherry Jones in diesem "Aisha"-Buch, etwas kitschig, in die Arme ihres vermeintlichen Jugendfreundes Saphuan treibt. Also gerade weil Mohammed ein solcher Edelmann ist, kommt die Geschichte überhaupt ins Rollen.
Kassel: Nun gab es auch den Vorwurf, wie kann denn eine US-Amerikanerin einfach so eine Geschichte schreiben, wo sie doch keine Muslimin ist, wo sie gar keine richtig große Sachkenntnis besitzt. Sie sind Islamwissenschaftler unter anderem, wie genau nutzt sie denn da wirklich die vorhandenen Quellen?
Weidner: Ja, sie nutzt, das ist sehr spannend, sie nutzt die vorhandenen Quellen auf eine Weise, dass man ihr teilweise sogar ein Plagiat vorwerfen könnte. Wir finden bis in die wörtliche Rede hinein Originalzitate aus den Quellen, die natürlich als solche nicht gekennzeichnet sind, allerdings verbirgt die Autorin das auch nicht, sie gibt am Ende des Buches ein kleines Literaturverzeichnis, wo ganz klar ist, was sie gelesen hat, was nicht. Das sind im Grunde die klassischen Quellen, die klassischen islamischen Quellen zum Islam und dann auch die klassischen Quellen der Orientalistik.
Was sie nicht berücksichtigt hat, und das macht man ihr ein bisschen zum Vorwurf, sind modernere Forschungen seit den 80er, 90er Jahren, die natürlich ein ganz anderes Mohammed-Bild entwerfen, ein viel kritischeres, die sozusagen fragen, wie viel dürfen wir überhaupt glauben von dem, was uns die islamischen Quellen vermitteln? Sherry Jones stützt sich auf diese Quellen, und das macht das Buch ja eigentlich zu dem, was gerade nicht islamfeindlich ist. Sie übernimmt das Bild der Quellen, sie übernimmt sogar die Sichtweise von Aisha, denn in diesen islamischen Quellen ist es meistens Aisha, die selber erzählt. Und genau das macht Sherry Jones, die Erzählerin ist Aisha in diesem Buch. Und deswegen kann man ihr also aus Islamsicht keine Vorwürfe machen, höchstens aus der Sicht eines sehr strengen und modern ausgerichteten Historikers. Aber wir müssen sehen, es ist ein Roman, es ist keine Geschichtsschreibung.
Kassel: Wir reden gerade in Deutschlandradio Kultur mit dem Islamwissenschaftler und Autor Stefan Weidner über "Das Juwel von Medina". Der Roman, den der Verlag Random House in den USA nicht herausbringen wollte, der Roman erscheint heute in deutscher Sprache im Pendo Verlag. Der Hauptgrund, so ist es dann zumindest berichtet worden, Herr Weidner, warum Random House sich entschlossen hatte, diesen Roman doch nicht zu veröffentlichen, waren ja die Warnungen der amerikanischen Islamwissenschaftlerin Denise Spellberg, die nun den Roman gelesen hat, diesen Vorwurf können wir ihr nicht machen, und die hat danach aber trotzdem behauptet, das geht nicht, das ist gefährlich so ein Text. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Weidner: Nein, das ist mir relativ unverständlich. Hier scheint mir eine Islamwissenschaftlerin, die eine sehr kluge Studie vorgelegt hat zu eben dieser Aisha, über die Sherry Jones ja schreibt, die scheint ein Dogma zu machen aus dem, was ihre Studie über diese Aisha herausgefunden hat, und sie scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, dass Sherry Jones nun von ihren Forschungsergebnissen, die wohlgemerkt sehr beachtlich sind, nichts übernommen hat, was ja die Freiheit einer Romanautorin ist. Sie kann sich im Grunde aussuchen, auf welche Quellen sie sich stützt.
Das scheint die Frau Spellberg doch sehr beleidigt zu haben. Und aufgrund einer seltsamen Übersprungshandlung projiziert sie nun ihre eigenen Forschungsergebnisse, die im Grunde den islamischen Quellen sehr streng widersprechen, projiziert sie diese Forschungsergebnisse auf die Gefühle der Muslime und denkt nun, wenn die Frau Sherry Jones diese Forschungsergebnisse nicht übernimmt, dann hat sie ein falsches Geschichtsbild und damit muss sie per se die Muslime beleidigen. Das halte ich für einen Unsinn.
Das mag vorkommen aus der akademischen Situation, dass man ein etwas verengtes Weltbild hat, eine verengte Sicht auf die Dinge, aber Fakt ist ja, dass sich Frau Jones auf die islamischen Quellen stützt, das heißt, die islamische Sichtweise vermittelt, während Frau Spellberg diese islamischen Quellen in ihren Studien dekonstruiert, auseinandernimmt und eigentlich etwas macht, was die Muslime viel mehr stören müsste. Allerdings wird diese Studie natürlich von den Muslimen nicht wahrgenommen.
Kassel: Habe ich Sie richtig verstanden, dass ein durchschnittlich gebildeter Muslime, ein Muslim, der auch in Bezug auf seine Religion durchschnittlich gebildet ist, wenn er diesen Roman liest, sich wahrscheinlich denken müsste, ja, Gott, das habe ich eigentlich alles schon gewusst?
Weidner: Genau, ja, das hätte er alles schon lesen können in den Quellen. Es wird natürlich ein bisschen was prononciert, etwas anders betont. Die Geschichte mit diesem Saphan, die in den Quellen eigentlich nur eine Fußnote ist, die wird ausgebaut zu einer alten Jugendliebe. Da wird man sich denken, na ja, da hat sie ein bisschen viel fantasiert, die Sherry Jones. Aber ansonsten ist das genau das, was er kennt. Wenn er Schiit ist, dann würde ihn vielleicht stören, dass Ali, einer der Gefährten des Propheten Mohammed, etwas negativ dargestellt wird aus der Sicht von Aisha. Aber auch das ist in den Quellen angelegt, denn Aisha ist historisch später nach dem Tod von Mohammed eine der wichtigsten Gegner von Ali gewesen.
Kassel: Was heißt denn das nun aber eigentlich, wenn wir davon ausgehen können, für Muslime ist der Roman zwar nicht ärgerlich, aber eigentlich auch nicht so komplett lesenswert. Ist das ein Buch, das sich letzten Endes zu Recht an eine westliche, vom Islam relativ wenig verstehende Leserschaft wendet?
Weidner: Ja, denn nur für diese Leser ist das eigentlich interessant. Man muss sagen, es ist kein übermäßig spannender Roman, es ist auch kein literarisch sehr moderner, zeitgemäßer Roman. Es ist ein bisschen eine harmlose, leicht kitschige Literatur, die uns aber einführt in diese Welt der islamischen Überlieferung, die wir ja eigentlich nicht kennen. Es gibt sehr wenige Übersetzungen, und diese Übersetzungen sind sehr zäh. Und dann kommt nun eine Autorin her, nimmt diese Quellen und macht daraus einen, ja nun nicht vielleicht gerade hoch modernen, aber immerhin einen lesbaren Roman und führt uns ein in diese Welt, die wir leider überhaupt nicht kennen, die aber eine Riesenfülle von Geschichten bereit hält. Und das macht das Buch dann doch wieder interessant.
Kassel: Danke schön! Stefan Weidner war das. Er ist Islamwissenschaftler, Übersetzer und Autor und hat "Das Juwel von Medina" tatsächlich gelesen, was ab sofort allerdings jeder kann, auch ohne Fremdsprachenkenntnisse, denn die deutsche Ausgabe des Romans von Sherry Jones erscheint heute im Pendo Verlag. Das Buch kostet übrigens 19 Euro 95. Herr Weidner, ich danke Ihnen!
Stefan Weidner: Guten Tag!
Kassel: Gehen wir mal auf die konkreten Vorwürfe, die es zwischendurch in den USA gegeben hat, ein. Ist dieser Roman pornografisch und islamfeindlich?
Weidner: Nein, er ist nicht pornografisch, er ist nicht einmal, wie es gesagt wurde, softpornografisch. Es ist ein Roman, der über vereinzelte Küsschen usw. nicht hinausgeht. Islamfeindlich kann man ihn eigentlich auch nicht nennen, es sei denn, man sagt, dass jeder Abendländer, der über den Islam oder über Mohammed redet und ihn womöglich in einer Fiktion vorkommen lässt, der würde sich islamfeindlich äußern. Das Buch ist harmlos, es fasst Mohammed geradezu mit Samthandschuhen an, sodass man sich zwischendurch fragt, ob die Autorin nicht eventuell selber eine Muslima gewesen ist.
Kassel: Was für eine Geschichte erzählt sie denn genau?
Weidner: Ja, sie erzählt die Geschichte der jüngsten und angeblich liebsten Ehefrau von Mohammed, nämlich der kleinen Aisha, die im Alter von sechs Jahren oder, ich meine, die Angaben schwanken, manche sagen im Alter von neun Jahren mit Mohammed verheiratet worden ist. Das war alles am Anfang des siebten Jahrhunderts in Mekka. Und diese Aisha ist dann mit Mohammed nach Medina gegangen, Mohammed wurde vertrieben aus Mekka von seinen Gegnern, und hat in Medina sozusagen die erste islamische Gemeinde gegründet.
Und das Buch erzählt nun aus der Sicht dieser kleinen Aisha, die dann im Laufe des Buches aufwächst, ihre Geschichte mit Mohammed, wobei wichtig ist, die wichtigste Geschichte ist eigentlich die des Verdachts des Ehebruchs. Und zwar hatte sie wohl einen Jugendfreund, zumindest wird es von der Autorin so dargestellt. Es kam zu einer berühmten Affäre, der sogenannten Halsband-Affäre, als Aisha auf einem Feldzug mit Mohammed wegzog in die Wüste hinein, und dann verlor sie den Kontakt zu der Karawane, angeblich, weil sie ihr Halsband verloren hatte.
Sie wurde später zurückgebracht von einem jungen Mann, einem Krieger, namens Saphuan, und sie wurde des Ehebruchs mit diesem Krieger verdächtigt. Das ist sozusagen das zentrale Thema. Und dieser Ehebruch hat sogar ein paar Koranverse hervorgebracht. Mohammed musste also Aisha verteidigen, indem er einige Koranverse zu ihrer Verteidigung vorbrachte.
Und um diese Geschichte dreht sich das Buch. Im Weiteren handelt es aber im Grunde von den Haremsintrigen im Harem von Mohammed, der immer wieder neue Frauen heiratete, nicht wohl nur aus sexueller Begierde, sondern vor allen Dingen auch, um seine Gemeinde zusammenzuhalten. Es waren oft Witwen und Ähnliches.
Kassel: Nun haben natürlich manche Leute diesen Vorwurf der Islamfeindlichkeit, der ja gekommen ist von Menschen - mit Ausnahmen - aber oft auch von Menschen, die das Buch nicht gelesen haben, auch daran festgemacht, dass sich die Autorin nun ausgerechnet diese jüngste Ehefrau Mohammeds als Hauptfigur ausgesucht hat. Sie haben es gesagt, je nach Quellen war die sechs, sieben oder neun Jahre alt, Mohammed ein erwachsener Mann. Und echte Islamfeinde in Europa, es gab in den Niederlanden ein Filmchen vor wenigen Monaten, nutzten diese Tatsache ja wirklich zu islamfeindlichen Äußerungen. Wie geht sie denn mit diesem heiklen Thema "kleines Mädchen, erwachsener Mann" um in dem Buch?
Weidner: Das ist eigentlich sehr spannend, denn Mohammed wird in dem Buch als Edelmann geschildert, eine Lesart, die durchaus in den islamischen Quellen auch angelegt ist als Edelmann, der Aisha zwar heiratet, sie ist die Tochter eines seiner besten Freunde, des ersten Kalifen im Islam später, der diese Aisha heiratet, aber sie nicht anrührt. Sie überhaupt nicht anrührt, selbst dann, als sie schon ihre Periode bekommt und sozusagen nach dem damaligen Gesetz eine vollwertige Frau ist. Selbst dann rührt Mohammed sie nicht an, was Aisha besonders eifersüchtig macht, und dann wieder, so jedenfalls in der Darstellung von Sherry Jones in diesem "Aisha"-Buch, etwas kitschig, in die Arme ihres vermeintlichen Jugendfreundes Saphuan treibt. Also gerade weil Mohammed ein solcher Edelmann ist, kommt die Geschichte überhaupt ins Rollen.
Kassel: Nun gab es auch den Vorwurf, wie kann denn eine US-Amerikanerin einfach so eine Geschichte schreiben, wo sie doch keine Muslimin ist, wo sie gar keine richtig große Sachkenntnis besitzt. Sie sind Islamwissenschaftler unter anderem, wie genau nutzt sie denn da wirklich die vorhandenen Quellen?
Weidner: Ja, sie nutzt, das ist sehr spannend, sie nutzt die vorhandenen Quellen auf eine Weise, dass man ihr teilweise sogar ein Plagiat vorwerfen könnte. Wir finden bis in die wörtliche Rede hinein Originalzitate aus den Quellen, die natürlich als solche nicht gekennzeichnet sind, allerdings verbirgt die Autorin das auch nicht, sie gibt am Ende des Buches ein kleines Literaturverzeichnis, wo ganz klar ist, was sie gelesen hat, was nicht. Das sind im Grunde die klassischen Quellen, die klassischen islamischen Quellen zum Islam und dann auch die klassischen Quellen der Orientalistik.
Was sie nicht berücksichtigt hat, und das macht man ihr ein bisschen zum Vorwurf, sind modernere Forschungen seit den 80er, 90er Jahren, die natürlich ein ganz anderes Mohammed-Bild entwerfen, ein viel kritischeres, die sozusagen fragen, wie viel dürfen wir überhaupt glauben von dem, was uns die islamischen Quellen vermitteln? Sherry Jones stützt sich auf diese Quellen, und das macht das Buch ja eigentlich zu dem, was gerade nicht islamfeindlich ist. Sie übernimmt das Bild der Quellen, sie übernimmt sogar die Sichtweise von Aisha, denn in diesen islamischen Quellen ist es meistens Aisha, die selber erzählt. Und genau das macht Sherry Jones, die Erzählerin ist Aisha in diesem Buch. Und deswegen kann man ihr also aus Islamsicht keine Vorwürfe machen, höchstens aus der Sicht eines sehr strengen und modern ausgerichteten Historikers. Aber wir müssen sehen, es ist ein Roman, es ist keine Geschichtsschreibung.
Kassel: Wir reden gerade in Deutschlandradio Kultur mit dem Islamwissenschaftler und Autor Stefan Weidner über "Das Juwel von Medina". Der Roman, den der Verlag Random House in den USA nicht herausbringen wollte, der Roman erscheint heute in deutscher Sprache im Pendo Verlag. Der Hauptgrund, so ist es dann zumindest berichtet worden, Herr Weidner, warum Random House sich entschlossen hatte, diesen Roman doch nicht zu veröffentlichen, waren ja die Warnungen der amerikanischen Islamwissenschaftlerin Denise Spellberg, die nun den Roman gelesen hat, diesen Vorwurf können wir ihr nicht machen, und die hat danach aber trotzdem behauptet, das geht nicht, das ist gefährlich so ein Text. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Weidner: Nein, das ist mir relativ unverständlich. Hier scheint mir eine Islamwissenschaftlerin, die eine sehr kluge Studie vorgelegt hat zu eben dieser Aisha, über die Sherry Jones ja schreibt, die scheint ein Dogma zu machen aus dem, was ihre Studie über diese Aisha herausgefunden hat, und sie scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, dass Sherry Jones nun von ihren Forschungsergebnissen, die wohlgemerkt sehr beachtlich sind, nichts übernommen hat, was ja die Freiheit einer Romanautorin ist. Sie kann sich im Grunde aussuchen, auf welche Quellen sie sich stützt.
Das scheint die Frau Spellberg doch sehr beleidigt zu haben. Und aufgrund einer seltsamen Übersprungshandlung projiziert sie nun ihre eigenen Forschungsergebnisse, die im Grunde den islamischen Quellen sehr streng widersprechen, projiziert sie diese Forschungsergebnisse auf die Gefühle der Muslime und denkt nun, wenn die Frau Sherry Jones diese Forschungsergebnisse nicht übernimmt, dann hat sie ein falsches Geschichtsbild und damit muss sie per se die Muslime beleidigen. Das halte ich für einen Unsinn.
Das mag vorkommen aus der akademischen Situation, dass man ein etwas verengtes Weltbild hat, eine verengte Sicht auf die Dinge, aber Fakt ist ja, dass sich Frau Jones auf die islamischen Quellen stützt, das heißt, die islamische Sichtweise vermittelt, während Frau Spellberg diese islamischen Quellen in ihren Studien dekonstruiert, auseinandernimmt und eigentlich etwas macht, was die Muslime viel mehr stören müsste. Allerdings wird diese Studie natürlich von den Muslimen nicht wahrgenommen.
Kassel: Habe ich Sie richtig verstanden, dass ein durchschnittlich gebildeter Muslime, ein Muslim, der auch in Bezug auf seine Religion durchschnittlich gebildet ist, wenn er diesen Roman liest, sich wahrscheinlich denken müsste, ja, Gott, das habe ich eigentlich alles schon gewusst?
Weidner: Genau, ja, das hätte er alles schon lesen können in den Quellen. Es wird natürlich ein bisschen was prononciert, etwas anders betont. Die Geschichte mit diesem Saphan, die in den Quellen eigentlich nur eine Fußnote ist, die wird ausgebaut zu einer alten Jugendliebe. Da wird man sich denken, na ja, da hat sie ein bisschen viel fantasiert, die Sherry Jones. Aber ansonsten ist das genau das, was er kennt. Wenn er Schiit ist, dann würde ihn vielleicht stören, dass Ali, einer der Gefährten des Propheten Mohammed, etwas negativ dargestellt wird aus der Sicht von Aisha. Aber auch das ist in den Quellen angelegt, denn Aisha ist historisch später nach dem Tod von Mohammed eine der wichtigsten Gegner von Ali gewesen.
Kassel: Was heißt denn das nun aber eigentlich, wenn wir davon ausgehen können, für Muslime ist der Roman zwar nicht ärgerlich, aber eigentlich auch nicht so komplett lesenswert. Ist das ein Buch, das sich letzten Endes zu Recht an eine westliche, vom Islam relativ wenig verstehende Leserschaft wendet?
Weidner: Ja, denn nur für diese Leser ist das eigentlich interessant. Man muss sagen, es ist kein übermäßig spannender Roman, es ist auch kein literarisch sehr moderner, zeitgemäßer Roman. Es ist ein bisschen eine harmlose, leicht kitschige Literatur, die uns aber einführt in diese Welt der islamischen Überlieferung, die wir ja eigentlich nicht kennen. Es gibt sehr wenige Übersetzungen, und diese Übersetzungen sind sehr zäh. Und dann kommt nun eine Autorin her, nimmt diese Quellen und macht daraus einen, ja nun nicht vielleicht gerade hoch modernen, aber immerhin einen lesbaren Roman und führt uns ein in diese Welt, die wir leider überhaupt nicht kennen, die aber eine Riesenfülle von Geschichten bereit hält. Und das macht das Buch dann doch wieder interessant.
Kassel: Danke schön! Stefan Weidner war das. Er ist Islamwissenschaftler, Übersetzer und Autor und hat "Das Juwel von Medina" tatsächlich gelesen, was ab sofort allerdings jeder kann, auch ohne Fremdsprachenkenntnisse, denn die deutsche Ausgabe des Romans von Sherry Jones erscheint heute im Pendo Verlag. Das Buch kostet übrigens 19 Euro 95. Herr Weidner, ich danke Ihnen!