Harmloser Plauderton vom Schocker-Autor

Rezensiert von Lutz Bunk |
Der neue Roman "Colorado Kid" des unumstrittenen Meisters der Horror-Literatur löste bei eingefleischten Fans eher Irritation als Begeisterung aus. In dem Buch finden sich weder Horror- noch Gruseleffekte und die Geschichte erinnert in der Grundstimmung eher an Miss Marple. Liebenswerte, altmodische und schnurrige Literatur vom Schocker-Autor - eine Parodie auf das Krimi- und Mystery-Genre?
Er ist der unumstrittene Meister der phantastischen Horror-Literatur, die Gesamtauflage seiner Romane soll weltweit über 400 Millionen Exemplare betragen, - die Rede ist natürlich von Stephen King.

Über 50 die Nerven des Lesers strapazierende Romane hat er geschrieben, zu seinen bekanntesten gehören sicherlich "Carrie", "Shining", "Friedhof der Kuscheltiere" und "Es". Nun ist sein neuer Roman in Deutschland erschienen: "Colorado Kid."

Und was jeden überraschen wird: in diesem Roman finden sich weder Horror- noch Gruseleffekte, sondern er erinnert in der Grundstimmung eher an Miss Marple. Es gibt zwar eine Leiche, und natürlich geht es auch darum, den seltsamen Tod dieses Menschen kriminalistisch aufzuklären, aber der Gag besteht eigentlich darin, dass der ganze Fall schlichtweg absurd ist und nicht gelöst werden kann.

Die Rahmenhandlung ist einfach: Zwei alte Lokaljournalisten auf einer Ferieninsel an der amerikanischen Ostküste erzählen einer jungen Praktikantin von einem Todesfall, der vor 25 Jahren die Einwohner ihrer Stadt beschäftigte. Da wird eines Morgens ein Mann am Strand gefunden, tot, an einem Bissen Steak erstickt. Er hat keine Papiere bei sich, dafür eine russische Münze und eine Packung Zigaretten, obwohl er Nichtraucher war.

Und wie sich herausstellt, hat dieser Mann, James Cogan, morgens Frau, Kind und Job verlassen in Denver, Colorado, daher der Buchtitel "Colorado Kid", um am selben Abend 2000 km entfernt an einem Strand Neuenglands an einem Stück Steak zu ersticken.

Und was nun allerdings dahinter steckt, das bleibt in dem Buch vollkommen ungeklärt, - also wird insofern Stephen King doch wieder seinem Ruf gerecht, nämlich ein Meister des Rätselhaften zu sein.

Mag sein, dass es sich bei "Colorado Kid" nur um ein Fragment handelt, das Stephen King nicht zu Ende geführt hat. Oder es handelt sich um eine Spielerei, eine Fingerübung des Autors, eine bewusste Parodie auf das Krimi- und Mystery-Genre, - also eine selbstironische Parodie auf King selbst.

Auf jeden Fall wird es Stephen King großen Spaß gemacht haben, Verlag, Lektor und Leser mit einer Geschichte zu konfrontieren, die eigentlich keine ist. Ein Teil der Leser reagierte denn auch schockiert, - insofern ist der Meister der Schock-Literatur doch wieder seinem Ruf treu geblieben, auch wenn er das ganz anders tut, als seine Fans es erwartet haben.

"Colorado Kid" ist ein Buch, auch wenn dies lapidar klingt, das einfach Spaß macht. Es ist amüsant, es ist harmlos: da sitzen zwei alte Journalisten, der eine 65, der andere 90 Jahre alt, auf ihrer Veranda mit Meerblick und erzählen im gefälligen Plauderton, mit dem King ja sonst immer den Gegenpol, den Kontrapunkt zum Horror setzt, ja den Horror erst überhaupt möglich macht.

Hier nun allerdings spielt er mit dem Plauderton geradezu; der ist diesmal kein Beiwerk, sondern wird zur reinen Kunstform erhoben. King kopiert, parodiert geradezu die Krimi-Literatur der 40er und 50er Jahre, wo á la Miss Marple akribisch ermittelt wurde.
Das ist liebenswerte, altmodische und schnurrige Literatur - flüssig und mit sehr leichter Hand erzählt. Perfekt als Urlaubsbuch am Strand zu lesen. Und der Leser sollte sich dann dabei, wie es auch die beiden Erzähler in diesem Buch tun, vielleicht reichlich mit Keksen eindecken und sich einfach unterhalten lassen.

Stephen King, Colorado Kid.
Übersetzt von Andrea Fischer.
Ullstein Verlag 2006.
Roman, 159 Seiten, 5,- Euro.