Ökonominnen waren nicht vorgesehen
John Stuart Mill war ein berühmter Ökonom. Seine Frau Harriet Taylor Mill kennt fast niemand, dabei sind ihre wissenschaftlichen Verdienste groß. Typisch für eine männlich dominierte Disziplin − doch in Berlin gibt es ein Institut, das den Namen von Harriet Taylor Mill trägt.
Kennen Sie John Stuart Mill?
Friederike Maier: "John Stuart Mill – jede wirtschaftswissenschaftlich studierte Person kennt ihn."
Friederike Maier, Professorin für Volkswirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, in Berlin natürlich sowieso. John Stuart Mill – Philosoph, Wirtschaftstheoretiker und Politiker. Einer der großen liberalen Denker des 19. Jahrhunderts. Aber kennt jemand seine Frau Harriet?
Friederike Maier: "Die haben immer zusammen publiziert, und ganz viele Werke sind nur unter seinem Namen erschienen."
Frauen waren in Wirtschaft und Wissenschaft einfach nicht vorgesehen. Harriet Taylor Mill hatte eine Erklärung dafür:
"Ich glaube, man hat ihnen alle Möglichkeiten dazu (Ämter und Beschäftigungen auszuüben) nur so konsequent abgeschnitten, um ihre Unterordnung im häuslichen Leben aufrechtzuerhalten, da das männliche Geschlecht in seiner großen Mehrzahl nun einmal den Gedanken nicht ertragen kann, an der Seite eines gleichstehenden Wesens zu leben."
Harriet Taylor Mill wird 1807 als Tochter eines Londoner Arztes geboren. Als Kind einer wohlhabenden bürgerlichen Familie hat sie das Glück, eine gewisse Bildung zu erfahren. Privat natürlich, denn höhere Schulen sind Mädchen zu diesem Zeitpunkt verschlossen. Doch Harriet ist wissbegierig, liest viel und schreibt Gedichte und Essays. Vor allem interessiert sie sich für Frauenrechte.
Friederike Maier: "Wie schaffen wir Verhältnisse, in denen Männer und Frauen gleichberechtigt zusammenleben können? Warum wollen Männer nicht, dass Frauen gleichermaßen Einkommen erzielen? Und das war eine scharfe Beobachtung zu einer Zeit, wo Frauen tatsächlich keine Recht hatten, erwerbstätig zu sein, Eigentum zu erwerben, in der Ehe eigenes Einkommen zu haben, zu erben."
John Stuart Mill lernt die 23-jährige Harriet 1830 kennen und ist beeindruckt von der "geistvollen Schönheit" mit dem "tiefen, starken Gefühl" und dem "eindringenden, schnell auffassenden Verstand". Die beiden sehen sich als Geistesverwandte und diskutieren in Briefen über politische und literarische Themen. Schließlich verlässt Harriet Taylor ihren Ehemann, um fortan mit John Stuart Mill zusammen zu sein und zu arbeiten. Ein echtes "Power-Paar" des 19. Jahrhunderts, obwohl sie wegen ihrer unkonventionellen Lebensweise gesellschaftlich geächtet werden und Harriets Anteil an John Stuart Mills Werk nicht anerkannt wird. Da hilft es auch nichts, dass John Stuart Mill immer betont hat, dass bis auf eine Schrift zur Logik alles gemeinsame Arbeiten gewesen seien.
"Wenn zwei Personen in ihrer Denkweise und in ihren Spekulationen vollkommen übereinstimmen (…) so ist es hinsichtlich der Originalitätsfrage von geringem Belang, wer von ihnen die Feder führt… Abgesehen von dem mächtigen Einfluss ihres Geistes auf den meinigen, gingen die wertvollsten Ideen und Züge in unseren vereinten Produktionen ... von ihr aus."
Friederike Maier: "Wir haben uns überlegt, wir brauchen einen Namen, der signalisiert einerseits, wir sind Ökonominnen, aber nicht nur – und wir haben uns überlegt, wir möchten eine Person in den Vordergrund stellen, die niemand kennt. Das fanden wir symptomatisch und dann haben wir gesagt: okay, die steht für das, wofür wir auch stehen."
Einen Doktor finden, nicht ihn selber machen
Das Institut an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, an dem Friederike Maier lehrt und das sie mitgegründet hat, heißt Harriet-Taylor-Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung. Dort arbeitet man daran, die Wirtschaftswissenschaft für Geschlechterfragen zu sensibilisieren. Notwendig ist das offenbar:
"Ich hatte einen Professor, der hat damals zu uns Studentinnen gesagt: Meine Damen, wenn Sie bis zum Vordiplom keinen Doktor haben, sind Sie falsch hier!"
Und das war nicht als Aufforderung zum Turbo-Studium gemeint.
Friederike Maier: "Damals war die Hochschule eine Art Heiratsmarkt. Und Ökonominnen waren nicht vorgesehen."
"Damals" heißt in diesem Fall Anfang der 1970er-Jahre. Inzwischen würden sich wohl nicht einmal mehr die reaktionärsten Professoren zu solchen Sprüchen hinreißen lassen, zumal Studentinnen in den Wirtschaftswissenschaften keine exotische Randerscheinung mehr sind, sondern die Hälfte der Studierenden ausmachen. Allzuviel erreicht im Wissenschaftsbetrieb haben die Volkswirtinnen aber auch heute noch nicht: Nur 12 Prozent der Wirtschaftsprofessoren an Universitäten und 20 Prozent an Fachhochschulen sind weiblich.
Friederike Maier: "Es ist nach wie vor ganz schwierig im Wissenschaftsbereich. Dieser niedrige Frauenanteil an Universitäten und Fachhochschulen ist kein Zufall. Es bleiben viele gute Frauen auf der Strecke. Wenn da junge Frauen kommen mit den gleichen Veröffentlichungen, dann sagt man: In der Lehre wird sie gut sein, aber ob sie in der Forschung den Biss hat? Da gibt es ganz viele Vorurteile, die funktionieren immer noch."
Sie funktionieren sogar gegenüber der Handvoll Wirtschaftswissenschaftlerinnen, die es in Spitzenpositionen geschafft haben. Zum Beispiel Janet Yellen, die Präsidentin der US-Notenbank.
Friederike Maier: "In den USA gibt es fünf, sechs sogenannte power couples, wo sowohl die Männer bekannte Ökonomen sind als auch die Frauen, also Janet Yellen zum Beispiel ist mit einem sehr bekannten amerikanischen Nobelpreisträger verheiratet, George Akerlof."
Power Couples und ihr häuslicher Friede
Dieser Janet Yellen riet der Politiker und frühere US-Präsidentschaftskandidat Ralph Nader kürzlich in einem offenen Brief, sie solle sich doch mal von ihrem Mann erklären lassen, wie man ordentliche Zinspolitik macht.
Friederike Maier: "Das ist ganz verrückt! Selbst diese Frauen werden nicht wahrgenommen als eigenständige Expertinnen, sondern immer in ihrer Geschlechterrolle in Beziehung gesetzt zu irgendeinem Mann."
"Schließen Sie für einen Moment die Augen und stellen sich einen Wirtschaftswissenschaftler vor. Es wird sehr wahrscheinlich ein weißer Mann in mittleren Jahren sein."
... hieß es kürzlich in der New York Times. Der Autor befragte auch den Wirtschaftsnobelpreisträger von 2015, Angus Deaton. Deaton ist ebenfalls Teil eines "Power Couples". Seine Frau Anne Case ist Professorin in Princeton und eine der führenden Gesundheitsökonominnen der USA. Im vergangenen Jahr veröffentlichten beide eine gesundheitswissenschaftliche Studie, deren erstgenannter Autor Anne Case war.
In den Rezensionen von Journalisten und Fachkollegen wurde daraus ein Werk des Nobelpreisträgers Angus Deaton und seiner Ehefrau Anne, die auch Forscherin sei. Das sei weder gut für Frauen in der Wissenschaft noch für seinen häuslichen Frieden, sagte Deaton, "und es beeinträchtigt Annes Bereitschaft, mit mir zusammenzuarbeiten".