Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit
Residenz Verlag, Wien und Salzburg 2018
130 Seiten, 19 Euro
Kritischer Blick auf unsere Erwartungshaltung
Wünsche werden in unserer Welt schnell Wirklichkeit. Doch es gibt Dinge, die wir nicht erzwingen können: Schnee im Winterurlaub zum Beispiel. Das ist für Hartmut Rosa das "Unverfügbare" – mit dem wir zunehmend ein Problem haben, meint der Soziologe.
Es ist einfach geworden, einen eben gehegten Wunsch bereits im nächsten Moment Wirklichkeit werden zu lassen. Vorausgesetzt, dass das entsprechende Kapital zur Verfügung steht, lässt sich ein Winterurlaub unmittelbar nach der Planung bereits im Netz buchen. Winterlandschaften stehen in unbegrenzter Zahl zur Verfügung. Wir sind es gewohnt, dass verfügbar ist, wonach wir uns sehnen.
Dass kein Wunsch unerfüllt bleibt, daran wird akribisch gearbeitet. Ob jedoch der Urlaub auch hält, was versprochen wurde, ob uns die Winterlandschaft vor Ort tatsächlich auch innerlich bewegt, wir von ihr "berührt" werden, kann ein Reiseveranstalter ebenso wenig garantieren, wie er Schneefall vorhersagen kann. Der Schneefall im Winterurlaub wäre – so die These des in Jena Soziologie lehrenden Hartmut Rosa – das "Unverfügbare". Wir können uns wünschen, dass es schneit, aber erzwingen oder erkaufen ließe sich der zum Winterurlaub gehörende Schnee nicht.
Die Welt beschleunigt stetig
Hartmut Rosa hat in seinem 2016 erschienenen Buch "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung" Resonanzerfahrung im Zusammenhang mit einer sich stetig beschleunigenden Welt beschrieben. In seinem jüngsten Buch taucht der Begriff der Resonanz an exponierter Stelle erneut auf.
Resonanz zeichnet sich nach Rosas durch vier Merkmale aus: Einmal durch "Berührung" oder "Anrufung" (etwas muss uns ergreifen, innerlich berühren), darauf muss es zweitens eine Reaktion in Form einer Antwort geben (ein Schauer läuft einem über den Rücken), wodurch wir uns drittens in unserem Weltverhältnis verändern (neugierig werden, wach bleiben, nicht verstummen). Und viertens gehört laut Rosa das "Unverfügbare" wesentlich zu einer gelingenden Resonanzerfahrung dazu, die ausbleiben kann, obwohl offensichtlich alle Bedingungen für ihr Eintreten erfüllt sind: Resonanz lässt sich weder planen noch akkumulieren.
Darin sieht Rosa ein sich zuspitzendes Problem. Hineingeboren in die spätmoderne Gesellschaft sind die Menschen fixiert darauf, beherrschen zu wollen, abzuarbeiten und effizient zu erledigen, was getan werden muss. Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Sie wollen im Winterurlaub nicht auf Schneefall verzichten und streben deshalb danach, sich das Unverfügbare verfügbar zu machen.
Da dies aber selten gelingt, suchen sie immer häufiger entlegene Orte auf, weiten sie ihre "Weltreichweite" aus, um ihr Resonanzbedürfnis zu befriedigen. Dass dies möglich ist, wird ihnen von den Medien und der Tourismusbranche versprochen. Da aber das "Unverfügbare" Teil einer Resonanzerfahrung ist, existiert ein Unsicherheitsfaktor, der zunehmend für Probleme sorgt: Die Erwartungshaltung gegenüber Orten und Dingen erfährt eine unverhältnismäßige Steigerung. Bleibt aus, was die Werbeprospekte versprochen haben, drohen dem Veranstalter Klagen.
Dem "Unverfügbaren" Raum lassen
Mit überzeugenden Beispielen belegt Hartmut Rosa in seinem gut lesbaren Essay, dass wir es bei der "Unverfügbarkeit" mit einem zentralen Problem der Moderne zu tun haben. Er macht darüber hinaus deutlich, dass die Lösung des Problems nicht in der permanenten Verfügbarkeit besteht.
Die Annahme, dass wir Resonanz erfahren, bekämen wir die Welt nur endlich in den "Griff", erweist sich seiner Meinung nach als ein Trugschluss. In den Bereichen, wo es möglich ist, muss dem "Unverfügbaren" Raum gelassen werden, da nur so Resonanzerfahrungen, nach denen wir uns sehnen, möglich sind.