Ist das zweite Buch das schwerste?
Im ersten Buch steckt alles drin. Das ganze bisherige Leben. Das zweite Buch aber gilt als schwierig - es ist der Gradmesser dafür, ob aus dem Debütanten tatsächlich ein Autor wird, jemand, der die Erwartungen, die sich an einen Erstling geknüpft haben, auch erfüllen kann.
Wilhelm Genazino veröffentlichte 1965 mit gerade mal 22 Jahren den Roman "Laslinstraße" - sein zweites Buch aber erschien erst zwölf Jahre später. Bei Harper Lee lagen sogar 55 Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten Roman. Was war in der Zwischenzeit passiert? Schreibkrise? Sinnkrise? Hat das profane Leben ins Schreiben gepfuscht?
Ganz anders der Fall bei Reinhard Jirgl: Er hat zu DDR-Zeiten sein erstes Buch geschrieben, das es aber durch keine Zensurbehörde geschafft hat und nicht veröffentlicht wurde. Trotzdem schrieb er weiter, ein zweites Buch. Und sogar ein drittes.
Prominent ist der Fall von Judith Hermann: Ihr Debüt wurde überschwänglich gelobt und zu einem riesigen Bestseller. Dann kam erst einmal nichts, lange Jahre warteten die Fans und die Presse auf den Nachfolger. Der berühmte Writer’s Block hatte die Autorin am Wickel; und der Druck der Öffentlichkeit war enorm. Als ihr zweiter Erzählband schließlich doch erschien, machte sich das Feuilleton über die Autorin her.
Das zweite Buch ist tatsächlich eine Herausforderung. Wer diese Hürde überspringt, ist angekommen in der literarischen Welt. Oder steht er doch nur vor der nächsten Prüfung: dem dritten Buch?