Hartz IV: Abschaffen, ersetzen oder reformieren?
Darüber diskutiert Klaus Pokatzky heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Ursula Weidenfeld und Christoph Butterwegge.
Abschaffen, reformieren - oder einfach behalten?
Das beste Sicherungssystem, das Deutschland je hatte - so sieht Ursula Weidenfeld Hartz IV. Der härteste Einschnitt in den Sozialstaat seit 1945 - das meint Christoph Butterwegge. Wir diskutieren mit der Journalistin und dem Politologen über die Zukunft von Hartz IV.
"Hartz IV bedeutet nicht Armut" – mit diesen Worten heizte der Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn (CDU), die Debatte über die Zukunft der Grundsicherung erneut an. Kaum eine andere Reform hat Deutschland so gespalten wie das Kernstück der "Agenda 2010" des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit auf diese Grundsicherung angewiesen, etwa ein Drittel davon Kinder. Seit seiner Einführung am 1. Januar 2005 sorgt das Maßnahmenpaket für Diskussionen und Proteste.
"Die tiefste Zäsur in der Wohlfahrtstaatsentwicklung seit 1945"
"Hartz IV ist im Grunde ein rigides Armutsregime, das die Menschen da lässt, wo sie dann sind – nämlich ganz unten", sagt Christoph Butterwegge. Bis zu seiner Emeritierung 2016 lehrte der Politikwissenschaftler an der Universität Köln. Der Armutsforscher veröffentlichte zahlreiche Schriften und Publikationen zur Kritik am Neoliberalismus, zur sozialen Ungleichheit, zu Hartz IV und Altersarmut.
Hartz IV sei die tiefste Zäsur in der Wohlfahrtstaatsentwicklung seit 1945, betont Butterwegge. "Dieses Gesetzespaket hat nicht bloß das Armutsrisiko von (Langzeit-)Erwerbslosen und ihren Familien spürbar erhöht, sondern auch einschüchternd und disziplinierend auf viele Beschäftigte gewirkt."
Sein Fazit: "Hartz IV ist nicht korrigierbar, sondern nur als Ganzes revidierbar. An seine Stelle müsste eine soziale Grundsicherung treten, die den Namen im Unterschied zu Hartz IV wirklich verdient."
"Ein besseres System der Grundsicherung hatte Deutschland noch nie"
"Ein besseres System der Grundsicherung als das heutige gab es in Deutschland noch nie", sagt die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld. Bei allen Fehlern und Schwächen, die Hartz IV habe, überwiegen für sie letztlich die positiven Seiten. "Seitdem es die Hartz-Reformen gibt, sinkt die Zahl der tatsächlichen Hilfeempfänger kontinuierlich: von deutlich über fünf Millionen im Jahr 2005 auf 4,26 Millionen heute. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sinkt in Deutschland auch die strukturelle Arbeitslosigkeit – das ist die Unterbeschäftigung, die vorher von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus zuverlässig wuchs. Bevor man das Hartz-System gegen ein neues austauschen will, sollte man das bedenken."
Hartz IV sei eine soziale Mindestsicherung auf Zeit. Hinter dem Prinzip "Fördern und Fordern" stehe auch der Gedanke, dass die Arbeitslosen, die in der Lage seien zu arbeiten, weiterhin angehalten werden sollten, für sich selbst zu sorgen. Auch um Debatten über etwaigen Missbrauch vorzubeugen. Es lohne sich, einen Kern der Reform beizubehalten.
Von dem Vorschlag eines "solidarischen Grundeinkommens" mit kommunalen Arbeitsangeboten, wie es Teile der SPD als Alternative zu Hartz IV vorschlagen, hält sie gar nichts. "Das ist im Grunde eine Art öffentliche Beschäftigung im Billigsektor – unmoralisch und zynisch."
Von dem Vorschlag eines "solidarischen Grundeinkommens" mit kommunalen Arbeitsangeboten, wie es Teile der SPD als Alternative zu Hartz IV vorschlagen, hält sie gar nichts. "Das ist im Grunde eine Art öffentliche Beschäftigung im Billigsektor – unmoralisch und zynisch."
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