Hartz IV – Armut per Gesetz oder soziale Hängematte?
Hitzige Debatten im Bundestag, angefacht durch die polarisierenden Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle – die Diskussion um Hartz IV reißt nicht ab. Die Sozialreform, Teil der Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung, trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Nach fünf Jahren fällt die Bilanz zwiespältig aus.
Die Juristin Anne Lenze gehört zu den Kritikern von Hartz IV. Sie habe zu einer größeren Stigmatisierung der Arbeitslosen geführt, sagt die ehemalige Sozialrichterin und heutige Professorin für Familien- und Sozialrecht an der Hochschule in Darmstadt.
"Und dass die Menschen in den Betrieben, in der Facharbeiterschaft, Angst haben, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ganz unten ankommen. Da herrscht eine allgemeine Verunsicherung."
Von der Idee her sei das Prinzip "Fördern und Fordern" vielversprechend gewesen.
"Wenn wir auch einen aufnahmebereiten Arbeitsmarkt hätten und wenn wir die entsprechend hohe Betreuungsdichte von Fallmanagern hätten","
dann hätte dies besser klappen können. Die Realität sei aber anders.
Es gebe nach wie vor zu wenige Mitarbeiter in den Argen, den Arbeitsgemeinschaften aus einer Agentur für Arbeit und der Kommune, diese hätten zudem zu wenig Jobs für die jeweilige Klientel. Hinzu käme, dass zum Beispiel auf dem Land viel zu wenige Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorhanden seien, Frauen also kaum Ganztagsjobs annehmen könnten. Hartz IV produziere zudem zu viele Verlierer:
""Die Leistungsbezieher, aber auch die Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten und die, die fürchten, ihren Job zu verlieren."
Die Hauptverlierer seien aber die Kinder. 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren lebten von Hartz IV.
Die Folgen: Die Kinder hätten kaum Chancen, notwendige Bildungsangebote wahrzunehmen, damit drohten ihnen schlechtere Ausbildungs- und damit schlechtere Jobchancen - ein Teufelskreis:
"Das sind diejenigen, die später häufiger gering qualifiziert sind, die immer wieder Leistungen vom Staat beziehen müssen. Und dann heißt es wieder, sie seien selbst schuld. Aber die Kinder können nichts dafür, dass sie in einem Hartz-IV-Haushalt leben. Dann heißt es, man solle die Kinder doch an den Eltern vorbei fördern. Das wird nicht funktionieren. Man kann die Eltern nicht im Elend lassen und denken, man müsse die Kinder nur den ganzen Tag in die Schule schicken. Da braucht man ganz neue Konzepte, mehr Manpower."
Ihre Mahnung:
"Die Frage, was kostet der Sozialstaat, ist falsch gestellt. Die Frage muss heißen; Was ist er uns wert?"
Hans-Olaf Henkels Bilanz fällt vollkommen anders aus. Der ehemalige BDI-Präsident und Manager verteidigt die Reform:
"Seit Hartz IV und der Reform hat es in der Bundesrepublik wieder mehr Arbeitsplätze gegeben."
Außerdem sei die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die wieder in Arbeit kommen konnten, gestiegen. Hartz IV sei ein "grandioses Armutsverhinderungsprogramm", wer Hartz IV beziehe, lebe eben nicht in Armut. Im Vergleich zu Armen vor 30, 40 Jahren lebten Hartz-IV-Bezieher in "mittelständischem Wohlstand." Daher könne er auch jeden der umstrittenen Sätze von Guido Westerwelle unterschreiben.
Seine Kritik: Hartz IV lade zum Nichtarbeiten ein. Solange ein Hartz-IV-Bezieher mit zwei Kindern genauso viel bekomme wie ein Arbeiter mit zwei Kindern, liefe etwas schief.
"Hartz IV ist eine leere Veranstaltung, auch hier wurden wieder widersinnig Sozialleistungen gesteigert."
Und dies, obwohl sie bereits jetzt 48 Prozent des Gesamthaushaltes ausmachten.
Er hofft, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Erhöhung der Sätze für Erwachsene nach sich zieht. Eher sollten die Sätze gekürzt werden, um einen Anreiz zu bilden, sich eine Arbeit zu suchen. Auch er sehe, dass eine Mehrheit der Bezieher bereit sei, zu arbeiten, nur seien sie oft schlecht ausgebildet und es gebe keine entsprechende Arbeit für sie – daran müsse sich etwas ändern. Am vordringlichsten müsse sich jedoch die Situation der Kinder verbessern.
"Sie sind ausnahmslos Opfer. Und es ist wichtig, dass man in sie investiert. Die Regelsätze für Kinder müssen zu Bildungssätzen werden."
Seine Mahnung:
"Alles dreht sich darum: Ist es gerecht? Wie viel ist gerecht für Hartz-IV-Empfänger oder die Kinder? Es redet keiner darüber, wie man Arbeitsplätze schafft. Das ist das Drama an dieser unsäglichen deutschen Diskussion. Man muss klar sehen: Es gibt genug Arbeit in Deutschland. Nur: 16 Prozent wird schwarz verrichtet – und wer macht sie? Ein großer Teil der Hartz IV-Empfänger."
Hartz IV – Armut per Gesetz oder soziale Hängematte? - Darüber diskutiert Susanne Führer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Anne Lenze und Hans Olaf Henkel. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Anne Lenze
Literaturhinweis:
Hans-Olaf Henkel: "Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen", Wilhelm Heyne Verlag 2009
"Und dass die Menschen in den Betrieben, in der Facharbeiterschaft, Angst haben, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ganz unten ankommen. Da herrscht eine allgemeine Verunsicherung."
Von der Idee her sei das Prinzip "Fördern und Fordern" vielversprechend gewesen.
"Wenn wir auch einen aufnahmebereiten Arbeitsmarkt hätten und wenn wir die entsprechend hohe Betreuungsdichte von Fallmanagern hätten","
dann hätte dies besser klappen können. Die Realität sei aber anders.
Es gebe nach wie vor zu wenige Mitarbeiter in den Argen, den Arbeitsgemeinschaften aus einer Agentur für Arbeit und der Kommune, diese hätten zudem zu wenig Jobs für die jeweilige Klientel. Hinzu käme, dass zum Beispiel auf dem Land viel zu wenige Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorhanden seien, Frauen also kaum Ganztagsjobs annehmen könnten. Hartz IV produziere zudem zu viele Verlierer:
""Die Leistungsbezieher, aber auch die Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten und die, die fürchten, ihren Job zu verlieren."
Die Hauptverlierer seien aber die Kinder. 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren lebten von Hartz IV.
Die Folgen: Die Kinder hätten kaum Chancen, notwendige Bildungsangebote wahrzunehmen, damit drohten ihnen schlechtere Ausbildungs- und damit schlechtere Jobchancen - ein Teufelskreis:
"Das sind diejenigen, die später häufiger gering qualifiziert sind, die immer wieder Leistungen vom Staat beziehen müssen. Und dann heißt es wieder, sie seien selbst schuld. Aber die Kinder können nichts dafür, dass sie in einem Hartz-IV-Haushalt leben. Dann heißt es, man solle die Kinder doch an den Eltern vorbei fördern. Das wird nicht funktionieren. Man kann die Eltern nicht im Elend lassen und denken, man müsse die Kinder nur den ganzen Tag in die Schule schicken. Da braucht man ganz neue Konzepte, mehr Manpower."
Ihre Mahnung:
"Die Frage, was kostet der Sozialstaat, ist falsch gestellt. Die Frage muss heißen; Was ist er uns wert?"
Hans-Olaf Henkels Bilanz fällt vollkommen anders aus. Der ehemalige BDI-Präsident und Manager verteidigt die Reform:
"Seit Hartz IV und der Reform hat es in der Bundesrepublik wieder mehr Arbeitsplätze gegeben."
Außerdem sei die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die wieder in Arbeit kommen konnten, gestiegen. Hartz IV sei ein "grandioses Armutsverhinderungsprogramm", wer Hartz IV beziehe, lebe eben nicht in Armut. Im Vergleich zu Armen vor 30, 40 Jahren lebten Hartz-IV-Bezieher in "mittelständischem Wohlstand." Daher könne er auch jeden der umstrittenen Sätze von Guido Westerwelle unterschreiben.
Seine Kritik: Hartz IV lade zum Nichtarbeiten ein. Solange ein Hartz-IV-Bezieher mit zwei Kindern genauso viel bekomme wie ein Arbeiter mit zwei Kindern, liefe etwas schief.
"Hartz IV ist eine leere Veranstaltung, auch hier wurden wieder widersinnig Sozialleistungen gesteigert."
Und dies, obwohl sie bereits jetzt 48 Prozent des Gesamthaushaltes ausmachten.
Er hofft, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Erhöhung der Sätze für Erwachsene nach sich zieht. Eher sollten die Sätze gekürzt werden, um einen Anreiz zu bilden, sich eine Arbeit zu suchen. Auch er sehe, dass eine Mehrheit der Bezieher bereit sei, zu arbeiten, nur seien sie oft schlecht ausgebildet und es gebe keine entsprechende Arbeit für sie – daran müsse sich etwas ändern. Am vordringlichsten müsse sich jedoch die Situation der Kinder verbessern.
"Sie sind ausnahmslos Opfer. Und es ist wichtig, dass man in sie investiert. Die Regelsätze für Kinder müssen zu Bildungssätzen werden."
Seine Mahnung:
"Alles dreht sich darum: Ist es gerecht? Wie viel ist gerecht für Hartz-IV-Empfänger oder die Kinder? Es redet keiner darüber, wie man Arbeitsplätze schafft. Das ist das Drama an dieser unsäglichen deutschen Diskussion. Man muss klar sehen: Es gibt genug Arbeit in Deutschland. Nur: 16 Prozent wird schwarz verrichtet – und wer macht sie? Ein großer Teil der Hartz IV-Empfänger."
Hartz IV – Armut per Gesetz oder soziale Hängematte? - Darüber diskutiert Susanne Führer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Anne Lenze und Hans Olaf Henkel. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Anne Lenze
Literaturhinweis:
Hans-Olaf Henkel: "Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen", Wilhelm Heyne Verlag 2009